Das musst du wissen
- Nicola Spaldin ist die diesjährige Preisträgerin des Schweizer Wissenschaftspreis Marcel Benoist.
- Sie ist Professorin für Materialtheorie an der ETH Zürich und forscht seit Jahrzehnten zu Multiferroika.
- Mit diesem Material können Daten auf kleinstem Raum und sehr energieeffizient gespeichert werden.
Eine Uhr aus Granit – für eine Professorin für Materialtheorie ist das mehr als nur ein ästhetisches Statement. Es ist es ihr Lebensinhalt, der sich hier um ihr Handgelenk schmiegt. «Ich liebe Steine», sagt Nicola Spaldin. «Sie haben mich schon immer fasziniert, denn in ihnen vereinigen sich die Chemie und Physik fester Körper.»
Irgendwie passt ihr Enthusiasmus gut zu den Sonnenstrahlen, die ihr gläsernes Büro auf dem ETH-Campus Hönggerberg durchfluten. Hier ist die gebürtige Engländerin seit fast zehn Jahren Professorin für Materialtheorie. Am Donnerstag hat sie den renommierten und mit 250 000 Franken dotierten Schweizer Wissenschaftspreis Marcel Benoist erhalten.
Nicola Spaldin
Nicola Spaldin wurde 1969 in England geboren und studierte an der Universität Cambridge Naturwissenschaften. 1996 erwarb sie an der Universität von Kalifornien in Berkeley den Doktortitel in Chemie. Von 1996 bis 1997 erforschte sie als Post-Doktorandin magnetische Phänomene an der Universität Yale, bevor sie zurück nach Kalifornien ging. Hier war sie von 1997 bis 2010 zunächst Assistenzprofessorin und ab 2006 ordentliche Professorin an der Universität von Kalifornien in Berkeley. 2011 wechselte sie an die ETH Zürich, wo sie seither als Professorin für Materialtheorie tätig ist.
Die Jury des Schweizerischen Nationalfonds, der die Preisträgerin auswählte, ehrt damit Spaldins bahnbrechende Forschung zu Multiferroika. Das sind Materialien, welche die Datenspeicherung revolutionieren könnten. Sie vereinen zwei wichtige physikalische Eigenschaften, die normalerweise nicht zusammen vorkommen: Zum einen sind sie magnetisch oder genauer ferromagnetisch, wie zum Beispiel Eisen. Zum anderen sind sie ferroelektrisch, wie zum Beispiel das Element Bismut. In ferroelektrischen Elementen ordnen sich die Elektronen in den Atomen so an, dass ein elektrischer Dipol entsteht.
Für Multiferroika interessierte sich Spaldin erstmals, als sie an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara forschte. Die damals etwa 30-Jährige beschäftigte sich mit magnetischen Phänomenen und ein Kollege widmete sich ferroelektrischen Stoffen. «Er sagte zu mir, es sei schade, dass wir nie zusammen arbeiten könnten, da es ja keine Stoffe gäbe, die beide Eigenschaften vereinten», erinnert sich Spaldin. «Da fragte ich mich, ob das überhaupt stimmt.»
In einer wegweisenden Arbeit aus dem Jahr 2000 zeigte Spaldin dann warum es tatsächlich sehr wenige Multiferroika gibt. Daraufhin berechnete sie, wie ein multiferroischer Stoff aufgebaut sein muss und entwickelte mit ihrem Team das multiferroische Element Bismut-ferrit, welches aus Eisen, Bismuth und Sauerstoff besteht. «Wir arbeiten meistens mit Papier, Stift und Computer. Wir berechnen, wo sich Elektronen aufhalten, wenn die Atome in einem Stoff in bestimmter Weise angeordnet sind.» Zusammen mit Kollegen arbeitet Spaldin auch an der physischen Herstellung der Stoffe. Dabei werden die einzelnen Elemente bei circa 2000 Grad zu einem multiferroischen Kristall geformt.
Grundlage für neue Datenspeicher
Multiferroika könnten die Zukunft der Informationstechnologien entscheidend prägen. Mit ihnen können Daten auf kleinstem Raum und sehr energieeffizient gespeichert werden. Denn magnetischen Stoffen eignen sich, um Daten zu speichern, zum Beispiel auf Magnetbändern oder Festplatten. Allerdings kostet der dazu nötige Aufbau eines Magnetfeldes sehr viel Energie. In Multiferroika kann man den Magnetismus jedoch statt über magnetische über elektrische Felder kontrollieren und das ist viel energieeffizienter und braucht weniger Platz. Dies ist wichtig, da Informationstechnologien immer mehr Energie verschlingen und unsere Geräte immer kleiner werden.
«Die Aussicht, dass meine Forschung eines Tages eine technische Anwendung finden könnte, motiviert mich natürlich», sagt Spaldin, aber die wissenschaftliche Fragestellung – das sei der «fun-part», also das was richtig Spass macht. «Ich finde es einfach unglaublich faszinierend, mir zu überlegen, warum zum Beispiel Stoffe zu Supraleitern werden, wenn wir die Elektronen ganz fest zusammendrücken. Das ist doch verrückt. Wir können das Phänomen messen, aber wir können es nicht erklären. Das treibt mich richtiggehend um», sagt Spaldin.
Wenn ein Büro etwas über einen Mensch aussagt, dann spricht jenes Nicola Spaldins von einer Mischung aus wissenschaftlicher Rationalität mit Lebensfreude. Die USM-Möbel sind quadratisch-praktisch-gut wie immer, aber nicht monochrom, sondern in leuchtendem Orange. Nachdenken im Team passiert nicht auf einem langweiligen Whiteboard, sondern auf einer guten, alten Tafel, obwohl es kein Wasser zum Abwischen gibt. Das Problem lösen Spaldin und ihre Kollegin nicht etwa mit einem nassen Schwamm, sondern in dem sie die Formeln, mit denen die Tafel bis zum Rand in weisser Kreide vollgekritzelt ist, einfach mit einer anderen Farbe überschreiben. Grün, Blau, Rot, Orange – Lebensfreude, die bei Nicola Spaldin immer auch Arbeitsfreude ist.
Arbeit als Hobby
Denn: Leben und Arbeit gehen für Nicola Spaldin ineinander über. «Meine Forschung ist mein Hobby. Ich darf jeden Tag über Materialien nachdenken und werde dafür bezahlt – das ist doch toll.» Mit ihrem Mann, der ebenfalls Professor an der ETH ist, spricht sie auch nach der Arbeit über die Forschung. Als die beiden 2010 ein Angebot der ETH Zürich erhielten, war es schnell klar, dass sie ihr Leben aus Kalifornien in die Schweiz verlagern würden. «Ich glaube, ich habe länger darüber nachgedacht was ich essen soll, als über dieses Angebot», sagt Spaldin.
Auf die Aussage, dass Materialwissenschaften doch ein sehr trockenes Fachgebiet sei, reagiert sie mit gespielter Empörung. «Auf keinen Fall. Alles was uns umgibt ist Material. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, die ganze Geschichte der menschlichen Zivilisation ist die Geschichte der Materialwissenschaft. Alle Zeitalter der Zivilisation – Steinzeit, Eisenzeit, Bronzezeit – sind durch Materialien definiert. Und im Moment befinden wir uns im Silizium-Zeitalter». Doch mit immer grösser werdenden Clouds und immer kleiner werdenden Computern werden wir bald neue Materialien brauchen, die Silizium ersetzten, mit denen wir Daten schneller und effizienter speichern können. Wer weiss, vielleicht sind die Multiferroika ja das Material, das dereinst das Zeitalter unserer Nachfahren definiert.