Das musst du wissen
- Im All schwirren mehrere tausend Telekommunikationssatelliten umher, die den wissenschaftlichen Betrieb stören.
- Da die Zahl immer mehr zunimmt, verlangen Astronomen, dass die Industrie mehr Rücksicht auf die Forschung nimmt.
- Mit einem Bericht machen sie auf ihr Anliegen aufmerksam. Dieser enthält auch Vorschläge für rechtliche Regulierungen.
Warum es wichtig ist. Das Problem der Lichtverschmutzung ist nicht neu: Die Milchstrasse ist in unseren Städten aufgrund der nächtlichen Beleuchtung schon lange nicht mehr mit blossem Auge sichtbar. Dieses Problem, das auch die Artenvielfalt sehr betrifft, erhält mit der dramatischen Vervielfachung der Zahl von Satelliten eine neue Dimension für die Weltraumbeobachtung – die die wissenschaftliche Beobachtung ernsthaft zu behindern droht.
Der dreistufige Ablauf.
- Im Oktober 2020 trafen sich 950 professionelle Astronomen unter der Ägide der Internationale Astronomische Union IAU, um einen Bericht zur Natur des Problems sowie über mögliche Wege zur Verbesserung der Situation zu verfassen.
- Vom 19. bis 30. April 2021 fand in Wien eine Vorbesprechung des UNO-Ausschusses für die friedliche Nutzung des Weltraums COPUOS statt, um die endgültige Version des Berichts zu diskutieren, die der UNO vorgelegt werden soll.
- Dieses Plenum, in dem die endgültige Version des Berichts diskutiert wird, findet im August 2021 statt.
Marc Audard, Dozent für Astrophysik an der Universität Genf und Vizepräsident der Schweizerischen Astronomischen und Astrophysikalischen Gesellschaft, kommentiert die Vorschläge des Berichts:
«Es geht darum, die Anzahl, den Ort und die Leuchtkraft dieser Objekte aufzulisten, damit wir Beobachtungen ausserhalb ihres Durchgangs planen können, aber nicht nur. Bei der Bestandsaufnahme geht es auch um Informationen, die erlauben, die Auswirkungen auf astronomische Beobachtungen zu minimieren: zum Beispiel maximale Intensität und Betriebshöhe.»
Der Run auf den Weltraum. SpaceX-Chef Elon Musk, der in den sozialen Netzwerken gerne radikale Aussagen macht, hat sich den Zorn der Fachwelt zugezogen. Allen voran Didier Queloz, der Physik-Nobelpreisträger 2019, der mit Michel Mayor für die Entdeckung des ersten Exoplaneten ausgezeichnet wurde. «Die Astronomie wurde vor 5000 Jahren in Mesopotamien geboren und wird derzeit durch Profitgier zerstört», schrieb er auf Twitter, ohne den Milliardär zu nennen.
Astronomy born in Mesopotamia 5000 year ago being destroyed right now by greed https://t.co/qZj2lLHiEZ
— Didier Queloz (@DidierQueloz) April 14, 2021
Der Zwist geht auf eine lapidare Aussage des Unternehmers im Jahr 2019 zurück, der sagte:
«Wir müssen die Teleskope sowieso in die Umlaufbahn bringen.»
Aber das Problem ist, dass die Wissenschaftler, die sowohl terrestrische als auch Teleskope im Weltraum nutzen, sich nicht einig sind. Vor allem, weil terrestrische Teleskope, trotz der Abschwächung einiger Wellenlängen durch unsere Atmosphäre, in mehrfacher Hinsicht interessant bleiben. Marc Audard veranschaulicht:
«Weltraumteleskope sind generell teurer. Und falls ein Problem auftritt, ist es schwieriger sie zu reparieren. Ein Beispiel ist das Herschel-Weltraumteleskop, bei dem ein technisches Problem mit seinem HIFI-Instrument von der Erde aus gelöst werden musste. Einige Weltraumteleskope befinden sich in Umlaufbahnen, in denen es nicht mehr möglich ist, sie zu bergen. Es ist einfacher, ein Teleskop auf der Erde auf den neuesten Stand der Technologie zu bringen.»
Der Astronom Eric Lagadec, Forscher am Lagrange-Labor des Observatoire de la Côte d’Azur und Präsident der französischen Gesellschaft für Astronomie und Astrophysik, stimmt dem zu: «Im Gegensatz zu dem, was Elon Musk denkt, bleibt die terrestrische Astronomie sehr wichtig. Als Beispiel können wir uns daran erinnern, dass es ein Netzwerk von acht terrestrischen Teleskopen war, das die emblematische Konstruktion des ersten Bildes eines Schwarzen Lochs ermöglichte.
David Ehrenreich, Astrophysiker und Professor an der Universität Genf und wissenschaftlicher Leiter der CHEOPS-Mission – bei dem das CHEOPS-Weltraumteleskop nach Exoplaneten sucht – in Genf, doppelt nach:
«Elon Musk hat behauptet, dass die Astronomie der Zukunft im Weltraum stattfinden wird. Aber die Erfahrung mit CHEOPS zeigt, dass wir im Weltraum, sogar auf einer Umlaufbahn von 700 Kilometern, durch Satelliten oder Weltraummüll im niedrigen Orbit behindert werden.»
Die Situation. Eric Lagadec illustriert:
«Heute gibt es keine internationale Regel zur Vermeidung von Lichtverschmutzung. Es ist jedoch wichtig, dass die Industrie die Bedürfnisse der professionellen Astronomen berücksichtigt und dass wir die verursachten Störungen quantifizieren können, um sie zu verringern.»
«Die Störungen sind für terrestrische Teleskope, die ein weites Sichtfeld haben, besonders gross. Darunter wird auch das zukünftige LSST leiden, das in Chile im Bau ist», ergänzt Marc Audard.
Es ist nicht nur eine Frage der Lichtverschmutzung. «Die Telekommunikation dieser Satelliten – die den Zugang zum Internet ermöglicht – kann auch den Betrieb von Radioteleskopen am Boden stören und die beobachteten Signale beeinträchtigen», sagt Eric Lagadec.
Im Weltraum gebe es zudem die Gefahr von Kollisionen, sagt David Ehrenreich.
«Abgesehen von den Störungen bei der Beobachtung, zwingt uns dies auch zu Ausweichmanövern, um eine Kollision zu vermeiden. Die europäische Weltraumorganisation ESA hat seit 2019 bereits drei Alarme ausgelöst, wovon einer zu einem Manöver führte. Das bedeutet natürlich einen grossen Zeitverlust für den wissenschaftlichen Betrieb.»
Das Schlimmste steht uns noch bevor. Das Problem ist, dass der Weltraum heute der wilde Westen ist. Manche Menschen würden den Sternenhimmel gerne als Unesco-Weltkulturerbe gelistet sehen, aber der Weltraum befindet sich technisch gesehen nicht auf der Erde und kann daher diesen Status nicht erhalten. Heute steht es jedem Staat frei, die Platzierung dieser Satellitenkonstellationen im Orbit zu genehmigen. In den Vereinigten Staaten ist die Bundeskommunikationskommission FCC zwar eher streng, doch sie wird SpaceX oder Amazon nicht daran hindern, Zehntausende dieser Geräte in den Orbit zu bringen.
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Marc Audard ist besorgt: «Heute können wir noch Beobachtungen multiplizieren und sie übereinanderlegen, um unerwünschte Artefakte und Lichtspuren auszublenden. Aber wird das mit 10- bis 100-mal mehr Satelliten noch möglich sein?»
David Ehrenreich bietet seinerseits eine Analogie an:
«Covid-19 hat exponentielles Wachstum in den Vordergrund gerückt. Nun wächst die Anzahl dieser Satelliten im Weltraum exponentiell. Morgen wird die Situation sicherlich noch unter Kontrolle sein, aber übermorgen? Wenn es keine starke Regulierung gibt, werden jeder Kontinent, die Vereinigten Staaten, aber auch Europa, Russland und China, anfangen selbst zu handeln.»
Was ist zu erwarten. Was können wir von der Diskussion bei der UNO erwarten? Das Ganze hat vor allem symbolischen Charakter: Es soll ein neues Bewusstsein schaffen, so die Fachleute. «Das ist umso wichtiger, als die aktuellen Ereignisse regelmässig zeigen, dass die Grossmächte die UNO-Resolutionen nicht immer ernst nehmen», sagt Eric Lagadec.
Marc Audard stimmt zu:
«Wir werden die Privatwirtschaft nicht zwingen können. Aber wir können zumindest versuchen, sie und die Staaten zu überzeugen.»
Das Problem für die Allgemeinheit. «Der Sternenhimmel wird nicht nur von Astronomen beobachtet, sondern auch von einem breiten Publikum», sagt Eric Achkar, Präsident der Genfer Astronomischen Gesellschaft. Mit dem Biologen Pascal Moeschler haben sie 2019 die Veranstaltung «Die Nacht ist schön» ins Leben gerufen. Ihr Ansatz ist, die Beleuchtung punktuell abzuschalten und so zum Nachdenken über ihre vielfältigen Auswirkungen anzuregen.
«Ziel ist, das Bewusstsein zu wecken. Mit Pascal Moschler haben wir eine neue Disziplin, die Noctilogie, gegründet. Sie beabsichtigt einen interdisziplinäreren Ansatz für das Funktionieren nächtlicher Landschaften zu entwickeln. Zwischen Ingenieuren, Astronomen, Biologen, Ärzten, Soziologen, lokalen Behörden und weiteren interessierten Kreisen soll ein Austausch stattfinden.»
«Wir könnten uns auch vorstellen, den Astrotourismus in bestimmten Gebieten zu entwickeln, die noch geschützt sind, zum Beispiel in Afrika», stellt sich Eric Lagadec vor. Für David Ehrenreich:
«Wir können vor allem auf eine Sensibilisierung der Bürger hoffen, ähnlich wie bei der Ökologie, um Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben.»