Waltran, auch «Polaröl» genannt, war der Brennstoff des 17. Jahrhunderts: 1611 begannen die Engländer die Jagd auf Wale, die Niederlande folgten ein Jahr später, ab Mitte des Jahrhunderts beteiligten sich Schiffe aus Deutschland und der Neuen Welt.

Das aus dem Fettgewebe von Meeressäugern ausgeschmolzene Fett wurde in erster Linie als Lampenöl benutzt, bildete aber auch die Grundlage für Seifen und Salben, Gelatine und Speisefette, diente als Schuh- und Lederpflegemittel und war Ausgangsstoff für die Herstellung von Nitroglycerin, dem Sprengstoff, der den Bau des ersten Gotthard-Tunnels ermöglichte und im Ersten Weltkrieg für Bomben benötigt wurde.

Die allgemeine Ressourcenknappheit der Kriegsjahre liess den Preis für Waltran nochmals in die Höhe schnellen, bevor sich ab den 1930er-Jahren langsam die Einsicht durchzusetzen begann, dass sich ohne Schutzmassnahmen die Walbestände nicht mehr erholen würden. Schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts hatten sich die Bestände im Nordpolarmeer – vor den Küsten Grönlands und Spitzbergens – erschöpft. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts plünderten die Walfänger dann auch den Südatlantik: Allein die seit 1964 verlassene Station Grytviken auf der Insel Südgeorgien – eine der sechs Wahlfangstationen auf dem britischen Überseegebiet knapp 3000 Kilometer vor der antarktischen Küste – verarbeitete in den rund 60 Jahren ihres Bestehens das Fleisch und den Tran von fast 55 000 geschlachteten Walen.

Insgesamt soll die Periode des Walfangs Schätzungen zufolge zehn Millionen Wale das Leben gekostet haben. Demnach beträgt der Walbestand heute noch zehn Prozent der Wale, die zuvor die Weltmeere bevölkerten. Erst 1948 wurde der Walfang durch ein internationales Übereinkommen reguliert. Doch noch heute gelten zahlreiche Walarten als vom Aussterben bedroht. Die Umweltverschmutzung und die industrielle Fischerei auf den Weltmeeren verhindern eine nachhaltige Erholung der Bestände.

Wale – Baumeister der Biodiversität

Nun aber fordert ausgerechnet der Internationale Währungsfonds (IWF), den Schutz der Wale zu verstärken, weil sie eine entscheidende Rolle für den Klimaschutz spielen könnten. Die Autoren eines IWF-Papiers beziehen sich auf verschiedene Studien der vergangenen Jahre, die die Rolle der Meeressäuger in marinen Ökosystemen untersuchten.

Buckelwale beispielsweise ziehen im Sommer zum Fressen in die Polregionen, im Winter für die Fortpflanzung in tropische und subtropische Gewässer und legen dabei Tausende von Kilometern zurück. Während der Stickstoff aus ihrem Urin am Äquator dringend als Dünger gebraucht wird, ermöglicht das Eisen in ihren festen Ausscheidungen in ihren Weidegründen rund um die Pole ein Wachstum des Krills, des tierischen Planktons, das wiederum den Walen selbst, aber auch anderen Fischen als Nahrung dient. Wenn Wale für die Jagd bis zu 1000 Meter tauchen, sorgen sie ausserdem für eine bessere Durchmischung von Tiefen- und Oberflächenwasser und bringen so für die Biodiversität wichtige Nährstoffe an die Oberfläche.

Grösser ist besser

Die Autoren des IWF-Berichts um den Wirtschaftswissenschaftler Ralph Chami beziffern den Wert eines Wallebens auf zwei Millionen Franken – auch wegen ihren Transportleistungen in den Weltmeeren, in erster Linie aber für ihre Fähigkeit, enorme Mengen CO₂ zu speichern und bei ihrem Tod mit auf den Meeresgrund zu nehmen. 33 Tonnen des Treibhausgases versinken mit dem Kadaver eines grossen Wals und bleiben für Jahrhunderte unter Wasser eingeschlossen – ein Baum dagegen absorbiert nur etwas mehr als 20 Kilogramm CO₂ pro Jahr.

Von der Tatsache, dass Wale Nährstoffe besser im Meer verteilen, profitiert ausserdem auch das Phytoplankton, mikroskopisch kleine Algen, die freischwebend im Meerwasser leben, Fotosynthese betreiben und damit mehr als die Hälfte des Sauerstoffs – vier Mal die Produktion des Amazonas-Regenwaldes – zu unserer Atmosphäre beisteuern. Phytoplankton aber kann nur in den obersten, lichtdurchfluteten Schichten des Meeres überleben und ist deshalb darauf angewiesen, dass Wale von ihren Tauchgängen Nährstoffe an die Oberfläche bringen – denn aufgrund des Drucks können Wale in grosser Tiefe ihren Darm nicht entleeren. Der Vorgang wird als «Walpumpe» bezeichnet und wurde bereits 2014 von einem internationalen Forschungsteam eingehend beschrieben.

Die Wissenschaftler um den Biologen Joe Roman von der University of Vermont gehen davon aus, dass Wale als langlebige Arten im marinen Ökosystem für mehr Stabilität sorgen und die Intensität von Schwankungen der pflanzlichen Primärproduktion aufgrund von Plünderung und Störungen des Klimas mildern helfen. So begannen beispielsweise im Nordpazifik, nachdem die Blauwale rar geworden waren, die als «Killerwale» bekannten Orcas Jagd auf kleinere Meeressäuger zu machen.

Der folgende Rückgang der Seeotter vor der Küste Nordamerikas aber führte zu einer massenhaften Vermehrung von Seeigeln – der bevorzugten Speise der Otter –, die sich wiederum über die Tangwälder der Uferzonen hermachten und so die CO₂-Speicherfähigkeit der Küstengewässer reduzierten.

Auch der langsame Metabolismus der grossen Wale spielt eine Rolle – so fressen zwar 1500 Pinguine gleich viel wie ein ausgewachsener Blauwal und könnten damit deren Funktion bei der Verteilung der Nährstoffe übernehmen. Die aufgrund ihrer geringen Körpergrösse viel höhere Stoffwechselrate aber führt dazu, dass sie zusammen nur rund acht Prozent der Biomasse erreichen und deshalb nur einen Bruchteil des CO₂ speichern.

Walschutz jetzt!

Der IWF hat auch berechnet, wie viel jedem von uns ein Walleben wert sein müsste. Um zu den Beständen vor der Walfangperiode zurückzukehren – und die damit einhergehende Fähigkeit, der Atmosphäre jährlich 1,7 Milliarden Tonnen CO₂ zu entziehen –, müssten pro Kopf der Weltbevölkerung etwa 13 Franken pro Jahr aufgewendet werden.

Die Autoren des Berichts sind allerdings zuversichtlich, dass Uno, IWF und andere multilaterale Organisationen bereits heute die nötigen Institutionen und Verfahren kennen, die internationale Zusammenarbeit zu koordinieren und auch ärmere Länder beim Schutz der Wale zu unterstützen, fordern aber, die wirtschaftlichen Aspekte des Walschutzes ganz oben auf die Klimaagenda der Weltgemeinschaft zu setzen: «Wir schätzen, dass es ohne entsprechende Schritte mehr als 30 Jahre dauern würde, die Zahl der derzeitigen Wale zu verdoppeln – und mehrere Generationen, sie wieder auf ihre Vorwalfangzahlen zurückzuführen. So lange aber können wir nicht mehr warten.»

Dieser Beitrag erschien erstmals im doppelpunkt.
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