Das musst du wissen

  • Bisher wurde das Ausmass der Katastrophe von Deepwater Horizon anhand von Satellitenbildern festgemacht.
  • Doch das reicht nicht: Über Bilder können nur relativ hohe Ölkonzentrationen im Wasser festgestellt werden.
  • Ein Forschungsteam hat mithilfe neuer Methoden festgestellt, dass die Ölpest noch ein viel grösseres Gebiet vergiftet.

Am 20. April 2010 passierte im Golf von Mexiko der grösste Ölunfall der Geschichte. Es geschah auf der Ölbohrplattform Deepwater Horizon, von der aus in 5500 Metern Tiefe über Monate nach einer neuen Ölquelle gesucht wurde. Eine neue Quelle war gefunden und angebohrt worden. An diesem 20. April hatten die Arbeiter und Arbeiterinnen auf der Ölbohrplattform die neue Ölquelle fast fertig versiegelt – zu einem späteren Zeitpunkt sollte sie zur Ölförderung wieder geöffnet werden.
Doch gegen 22 Uhr passierte es: Eine grosse Menge an Erdgas trat aus, konnte durch die Zementierung hindurchgelangen und entzündete sich an Bord der Deepwater Horizon. Beim Feuer starben elf Personen – und die Bohrung geriet vollkommen ausser Kontrolle. In den folgenden 87 Tagen trat unkontrolliert Rohöl aus dem Bohrloch aus. Es bedeckte eine Meeresoberfläche von rund 149 000 Quadratkilometern im Golf von Mexiko, vergiftete das Wasser nachhaltig und liess Abertausende von Tieren verenden.
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Im Falle einer solchen Katastrophe sind Satellitenaufnahmen die schnellste und einfachste Methode, das Ausmass einer Ölpest aufzuzeigen. Diese Aufnahmen beeinflussten im Fall von Deepwater Horizon ausserdem die Zonen, die für die Fischerei gesperrt wurden. Doch nun ist klar: Die Zahlen, die in den letzten zehn Jahren von Wissenschaft, Fischereiindustrie, Politik und Medien akzeptiert und verbreitet wurden, schätzten nicht nur das Ausmass, sondern auch die Giftigkeit der Katastrophe als zu niedrig ein. Das hat eine neue Studie eines Forschungsteams von der UM Rosenstiel School in Miami gezeigt.

Science-Check ✓

Studie: Invisible Oil beyond the Deepwater Horizon satellite footprintKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie vereint als erste in Bezug auf die Ölkatastrophe von 2010 nicht nur die Resultate von 67 in-situ-Untersuchungen, sondern rechnete mit verschiedenen Modellen auch nach, wie weit sich das Öl hatte verbreiten können. Zudem analysierten sie die Giftigkeit von niedrigen Ölkonzentrationen für Organismen und Ökosysteme. Damit ist es auch die erste Studie, die den Unfall derart umfassend untersuchte. Sie ist sehr zuverlässig und bestätigt bisherige Annahmen. Sie kann das zusätzlich betroffene Gebiet aber nur ungefähr schätzen, da sie teilweise auf Berechnungen beruhen.Mehr Infos zu dieser Studie...

Co-Autor Igal Berenshtein erklärt in einer Mitteilung: «Wir sehen, dass ein grosser Teil des ausgetretenen Öls unsichtbar für die Satelliten und Luftaufnahmen waren. Denn auf diese Weise werden nur verpestete Stellen sichtbar, die eine genügend hohe Ölkonzentration aufweisen.» Da der Golf von Mexiko aber ein reges Gewässer mit vielen Strömungen ist, war ein Teil des Öls bald nicht mehr als Lache zu sehen, sondern hatte sich über Tröpfchen im Meer verteilt.

Das Team aus Meeresforschenden konnte dies feststellen, indem sie die damaligen Satellitenbilder nicht nur mit lokalen Wasser- und Sedimentproben verglichen, sondern auch mit Modellen nachrechneten, wie stark sich auch kleinere Mengen von Öl nach der Katastrophe verbreitet haben müssen.

Die Berechnungen unter Verwendung von Wetter- und Strömungsdaten und die lokalen Messungen deckten sich und zeigen, wie weit sich das Erdöl und die darin enthaltenen giftigen Stoffe verbreiteten.

Dabei fokussierten die Forschenden vor allem auf PAH (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe), also auf giftige Ölanteile, die unter der Einstrahlung von UV-Licht noch um ein Vielfaches schädlicher für Organismen werden. Giftige Ölbestandteile fanden sich gemäss früheren Studien an der Küste Westfloridas, der texanischen Küste, im Loop Current, einer Meeresströmung im Golf von Mexiko, und auf den Florida Keys. Das wurde nun durch die neuen Modellberechnungen bestätigt. Teilweise erstreckte gelangte das Öl zudem ungefähr 300 Kilometer weiter in Richtung Südwesten, als das die Satellitenaufnahmen bezeugten.
Besonders an der Küste Westfloridas konnten hohe Belastungen durch für Organismen schädliche Stoffe im Wasser, in Sedimenten, Sand und an Küsten ausgemacht werden. PAH wurde zudem in den Lebern von Fischen nachgewiesen.

Grafik und Karte zur PAH KonzentrationBerenshtein et al. 2020

Die linke Grafik zeigt die PAH-Konzentrationen, die für die unten genannten Tiere gefährlich sind. Auf der Karte rechts ist dargestellt, wo diese Konzentrationen zu finden waren. Nur was schwarz markiert ist, konnte auch von den Satellitenbildern erfasst werden

Die Katastrophe ist bereits passiert, die Zivilprozesse gegen BP und weitere beteiligte Firmen, darunter auch das Schweizer Ölbohrunternehmen Transocean, sind abgeschlossen. Doch die Studienergebnisse können gerade für zukünftige Ereignisse von zentraler Bedeutung sein.

Die von den Forschenden angewandte Berechnungsmodelle könnten es dann nämlich erlauben, die Verbreitung des Öls und damit die Bereiche, in denen sich für Lebewesen giftige Stoffe befinde, klarer zu umreissen. So kann vermieden werden, dass über den Konsum von vergiftetem Fisch auch Menschen potenziell gefährdet werden. Auch lassen sich so die zerstörerischen Folgen solcher Katastrophen auf einzelne Lebewesen und gesamte Ökosysteme sehr viel genauer bestimmen.

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