Als Podcast anhören

Zwei Phänomene sind aus vielen politischen, gesellschaftlichen, aber auch persönlichen Diskussionen bekannt. Erstens: Je öfter jemand ein Argument hört, desto eher glaubt er es. Desto eher wird selbst eine offensichtliche Lüge zur «gefühlten Wahrheit». Das sehen wir am Erfolg von Politikern wie Wladimir Putin oder Donald Trump; aber auch bei Corona-Leugnern, Klima-Skeptikern und Impf-Gegnerinnen.

Zweitens: Hat sich ein griffiges Argument – auch wenn es faktisch falsch ist – erst mal im Kopf eines Menschen festgesetzt, prallt die korrekte Information an einer Wand aus Gegenargumenten und Vorurteilen ab. Das sehen wir zum Beispiel am sehr bescheidenen Erfolg der gross aufgezogenen nationalen Impfkampagne. Aber auch bei anderen Diskussionen, in denen die Wissenschaft klare Antworten hat, grosse Teile der Bevölkerung aber etwas anderes glauben. Zum Beispiel zur Schädlichkeit von 5G-Sendemasten oder gentechnisch veränderten Lebensmitteln.

Akzeptanz schafft man nicht mit PR-Gewitter, sondern mit Dialog

Was gegen Falschinformation und Vorurteile hilft, ist bekannt: das Gespräch von Mensch zu Mensch – oder auch in kleinen Gruppen. Wenn man sein Gegenüber nicht einfach mit Informationen zumüllt, sondern auf seine Argumente, Absichten und Bedürfnisse eingeht, kann man Meinungsunterschiede überbrücken und letztlich zur Aufklärung beitragen.

Übertragen auf aktuelle Diskussionen wie zum Beispiel die Frage «Impfen ja oder nein» bedeutet das, man müsste mit Tausenden von Menschen gleichzeitig diskutieren, sie ernst nehmen, auf sie eingehen. Dass dies nicht möglich ist, ist offensichtlich, weil man nicht Tausende gut informierte Forschende ans Telefon oder in Social-Media-Foren setzen kann, um mit Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren.

Allerdings tun genau dies Corona-Leugner, Klima-Skeptiker oder Impf-Gegnerinnen. Ein Heer von Freiwilligen, die auf Facebook, Twitter, Tiktok, Instagram, Telegram und so weiter unablässig dieselben Falschargumente wiederholen. Und nicht selten werden die Falschinformationen auch automatisch in die Diskussionen eingebracht: von Bots, also Computerprogrammen, die dem Menschen einen Dialog simulieren. Dies hat zum Beispiel eine Analyse der NZZ gezeigt, die die aktivsten Corona-Skeptiker der Schweiz auf Telegram analysiert hat. Der zweitaktivste Kanal wurde nicht von einem Menschen, sondern von einem Algorithmus bewirtschaftet. Darum fordere ich, dass auch die Wissenschaft Bots benutzt, um aufzuklären.

Chatbots für die Wissenschaft

Genau das hat jetzt eine internationale Gruppe von Forschenden gemacht. Mitbeteiligt ist Wissenschafts- und Medizin-Ethiker Aurélien Allard von der Universität Genf. Sie haben einen Chatbot entwickelt, der mit Menschen diskutiert. Getestet haben sie ihren Prototypen am Thema gentechnisch veränderte Lebensmittel. Dies geschah allerdings noch nicht in dem Sinn, dass der Mensch irgendein Gegenargument vorbringen konnte und der Bot darauf intelligent reagiert. Vorerst bot er eine Unzahl von Argumenten gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel an. Also zum Beispiel: Die Wissenschaft weiss noch zu wenig darüber. Die Produkte verursachen Allergien. Die Pflanzen sind eine Gefahr für das Ökosystem und so weiter. Daraus konnten die Testpersonen jenes Argument gegen die Technologie auswählen, das für sie das wichtigste ist. Darauf reagierte der Bot mit sachlichen Gegenargumenten. Wenn der Mensch das Thema wechselte, reagierte der Bot ebenfalls.

Grösster Meinungsumschwung bei den härtesten Gegnern

Das Ergebnis des Experiments, das vorerst mit 600 Personen durchgeführt wurde: Erstens bringt es am meisten, wenn die Leute nicht nur den Hauptargumenten der Diskussion ausgesetzt werden, sondern wenn sie möglichst viele Elemente ihrer bestehenden ablehnenden Haltung in die Diskussion einbringen konnten. So fühlten sie sich ernst genommen und waren offener für die wissenschaftlichen Fakten.

Zweitens – und das überrascht mich: Den grössten Meinungsumschwung vollzogen die härtesten Gegner.

Getestet wurde der Bot zunächst für Gentechpflanzen und die Covid-Impfung. Aber es weckt Hoffnung für sämtliche Themen, bei denen zwischen der wissenschaftlichen Erkenntnis und der öffentlichen Meinung eine Differenz besteht.

Kritik an der Studie

Einschränkend bleibt zu sagen, dass die Studie noch ein paar Schönheitsfehler hat. Es war, wie schon gesagt, ein Laborexperiment mit 600 Teilnehmenden. Und unklar ist, ob der in der Befragung ermittelte Meinungsumschwung auch zu einer veränderten Haltung oder konkreten Handlungen im realen Leben führt. Legt also ein Gentechgegner seine Abneigung gegen diese Lebensmittel ab, lässt sich eine Impfgegnerin nach dem Dialog mit dem Chatbot impfen? Und offen ist auch, wie der Chatbot in die Diskussionen auf den verschiedenen Plattformen integriert werden kann.

Auch die Wissenschaft soll modernste Kommunikationsmittel nutzten

Das findet man nur heraus, wenn man diese Bots weiterentwickelt und in den Echokammern der Vorurteile auftreten lässt. Das mag wie Cyberkampf klingen. Ist es auch. Aber in diesem Fall sind es keine Cyberattacken, um Desinformation zu verbreiten oder Menschen, Firmen und Staaten zu erpressen, sondern es ist ein Mittel für die Aufklärung, für die Wissenschaft.

Aufgrund meiner Erfahrungen aus den unzähligen Diskussionen, die ich in den vergangenen zwei Corona-Jahren mit skeptischen Kreisen geführt habe, fordere ich, dass die Wissenschaft ihre Kommunikationsmittel stark modernisiert. Dass solche Bots sogar so intelligent gebaut werden, dass die Menschen nicht mehr unterscheiden können, ob sie mit einem Menschen oder einer Maschine diskutieren – so, wie es die Gegenseite tut.

Natürlich werden sich über solche Fragen die Wissenschafts-Ethiker noch die Köpfe zerbrechen. Aber wenn die Wissenschaft bei ihrer Kommunikation nicht dieselben Mittel anwendet wie die Desinformationskanäle, kann sie ihre Fakten noch lange ins Netz stellen: den Kampf um die Meinungen hat sie aber verloren. Darum fordere ich den «Bot für das Gute».

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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