Statistisch gesehen ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Littenbach in den Gemeinden Au und Berneck im St. Galler Rheintal wieder über die Ufer tritt. Hochwasser kamen in der Vergangenheit bereits vor und werden voraussichtlich wieder passieren.
Deshalb werden Massnahmen geplant, um die gefährdeten Wohngebiete und Industrieareale gegen Hochwasser zu schützen. Bevor Hochwasserschutzprojekte umgesetzt werden, werden sie häufig im verkleinerten Massstab im Wasserlabor des IBU Institut für Bau und Umwelt an der HSR getestet und optimiert. «Die Gemeinden finden bei uns die Infrastruktur und das Know-how, um Tests unter realen Bedingungen durchführen zu lassen», erklärt Prof. Dr. Jürg Speerli, Leiter IBU Fachstelle Wasserbau.
Im Auftrag von Behörden bauen Ingenieurinnen und Ingenieure am IBU Flüsse und Entlastungskanäle, Brücken und Landschaften nach, um sie anschliessend mit den schlimmsten Hochwassern zu konfrontieren, die rechnerisch möglich sind. Diese Modelle werden häufig so weit optimiert, dass sie auch aussergewöhnlich mächtigen Hochwassern widerstehen können, die statistisch gesehen nur alle 300 Jahre auftreten.
Ein künstlicher Notfall-Bach
Im Fall des Littenbachs prüfte das IBU im Auftrag der Hochwasserschutzkommission Littenbach Au-Berneck zwei von insgesamt drei auf dem Papier geplanten Varianten in realitätsnahen Modellversuchen. Dafür bauten wissenschaftliche und Labor-Mitarbeitende den Littenbach, seine Umgebung und die geplanten Schutzbauwerke gegen das Hochwasser nach, um das Modell dann realitätsgetreu mit Wasser, Sand und Baumstämmen zu testen. «Solche Modelle sind die beste Möglichkeit, um unter Realbedingungen den Nachweis zu erbringen, dass die geplanten Massnahmen funktionieren», sagt Speerli. Weil der Littenbach bereits mit relativ regelmässig auftretenden Hochwassern überfordert ist, wurden zwei verschiedene Varianten eines zusätzlichen Entlastungskanals geprüft: ein geschlossener, unterirdischer Kanal und ein offener Kanal, der nur im Hochwasserfall das überschüssige Wasser aufnimmt und ableitet. Zu den wichtigsten Aufgaben des IBU zählte, ein zentrales Bauwerk zu optimieren, das die Wasserströme trennt.
Damit soll sichergestellt werden, dass der Littenbach nur so viel Wasser aufnimmt, wie er bewältigen kann. Das überschüssige Wasser wird durch den Entlastungskanal abgeleitet. Ausserdem soll der Entlastungskanal nur Wasser führen, wenn die Kapazität des Littenbachs überschritten wird. Dafür entwickelte das IBU ein individuell auf die Verhältnisse um den Littenbach abgestimmtes Klappensystem im zentralen Trennbauwerk. Damit konnte das IBU im Modellversuch auch Hochwasser bändigen, die zum Beispiel die Strömungen vor dem Trennbauwerk mit Geschiebe ungünstig beeinflussen.
Um das gesamte geplante Konzept auf die Probe zu stellen, berechneten die Forschenden des IBU die erwarteten Wassermengen für verschiedene Hochwasser-Stufen. Im schlimmsten dieser Fälle (300-jährliches Hochwasser) fliesst eine Wassermenge in Richtung des kleinen Bachs, die rund 60 Badewannen pro Sekunde entspricht.
Weil das fast drei Mal mehr ist, als der Littenbach bewältigen könnte, leitet in einem solchen Ausnahmefall ein Trennbauwerk das überschüssige Wasser in den Entlastungskanal und somit an den Industriearealen und Wohngebieten vorbei. Ein landwirtschaftlich genutztes Gebiet dient als geplante Rückhaltezone, die nach einem Hochwasser gedämpft entleert werden kann.
Offenes Gerinne schneidet besser ab
Weil die Variante mit dem geschlossenen Gerinne bereits bei einem 100-jährlichen Hochwasser überfordert wäre, hat das IBU den offenen Kanal empfohlen. «Ein geschlossener Kanal ist irgendwann voll, ein offenes Gerinne ist überlastfähig und weist mehr Reserven aus», sagt Jürg Speerli. Speziell beim Littenbach-Projekt war ein Hochwasser im Juli 2014 während der Testphase – aufgrund der dabei gewonnenen Erkenntnisse mussten einzelne Teile der Planung nochmals überarbeitet und erneut getestet werden. Mit den empfohlenen Schutzmassnahmen können die Bewohner von Au und Berneck auch bei einem 100-jährlichen Hochwasser ruhig schlafen und sogar ein 300-jährliches Hochwasser lässt sich mit Zusatzmassnahmen bewältigen – zum Beispiel indem unter Brücken verkeilte Bäume während eines Hochwassers entfernt werden.