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Rund 40 000 Menschen hat das Coronavirus bisher infiziert – über 900 getötet. Der neue Erreger verbreitet Schrecken und Panik. Gleichzeitig grassiert aber eine andere Atemwegserkrankung, an der jedes Jahr allein in der Schweiz bis zu 275 000 Menschen erkranken und mehrere Hundert sterben: die saisonale Grippe.

Während wegen dem Coronavirus ganze Städte unter Quarantäne gesetzt werden und Einreiseverbote für Personen aus den betroffenen Gebieten verhängt werden, kümmert sich scheinbar niemand um die Grippe. Ist die Angst vor Corona also ein Hype?
Nein und ja.

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Ein Grund für die rigorosen Interventionen ist die Unsicherheit, wie Anthony Fauci, Direktor des amerikanischen Instituts für Allergie und Infektionskrankheiten, auf einer sagte.
Bei der saisonalen Grippe kann man fast mit hundert Prozent Sicherheit sagen, dass die Fallzahlen im März und April zurückgehen werden. Und man kann ziemlich genau vorhersagen, wie viele Spitaleinweisungen es geben und wie hoch die Sterblichkeitsrate sein wird. Im Normalfall stirbt etwa eine von 1000 an Grippe erkrankten Personen.

Am Coronavirus – so sieht es wenigstens im Moment aus – sterben etwa zwei von 100 infizierten Menschen. Die Rate könnte allerdings auch viel tiefer liegen, denn die Zahl der symptomlosen Ansteckungen ist nicht bekannt. Wie gesagt, insgesamt kennt man das neue Virus noch nicht sehr gut. Das macht Angst, reicht alleine aber nicht, um die heftigen Interventionen zu erklären. Weshalb also diese drastischen Massnahmen?

Es geht darum, eine neue Krankheit zu besiegen, bevor sie sich weltweit etabliert. Bei der saisonalen Grippe ist dies nicht mehr möglich – sie ist zu weit verbreitet.
Dass es aber möglich ist, die Etablierung einer neuen Krankheit zu verhindern, hat sich vor fast 20 Jahren bei Sars gezeigt – ebenfalls eine schwere Atemwegserkrankung, und ebenfalls durch ein Coronavirus ausgelöst. Damals wurden weltweit etwa 8 000 Menschen infiziert und 800 getötet.

Aber man konnte den Virus relativ – in Anführungszeichen – einfach in den Griff kriegen: Damals verbreitete sich der Virus an gewissen Hotspots, zum Beispiel in Spitälern mit einer schlechten Infektionskontrolle. Doch bei Sars scheiden nur wenige Menschen eine genügend hohe Menge des Virus aus, um andere zu infizieren – die Ansteckungsdynamik verläuft langsam. Deshalb konnte nur ein Bruchteil der im Spital Infizierten wiederum viele weitere Menschen anstecken. Darum war es nicht so schlimm, wenn man ein paar Infizierte verpasste.

Anders beim aktuellen Coronavirus. Es scheint sich mit einer ähnlich schnellen Ansteckungsdynamik auszubreiten, wie die saisonale Grippe. Das bedeutet, dass man wirklich jede infizierte Person isolieren muss, um die Ausbreitung zu verhindern. Nur so lässt sich verhindern, dass sich das neue Coronavirus weltweit verbreitet. Darum sind die rigorosen Massnahmen gerechtfertigt.

Dass man deswegen aber auch in der Schweiz die Apotheken stürmt und Gesichtsmasken hamstert – hat wieder mehr mit der Irrationalität der Angst zu tun. Viel wichtiger sind hierzulande Vorsichtsmassnahmen gegen die saisonale Grippe. Denn auch die ist eine potenziell tödliche Krankheit.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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