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Die Verwunderung war gross, als wir zu Beginn der Pandemie erfahren mussten, dass die Meldungen der Fallzahlen per Fax zum Bundesamt für Gesundheit gelangen. Man fragte sich, ob denn die Bundesverwaltung die Digitalisierung komplett verschlafen hat. Diesem Gefühl stehen die vielen und zum Teil Jahre dauernden Bemühungen des Bundes und der Kantone gegenüber, die Digitalisierung voranzutreiben.

Ein regelrechter Augenöffner war dann die Abstimmung vom letzten Jahr über das Gesetz zur elektronischen Identitätskarte, der sogenannten E-ID. Diese sollte von Privaten betrieben werden. Bundesrat und Parlament waren für die Vorlage, die Stimmberechtigten lehnten sie ab.

Da drängt sich die Frage auf: Haben Behörden und Bevölkerung andere Erwartungen, andere Vorstellungen bezüglich der Digitalisierung?

Dies hat nun eine repräsentative Umfrage mit 1254 Personen in der Deutschschweiz geklärt, die eben im Januar veröffentlicht worden ist. Sie entstand im Auftrag des Schweizer Wirtschaftsverbands der ICT- und Online-Branche (Swico). Die Resultate sind eindeutig: Die Bevölkerung hat bei der Digitalisierung andere Sorgen und Prioritäten als Politik und Behörden.

Judith Bellaiche, Swico-Geschäftsführerin und Mitglied der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit, fasst es so zusammen:

«Der Bundesrat hat die Digitalisierung lange vernachlässigt.»

Die offizielle Schweiz redet über die digitale Verwaltung und den digitalen Staat. Es geht um virtuelle Schalter und um das digitale Unterschriftensammeln (E-Collecting) und Abstimmen (E-Voting).

Bedürfnis nach Sicherheit

Die Bevölkerung sorgt sich aber um die Cybersicherheit sowie die digitale Gewalt, Cybermobbing, Cyberstalking, Hassrede, Gewaltandrohung oder Diskriminierung. Und ihr geht es um den Schutz der persönlichen Daten.

So glauben lediglich dreissig Prozent, dass die Schweizer Unternehmen genügend vor Angriffen durch Schadsoftware und ähnlichem geschützt seien. Ebenfalls nur 28 Prozent der Befragten schätzen die Cybersicherheit der kritischen Infrastruktur und der Verwaltung in der Schweiz als ausreichend ein. Und gerade mal 16 Prozent erachten die Bekämpfung digitaler Gewalt durch die Behörden als ausreichend.

Gut sechzig Prozent der Frauen und fünfzig Prozent der Männer geben an, dass sie sich nicht ausreichend zu schützen wüssten, wenn sie selbst Zielscheibe digitaler Gewalt würden. Die Schaffung von digitaler Sicherheit und von digitalen Kompetenzen sieht die Bevölkerung als Schlüsselaufgabe des Staats.

Schlecht gerüstet in Bildung und KMU

Defizite sehen die Befragten auch im Bildungssystem. Dass sie damit richtig liegen, hat sich deutlich gezeigt, als die Schulen auf Fernunterricht umstellen mussten und damit lange ihre liebe Mühe hatten. Weniger als die Hälfte der Befragten glaubt, dass Schülerinnen und Schüler in der Schweiz ausreichend auf die digitalen Berufsbilder der Zukunft gerüstet sind.

Neben den Schulen sehen die Befragten auch bei der Verwaltung und den KMU einen Mangel an digitalen Kompetenzen. Genügend digitale Kompetenzen werden einzig den grossen Unternehmen zugeschrieben.

Mehr Tempo bei Sicherheit gefordert

Zuletzt wurde die Frage gestellt, ob der Staat die digitale Entwicklung beschleunigen oder drosseln soll.

Drei Viertel der Befragten verlangten mehr Tempo bei der Schaffung von Cybersicherheit und bei der Bekämpfung digitaler Gewalt. Gut sechzig Prozent wollen mehr Tempo im Bildungsbereich und bei der Verwaltung. Weniger Tempo wird noch am ehesten bei der Entwicklung der digitalen Demokratie gewünscht, also genau dem Bereich, den die Politik bisher favorisiert hat.

Die Antworten waren recht einheitlich durch das gesamte politische Spektrum der Befragten. Unterschiede gab es nur bei der Haltung zum E-Voting: Zwar halten sechzig Prozent der Befragten das elektronische Abstimmen für wichtig. Aber politisch rechtsstehende Personen hegen gegenüber dem E-Voting die grösste Skepsis. Zustimmung findet es im linken Lager.

Hingegen stehen beide politische Pole rechts und links dem E-Collecting, dem elektronischen Stimmensammeln, positiv gegenüber. Kritisch ist hier die politische Mitte.

Fazit: E-Voting und der elektronische Behördenschalter sind ja gut und recht. Doch die ganze Digitalisierung nützt wenig, wenn die Bevölkerung der Sicherheit nicht traut. Damit die digitale Schweiz gelingt, muss der politische Fahrplan dringend angepasst werden.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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