Das musst du wissen

  • Hunderttausende von Schrottteilen umkreisen die Erde.
  • Das Risiko von Kollisionen verschärft sich laufend, weil die Anzahl an Satelliten gegenwärtig rasch ansteigt.
  • In den letzten Jahren starteten darum verschiedene Forschungsprojekte, die Weltraumschrott aktiv einsammeln wollen.

Es begann mit einem Rumpeln im Weltall: Der längst erloschene russische Militärsatellit Kosmos2251 kollidierte 2009 mit dem aktiven US-amerikanischen Kommunikationssatelliten Iridium33. Beide Satelliten wurden vollkommen zerstört.

Übrig blieben rund 2000 Bruchstücke, die seither in der Schwerelosigkeit ihre Bahnen drehen. «Zum ersten Mal waren nicht nur Trümmer oder ausgediente Satelliten- und Raketenelemente kollidiert, sondern ein aktiver Satellit war betroffen», sagt Thomas Schildknecht, Astronom an der Universität Bern und Direktor des Observatoriums Zimmerwald. «Das war ein Weckruf.» Plötzlich wurden nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Politiker und Militärs weltweit auf die Gefahr durch den Schrott aufmerksam, den die Menschheit seit Beginn der Raumfahrt in den Erdumlaufbahnen ablädt.

Thomas Schildknecht

Thomas Schildknecht ist Astronomieprofessor an der Universität Bern und Direktor des Observatoriums Zimmerwald. Dort untersucht er mit seinem Team die Entwicklung des Weltraummülls und entwickelt Methoden, um Trümmerteile besser charakterisieren und verfolgen zu können. Unter anderem überwacht das Team eine Anzahl grösserer Trümmer, die nicht vom US-amerikanischen Space Surveillance System erfasst sind. Wie bei anderen Himmelskörpern auch können die Forschenden aus der Bewegung der Trümmer-Lichtpunkte im Verhältnis zu den Sternen die Position und die Flugbahn eines Objekts ermitteln. Einen Hinweis auf die Grösse eines Bruchstücks gewinnen die Forschenden aus seiner Helligkeit. Viele Trümmer haben allerdings schwarze Teile, die die Beobachtungen erschweren. Auch wird das Blinken des Objekts untersucht. Daraus lässt sich unter Umständen etwas über die Form aussagen, oder ob ein Trümmerteil rotiert oder taumelt. Dies wiederum kann helfen, eine bessere Vorhersage seiner weiteren Flugbahn zu treffen. Allerdings: «Um Kollisionen einigermassen zuverlässig zu verhindern, müssten wir die Flugbahnen von Schrottteilen auf wenige Meter genau voraussagen können», sagt Schildknecht. «Davon sind wir noch sehr weit weg.»

In der Erdumlaufbahn wird es immer enger

Ganze 900 000 über einen Zentimeter grosse Schrottteile treiben inzwischen laut Modellrechnungen der Esa in den Erdumlaufbahnen. Genauer bekannt sind etwa 20 000 grössere Objekte. Sie werden vom US-amerikanischen Space Surveillance System und von Forschenden weltweit überwacht, unter anderem am Observatorium Zimmerwald vom Team von Thomas Schildknecht. Doch die Wissenschaftler haben längst nicht alle grösseren Trümmer auf dem Radar, zudem können auch kleine Bruchstücke wegen ihrer immensen Fluggeschwindigkeit gefährlich werden. «Bei 30 000 Kilometern pro Stunde hat ein nur ein Zentimeter grosses Teilchen die Energie einer explodierenden Handgranate», veranschaulicht Schildknecht.

Universität Bern

Das Zimmerwalder Laser- und Astrometrie-Teleskop ZIMLAT, das für die Distanzmessung zu Weltraumschrott-Teilen verwendet wird.

Das Risiko von Kollisionen verschärft sich laufend, weil die Anzahl an Satelliten vor allem durch private Initiativen wie OneWeb oder SpaceX rasch ansteigt. Allein SpaceX hat bis August schon mehr als 650 Satelliten gestartet, in den kommenden Jahren sollen es gar Zehntausende sein. Zudem werden Kollisionen von schon vorhandenen Altmetallteilen immer neue Trümmerwolken erzeugen. «Sobald wir in einer bestimmten Höhe eine kritische Dichte aus Satelliten und Trümmern erreichen, kommen wir aus dem Schlamassel nicht mehr heraus», sagt Schildknecht.

Ausweichmanöver im All

Schon heute gehen bei der Esa für jeden Satellit tausende von Kollisionswarnungen pro Jahr ein. Doch diese sind unsicher. Auch mit grossen Radaranlagen und Teleskopen lässt sich die Flugbahn eines Bruchstücks routinemässig nur auf einige hundert Meter genau ermitteln. So bleibt häufig unklar, ob ein Satellit oder auch die internationale Raumstation ISS wirklich ausweichen müssen oder ob es nur knapp wird. Denn Ausweichen ist ungünstig. Jedes Manöver frisst Treibstoff und vermindert damit direkt die Lebenszeit eines Satelliten. Zudem geht dabei Sende- oder Beobachtungszeit verloren – unter Umständen während Tagen, weil der Satellit seine angestammte Position erst wieder erreichen muss. Das alles ist extrem teuer. Darum weicht trotz der vielen Warnungen meist nur ein- oder zweimal pro Monat ein Satellit einem Trümmerteil aus. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass viele Informationen über Satellitenflugbahnen als militärisch sensitiv eingestuft sind. Das heisst, sie sind geheim. Darum werden Daten zu überwachten Trümmern und möglichen Kollisionen zwar zwischen Nationen ausgetauscht, aber nicht zentralisiert und automatisch, sondern nur stückweise und bilateral.

Altmetall zum Verglühen bringen

In den letzten Jahren starteten darum verschiedene Forschungsprojekte, die darauf hinarbeiten, Weltraumschrott aktiv einzusammeln – meist mit dem Ziel, grössere Trümmer einzufangen, in niedrigere Höhen zu schleppen und sie beim Eintritt in die Atmosphäre verglühen zu lassen. Geplant sind Systeme mit Harpunen, Netzen oder Greifarmen. Auch hier ist die Schweiz rege beteiligt.

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Kürzlich hat das europäische Projekt RemoveDebris, an dem auch das Neuenburger Forschungsinstitut CSEM mitarbeitet, zum ersten Mal einen Aufräumsatelliten im All getestet. Geprüft wurde zunächst der Sensor, der die Grösse, Form, Eigenrotation und Flugbahn des einzufangenden Objekts erfasst. «Diese Eigenschaften müssen wir vor dem Einfangen genau kennen», sagt Alexander Pollini, Projektleiter für RemoveDebris am CSEM. Danach folgten Tests der Harpune und des grossen Fangnetzes. Sie waren erfolgreich: Die Harpune traf das befestigte Ziel, eine Art Zielscheibe, und das Netz fing ein freischwebendes Testobjekt – ein Mini-Satellit in der Grösse einer Waschmaschine – ein.

Dennoch fehlt noch einiges, bis das System wirklich einsatzbereit ist, denn die Tests waren noch nicht mit Echtsituationen vergleichbar: So war das Ziel für die Harpune noch nicht ein freischwebendes Objekt, sondern eine Platte, die am Aufräumsatelliten befestigt war. Und die Distanzen zu den angepeilten Objekten waren noch recht klein – wenige Meter bei der Harpune und elf Meter beim Netz. Ein bisher ungelöstes Problem ist ausserdem das Abschleppen der eingefangenen Objekte. Einmal eingefangen, schwingen sie an der Verbindungsleine hin und her. «Die Kräfte, die dabei wirken, sind so stark, dass die Seile reissen können und man das Objekt wieder verliert», erklärt Pollini.

Schweizer Start-up greift nach den Trümmern

Ein weiteres, von der Esa angestossenes Projekt will darum ein System einsetzen, das Trümmerteile mit Greifarmen einfängt. Entwickelt wird das System vom Team der Schweizer Start-up-Firma Clearspace, das in einem Vorgängerprojekt an der ETH Lausanne bereits eine kleinere Version solcher Fangarme entworfen und gebaut hat.

In Zukunft sollen grössere und verbesserte Tentakeln treibende Trümmer von vier Seiten umschliessen und zum Sammelsatelliten, genannt «Chaser», heranziehen. Ausserdem entwickelt das Team ein automatisiertes System aus verschiedenen Sensoren und Kameras, mit dessen Hilfe der «Chaser» selbständig navigieren, sich einem Trümmerteil nähern und es greifen soll. Den ersten Start ins All plant das Clearspace-Team im Jahr 2025. Dann soll nach einigen Tests zum ersten Mal ein echtes Stück Weltraumschrott entsorgt werden: ein zwei Meter grosses Teil einer Vega-Trägerrakete.

Einige weitere Ideen sind noch weniger erprobt. Beispielsweise könnten Laser von der Erde aus Trümmerteile anstupsen, um deren Geschwindigkeit zu drosseln, sodass sie immer tiefer sinken und schliesslich in der Atmosphäre verglühen. Auf eine ähnliche Weise könnten Sonnensegel eingesetzt werden. Diese funktionieren nicht über Luft, sondern über den Strahlendruck des Sonnenlichts. An Satelliten angebracht sollen auch solche Segel die Objekte lenken und zum Verglühen bringen.

Wer zahlt für die Abfallentsorgung im All?

All diese Ideen haben neben den technologischen Herausforderungen aber noch ein ganz anderes Problem: Sie sind unglaublich teuer. Und bisher gibt es noch kaum einen Anreiz für Nationen und private Betreiber, grosse Batzen für die Abfallsammlung im All auszugeben. Das werde sich aber ändern, sagt Muriel Richard, Weltraumingenieurin und CTO von Clearspace. «Wenn die Technologien entwickelt sind, werden die Kosten sinken. Dann können wir die Entsorgung von Weltraumschrott erschwinglich machen.» Und sobald es eine funktionierende Müllentsorgung gebe, werde auch der Druck auf die Satellitenbetreiber steigen, verantwortungsvoll zu handeln und dafür Geld auszugeben.

Gemäss Modellrechnungen müsste man allerdings mindestens fünf grosse Objekte pro Jahr einsammeln und zerstören, um einen grossen Anstieg an Trümmerteilen zu verhindern – eine Herkulesaufgabe. Das zu finanzieren, hält Thomas Schildknecht heute nicht für realistisch. «Es bräuchte mehr politischen Willen, um die Betreiber zu zwingen, sich um das Problem zu kümmern.» Er sieht eine Art Weltraum-Abfallgebühr als Option. Doch: «Ein solches internationales Abkommen zu schaffen, wird schwierig.»

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