Es ist eine Wandlung wie vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan: Stinkende, faulige Küchenabfälle verwandeln sich in Energie in Form von Gas, Strom oder Wärme. Doch wie passiert das eigentlich genau?
Es beginnt mit einer Entscheidung: Wirfst du das abgenagte Kerngehäuse einer Birne in den Abfall, richtest du dir einen eigenen Kompost ein – oder entsorgst du sie als Bioabfall?
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In der Schweiz landen jährlich pro Kopf 20 Kilogramm Abfälle im Grüngut. Das ist rund ein Viertel der Lebensmittelabfälle – drei Viertel enden immer noch im Kehricht und können somit energetisch nur teilweise genutzt werden, wie eine Studie, die im Auftrag des Bundesamts für Umwelt durchgeführt wurde, ergab.
Dazu trägt bei, dass es kein national einheitliches System zur Entsorgung des Bioabfalls gibt. In jedem Kanton wird das ein wenig anders geregelt. In Zürich zum Beispiel kannst du dir ein Bioabfall-Abo kaufen. Du erhältst dafür einen Container für deinen Grünabfall, der in regelmässigen Abständen geleert wird. In Basel kann man nur Gartenabfälle abholen lassen. Deine Küchenreste kannst du dort bei der nächsten Bioklappe einwerfen (https://www.aue.bs.ch/abfaelle/haushaltsabfaelle/bio-klappe.html). Die Endstation der Abfälle ist aber überall die gleiche: die nächstgelegene Biogasanlage. Ausser in Basel-Stadt, Uri, Nidwalden, Glarus und Appenzell Ausserrhoden findet sich in jedem Kanton eine Biogasanlage. Dort werden nicht nur Rüst- und Speisereste verwertet, sondern auch Öle und Fette aus den Gastrobetrieben, Pflanzen- und Erntereste sowie Tiermist und Gülle.
Ein überdimensional grosser Kuhmagen
Was passiert in der Biogasanlage? Im Grunde ist die Biogasanlage ein grosser Kuhmagen. Denn wie während der Verdauung der Wiederkäuer wandeln Mikroorganismen in der Biogasanlage die Biomasse in Methan, Wasser und CO₂ um. Und wie im Magen von Kühen durchläuft die Masse dabei mehrere Stufen, damit sie möglichst vollständig abgebaut wird.
Diese Prozesse spielen sich im Fermenter ab. Wie der Name schon verrät, werden die Küchenabfälle hier vergärt, oder eben: fermentiert. Eine bunte Mischung von Mikroorganismen tummelt sich im Fermenter und vollbringt Erstaunliches. Die Vielfalt an Mikroorganismen ist so gross, dass sie sich nicht einmal genau auf Art-Niveau bestimmen lassen. Da gäbe es zum Beispiel die Abteilung der Spirochaetae, zu denen zahllose korkenzieherförmige Bakterien gehören. Oder die Gattung der Methanosarcina, deren Vertreter Methan bilden. Die Mikroorganismen mögen es aber alle dunkel und warm, deswegen herrschen im Fermenter Temperaturen von 40 bis 75 Grad. Bei diesen Temperaturen laufen die biochemischen Prozesse am effizientesten ab. Was die vergärenden Mikroorganismen aber nicht mögen, ist Sauerstoff. Denn sie gewinnen ihre Energie nicht durch Atmung, sondern durch eben jenen Abbau der Biomasse. Es sind also anaerobe Lebewesen und das ist auch der Grund, warum im Fermenter kein Sauerstoff vorhanden ist.
Im ersten Schritt werden die grossen Moleküle der Biomasse zerkleinert: Die Enzyme der Mikroorganismen – gewisse Eiweisse, die biochemische Reaktionen auslösen – zersetzen Fette, Kohlenhydrate und Eiweisse zu flüchtigen Fettsäuren, Zucker und Aminosäuren. Dieser Vorgang wird Hydrolyse genannt.
Darauf folgt die Versäuerungsphase, die eigentliche Gärung: Die Mikroorganismen bauen die nun kürzeren Verbindungen weiter zu organischen Säuren sowie Alkoholen ab. Dabei entstehen auch unerwünschte Stoffe, zum Beispiel Schwefelwasserstoff und Ammoniak. Von diesen Stoffen wird das Biogas später über ein mehrstufiges Verfahren gesäubert.
Im nächsten Schritt kommt es zur Essigbildung: Die Mikroben setzen die Säuren und Alkohole um in Essigsäure, Wasserstoff und CO₂.
Schliesslich findet die Methanbildung statt. Verschiedene Mikroorganismen nutzen verschiedene Wege, um Methan zu produzieren: Die einen bauen die Essigsäure zu gasförmigem Methan und CO₂ ab, die anderen nutzen dafür den Wasserstoff und das CO₂, wobei auch Wasser entsteht.
Einige Stoffe wie Lignin und Zellulose im Holz sind schwer abbaubar und bleiben gemeinsam mit den Spurenelementen Stickstoff und Schwefel übrig. Diese sogenannte Gärgülle kommt als Dünger in der Landwirtschaft zum Einsatz.
Das Methangas aber, das sich im Fermenter angesammelt hat, wird von den Störstoffen Schwefelwasserstoff, Ammoniak und vom Wasserdampf befreit und über Röhren zum Blockheizkraftwerk geleitet. Dort macht man sich eine wichtige Eigenschaft des gasförmigen Methans zu Nutze: Es ist hochentzündlich. Im Verbrennungsmotor des Blockheizkraftwerks wird es also verbrannt und dabei doppelt genutzt: Der Motor treibt einen Generator an, wo die Bewegungsenergie in elektrische Energie umgewandelt wird. Dieser Strom wird in das lokale Stromnetz eingespeist. So bringt das von Bakterien behandelte Birnen-Bütschgi die Glühbirne zum Leuchten.
Doch der Gasverbrennungsmotor kann nur etwa 40 Prozent des Biogases in Strom umsetzen. Der Rest wird als Abwärme frei. Ein Teil dieser Wärme wird verwendet, um den Fermenter zu erhitzen und den Mikroorganismen ihre Wohlfühltemperatur zu ermöglichen. Die übrige Wärme gelangt ins Fernwärmenetz und heizt Gebäude in der Umgebung.
Biogas ist klimafreundlicher
Das Biogas ähnelt in seiner Zusammensetzung dem Erdgas. Wie Erdöl entstand Erdgas über Jahrmillionen aus Massen von abgestorbenen und abgesunkenen marinen Kleinstlebewesen. Das über diesen langen Zeitraum entstandene Erdgas verbrennen wir heute in grossen Mengen in vergleichsweise extrem kurzer Zeit. Das wird als zeitliche Entkopplung des Kreislaufs bezeichnet: Würde Erdgas im gleichen zeitlichen Rahmen zu CO₂ verbrannt, wie es entstanden ist, wäre das für die Natur kein Problem, denn Pflanzen und Meere könnten das CO₂ vollständig aufnehmen. So allerdings sind die Mengen an CO₂, die quasi auf einen Schlag frei werden, zu gross um von anderen natürlichen Reservoiren als der Atmosphäre aufgenommen zu werden. Und dort trägt es als Treibhausgas zum Klimawandel bei. Im Gegensatz zu Erdgas ist Biogas klimaneutral. Auch hier wird bei der Verbrennung zwar CO₂ in die Atmosphäre ausgestossen. Jedoch nur so viel, wie die Pflanze beim Wachsen aufgenommen hat und beim Verrotten auch wieder abgeben würde.
Doch ganz unproblematisch ist auch die Nutzung von Biogas nicht: Pflanzen, die eigens zur Energiegewinnung angebaut werden, stehlen oft Flächen für die wichtige Nahrungsmittelproduktion. Ausserdem müssen sie bewirtschaftet werden und die Energie, die dafür benötigt wird, verschlechtert die Umweltbilanz des aus ihnen gewonnenen Biogases. In unseren Nachbarländern ist der Anbau von sogenannten Energiepflanzen wie Mais, Getreide oder Raps üblich. In der Schweiz hingegen wird er bewusst nicht gefördert und lohnt sich deshalb auch nicht.
Ein weiterer Konflikt tritt beim Herstellungsprozess auf. In der Biogasanlage können Treibhausgase wie Methan durch Schlupflöcher in die Atmosphäre entweichen. Zwar sind das meist kleine Mengen von weniger als fünf Gramm Methan pro Kilogramm Biogas. Dennoch ist das für die Umwelt bedenklich, denn: Ein Kilogramm Methan trägt 25-mal soviel zur Klimaerwärmung bei wie ein Kilogramm CO₂.
Verglichen mit der Stromproduktion aus fossilen Energieträgern können mit Biogasanlagen jedoch 573 bis 910 Gramm Treibhausgase pro Kilowattstunde Strom gespart werden. Dein Birnen-Bütschgi kann also einen Unterschied machen – wenn es im Bioabfall landet.