Das musst du wissen

  • Eine Zikaden- und eine Mottenart teilen sich die Reispflanze als Nahrungsquelle.
  • Die beiden Insekten lassen sich auf den gleichen Pflanzen nieder und haben dadurch ein geringeres Nahrungsangebot.
  • Dafür ergeben sich Vorteile in der gemeinsamen Feindabwehr, wodurch die Zusammenarbeit vorteilhaft wird.

«Die braune Zikade und die Reismotte» – das ist eine Geschichte wie aus einer Fabel. Die eine ist eine kleine Zikade, kaum einen Zentimeter gross. Die andere ist ein Falter mit perlweissen Flügeln. Beide Insekten sind gefürchtet: Sie lieben Reis und richten in den Reisfeldern verheerende Schäden an, weshalb sie von Landwirten besonders gefürchtet werden.

Warum ihre Beziehung so erstaunlich ist. Führt die gemeinsame Nahrungsquelle nicht zu einem Konkurrenzkampf zwischen den beiden Pflanzenfressern? Ganz und gar nicht: Die braune Zikade und die Reismotte fressen nicht nur friedlich nebeneinander, sondern unterstützen sich gegenseitig, um gemeinsam gegen die Abwehrmechanismen des Getreides anzukämpfen. Dies hat ein Forschungsteam der Chinesischen Akademie für Agrarwissenschaften und der Universität Neuchâtel herausgefunden und am 19. November in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Ted Turlings, der die Studie leitete, beschäftigt sich seit über drei Jahrzehnten mit den Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Insekten. Der Professor für chemische Ökologie an der Universität Neuenburg freut sich über die Ergebnisse:

«Zum ersten Mal wurde festgestellt, dass zwei Schädlinge dieselbe Pflanze fressen und das Teilen der gemeinsamen Ressourcen für beide Arten von Vorteil ist.»

Die Idee mag kontraintuitiv erscheinen: Eine nicht befallene Pflanze ist attraktiver, sie bietet mehr und bessere Nahrung. «Aber wenn man es im Detail betrachtet, ist es völlig logisch», ergänzt der Forscher.

Direkter und indirekter Nutzen. Das Zusammenleben der Braunen Zikade oder Nilaparvata lugens mit der Reismotte, wie Chilo suppressalis im Volksmund heisst, verschafft ihnen zwei Vorteile. Durch das Saugen von Pflanzensaft unterdrückt die Zikade in der Pflanze die Expression bestimmter Gene, die mit der Verteidigung zusammenhängen, darunter auch solche, die für Substanzen kodieren, die für die Raupen der Reismotte giftig wären.

Der zweite Nutzen ist indirekt. Ted Turlings:

«Doppelt befallene Pflanzen sind für die natürlichen Feinde der Schädlinge deutlich weniger attraktiv.»

Pflanzen haben mehr als einen Trick in ihren Stängeln. Wenn Reis angeknabbert wird, produziert er flüchtige Substanzen, die eine winzige Wespe, Trichogramma japonicum, anlocken, die ihre Eier gerne in die Eier der Reismotte legt. Das Ergebnis ist, dass anstelle einer Reismotten-Raupe eine neue Wespe aus dem Ei schlüpft. Doch unter dem gemeinsamen Angriff der Zikade und der Reismotte ändert sich das Verhältnis der verschiedenen Duftmoleküle. Und der daraus resultierende Geruch ebenfalls. Da die Wespe auf einen bestimmten Geruch reagiert, wird sie nicht mehr von den doppelt befallenen Pflanzen angezogen, so dass die Schädlinge sich satt fressen und gedeihen können.

Neue Strategien für die Landwirtschaft? In einer früheren Studie hatte das Team um Ted Turlings nachgewiesen, dass Zikadeneier auf Pflanzen, die von Reismotten befallen sind, weniger häufig Opfer von parasitären Wespen werden. Ihre neue Untersuchung zeigt, dass dies auch umgekehrt der Fall ist.

Laut Turlings, der sich auch mit Baumwolle und Mais beschäftigt, sind neue Strategien zur Bekämpfung dieser Schädlinge denkbar, indem resistentere Reispflanzen durch Kreuzung oder transgene Methoden gezüchtet werden.

Wie kann man diese unerwartete Beziehung beschreiben, wenn es um interspezifische Konkurrenz geht, also um den Wettbewerb zwischen zwei verschiedenen Arten um die gleiche Ressource? Zwischen Pflanzenfressern gibt es zwar Nutzenbeziehungen, aber nur eine Art profitiert davon, weshalb man auch von einseitiger Erleichterung spricht.

Im Fall der Reismotte und der Zikade hat die beidseitige Kooperation noch keinen Namen. Sie erinnert jedoch an den ersten Vers der Fabel «Der Esel und der Hund»: «Man muss einander helfen, das ist das Gesetz der Natur.»

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

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Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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