Die Lebensmittel werden knapp, die Preise steigen an. Seit der russischen Invasion sind ukrainische Felder von Panzerspuren durchzogen und liegen brach, Handelswege sind abgeschnitten. Die Folgen davon sind weltweit zu spüren. zehn Prozent der globalen Getreideproduktion, 13 Prozent der Gerste, 15 Prozent des Mais und über die Hälfte des weltweit gehandelten Sonnenblumenöls kommen aus der Ukraine, wie die Europäische Kommission zusammenrechnete.
Solche Knappheiten werden in Zukunft auch ohne Krieg häufiger werden. Die Klimaerwärmung lässt die Ackerflächen schrumpfen und fördert extreme Wetterereignisse, welche die Erträge schmälern können. Der globale Süden wird davon besonders betroffen sein.
Eine Lösung ist, die Lebensmittel, die wir haben, besser zu nutzen. Denn rund ein Drittel davon landet als Foodwaste im Abfall.
Das ist nicht nur ein immenses ungenutztes Potenzial. Bleibt das Problem ungelöst, stellt es auch eine ungeheure Gefahr dar, denn es befeuert den Klimawandel zusätzlich. «Wären Food Loss und Food Waste ein Land, sie wären die drittgrösste Quelle von Treibhausgasemissionen», stellt die Uno in einem Bericht fest.
Auch in der Schweiz trägt Foodwaste erheblich zum ökologischen Fussabdruck bei. Die Umweltbelastung durch vermeidbare Lebensmittelabfälle ist etwa halb so gross, wie die des gesamten motorisierten Individualverkehrs in der Schweiz. In anderen Worten: Wenn eine Schweizerin ein Jahr ohne Lebensmittelabfälle auskommt, hat das denselben Effekt wie ein halbes Jahr auf Auto und Motorrad zu verzichten.
Bisherige Massnahmen reichen nicht aus
Doch wie kann man Foodwaste verhindern? Diese Frage stellte sich auch die Schweiz. Sie will vermeidbare Lebensmittelabfälle bis 2030 halbieren – ein ambitioniertes Ziel, für dessen Erreichen die aktuellen Bemühungen nicht ausreichen werden. Das stellt das Schweizer Bundesamt für Umwelt (BAFU) in einem neuen Aktionsplan fest.
Was der Aktionsplan ebenfalls feststellt: Eine simple Lösung, um das Ziel zu erreichen, gibt es nicht. Vom Anbau über die Produktion bis zum Verkauf und letztlich dem Konsum sind unzählige Akteure involviert – und in der heutigen globalisierten Welt sind diese zudem häufig noch über verschiedene Länder verstreut.
Eine Auswahl an Schweizer Projekten gegen Foodwaste findest du in der Bildstrecke:
Es gebe zwar zahlreiche Initiativen und Bemühungen, Foodwaste zu reduzieren, doch haben sie zumeist eine «lokale Wirkung und bewegen sich im Nischenbereich.» Um wirkungsvoll zu handeln, müssten diese Massnahmen skaliert werden.
Was wird bereits getan und wo kann man laut Aktionsplan ansetzen? Wir schauen es uns entlang der Stationen eines Nahrungsmittels – etwas vereinfacht – vom Bauernhof bis auf den Teller oder den Mülleimer der Schweizer Bevölkerung an.
Die folgende Grafik zeigt, wo in der Schweiz auf diesen Stationen am meisten Foodwaste entsteht. Die Rangliste wird angeführt von der Verarbeitung. Dann folgen Haushalte und Landwirtschaft.
«Man sieht eindeutig, dass in Industriestaaten viel mehr Foodwaste am Ende der Nahrungsmittelkette anfällt und in den Entwicklungsländern viel mehr am Anfang», erklärt Claudio Beretta, der an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zum Thema Foodwaste forscht.
Das liegt nicht nur daran, dass man sich in wohlhabenderen Ländern eher leisten kann, Lebensmittel schlecht werden zu lassen: «In den ärmeren Ländern fehlt oft das Know-how und vor allem die Technologie, um optimal zu ernten oder zu lagern.»
In der Schweizer Landwirtschaft entstehen vermeidbare Abfälle hingegen meistens, weil die Ernte nicht den – nach Ansicht des Schweizer Bauernverbandes (SBV) «strengen» – Handelsvorschriften entspricht. Das bedeutet: Das Gemüse oder die Frucht wäre zwar geniessbar, sieht aber nicht schön genug aus, um verkauft zu werden.
Der zweite wichtige Grund für Foodwaste in der Schweizer Landwirtschaft ist laut dem SBV die Überproduktion. Das sei vor allem bei schnell verderblichen Frischprodukten wie Salat, dessen Wachstum und Konsum zudem stark vom Wetter abhängig ist, der Fall.
Es gibt bereits Organisationen, die diese Probleme erkannt haben und die krumme Gurke oder den überschüssigen Kopfsalat direkt weiterverkaufen oder gratis an Bedürftige verteilen. Der Bund schätzt das Umweltpotential dieser Bemühungen als gross ein – sie müssten aber grösser angelegt und organisiert sein.
Grossverteiler Coop bietet Früchte und Gemüse, die nicht den Normen entsprechen, unter speziellem Label an. Doch das ist aktuell gemäss Aktionsplan kaum mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein: «Die Volumina solcher Massnahmen decken aktuell nur einen Bruchteil der Menge an Lebensmittelverlusten ab.»
Verkauft und vergessen
Stehen die Lebensmittel einmal in den Regalen der Detailhändler, verlassen sie diese äusserst selten als Abfall. «98,56 Prozent der Lebensmittel, die die Migros in ihren Läden und in der Gastronomie anbietet, werden auch als Lebensmittel verkauft oder abgegeben», teilt Patrick Stöpper, Mediensprecher des orangen Riesen, mit.
Ähnlich klingt es bei Coop: «Am Ende werden nur etwa 0,2 Prozent der Lebensmittel in unseren Supermärkten nicht verkauft oder gespendet und als Tierfutter oder zu Biogas verwertet», so Melanie Grüter, Mediensprecherin des Detailhändlers.
Beide betonen, Lebensmittelabfälle verhindern zu wollen. Sie arbeiten dazu mit verschiedenen Organisationen wie der «Schweizer Tafel» oder «Tischlein deck dich» zusammen, die unverkaufte Esswaren an Bedürftige verteilen.
Trotzdem könnte hier mehr getan werden, stellt das Bafu fest. «Die rund 10 000 Tonnen gespendeten Lebensmittel im Jahr 2018 entsprechen nur rund sieben Prozent der 138 000 Tonnen vermeidbaren Lebensmittelabfälle, welche im Detailhandel anfallen», so der Aktionsplan. Um mehr zu erreichen, fehlten vor allem finanzielle Ressourcen.
Die meisten Lebensmittel finden also den Weg vom Verkaufstresen in die Kühlschränke der Kundschaft. Und landen damit dort, wo Foodwaste besonders einfach verhindert werden könnte.
Häufig wurde zu einem früheren Zeitpunkt zu viel eingekauft. Foodwaste-Forscher Beretta erklärt, warum das für die Schweiz besonders gilt: «Konsumierende können sich leisten, mehr einzukaufen, als sie benötigen.»
Weshalb denn nicht gleich beim Preis ansetzen? Etwa, indem man externe Kosten wie die Schäden durch die Umweltbelastung der Lebensmittelproduktion auf den existierenden Preis dazurechnet? Eine solche Lösung wischt der Aktionsplan schnell beiseite: Die Berechnung des Preisaufschlags sei zu komplex und politisch nicht durchsetzbar.
Neben den Konsumierenden bestehen auch für die Läden die falschen Anreize. Ob die Kundschaft die Produkte nach dem Kauf wirklich konsumiert, sei für die Detailhändler unwichtig, so Beretta: «Jedes Produkt, das der Detailhandel verkauft, bringt mehr Gewinn – egal, ob das es im Abfall landet oder nicht.»
Um nicht in diese Falle zu treten, gibt es einfache, aber effektive Lösungen. «Mit simplen Verhaltensweisen, wie vor dem Einkaufen in den Kühlschrank zu schauen, kann man immense Umweltverschwendungen verhindern», sagt Beretta.
Auch die Detailhändler können dabei helfen. Geplant ist etwa eine Ergänzung der Mindesthaltbarkeitsdatum mit dem Zusatz «oft länger gut» bei Esswaren, bei denen das zutrifft.
Was man sonst tun kann: Einkäufe gut planen, Lebensmittel richtig lagern oder die Haltbarkeitsdaten kennen. Zudem sind viele Lebensmittel noch gut geniessbar, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist.
International hinkt die Schweiz hinterher
Klar ist für Beretta auch, dass andere europäische Länder schon einige Schritte weiter sind als die Schweiz, speziell die skandinavischen Länder oder die Niederlande.
«Norwegen und Grossbritannien gelten als wichtige Vorreiter. Beide haben seit über zehn Jahren freiwillige Vereinbarungen mit Wirtschaftsakteuren abgeschlossen», hält auch der Schweizer Aktionsplan fest.
Bis 2030 will die Schweiz nun kräftig aufholen. Ist das Halbierungsziel zu ambitioniert? Wenn man sieht, wo die Vorreiterstaaten nach zehn Jahren Arbeit stehen, dann ist für Foodwaste-Experte Beretta klar: Gehe es im aktuellen Tempo weiter, «dann kann ich mir nicht vorstellen, dass die Schweiz die Ziele erreicht.» Den Aktionsplan hält er zwar für sehr gut, doch «der Schritt zu den Taten ist noch gross.»
Die Vermeidung von Foodwaste müsse politisch viel stärker gewichtet werden: «Man müsste viel mehr Geld in Vermeidungsmassnahmen und ein Monitoringsystem zur Fortschrittsmessung investieren. Gesamtwirtschaftlich würde sich das längst lohnen, denn die verschwendeten Lebensmittel kosten die Schweiz jedes Jahr einige Milliarden Franken.»