Das musst du wissen

  • Innert zehn Jahren stieg der Anteil der Über-Sechzigjährigen an den CO₂-Emissionen reicher Länder um acht Prozent.
  • Allmählich werden die Babyboomer im Generationenvergleich zu den grössten «Klimasündern».
  • Viele Rentnerinnen und Rentner wohnen allein in grossen Häusern – und verbrauchen dadurch viel Energie.
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«Oma ist eine alte Umweltsau.» Das satirische Kinderlied sorgte 2020 in Deutschland für Empörung. Denn es vermittelte das Bild, dass die ältere Generation sich einen klimaschädlichen Lebensstil leistet – auf Kosten der jungen und kommenden Generationen, die mit den Folgen der Klimakrise leben müssen. Komplett haltlos ist dieser Vorwurf nicht, wie eine aktuelle Studie zeigt: In vielen Industrieländern gehen Treibhausgasemissionen zunehmend auf Kosten der «Babyboomer» oder kurz «Boomer» – also Menschen, die während des Babybooms zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Beginn der 1960er Jahre auf die Welt kamen. Das haben norwegische, britische und chinesische Forschende anhand von Daten aus 32 Industriestaaten berechnet. Ihre Studie wurde im Fachjournal Nature veröffentlicht.

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Studie: Ageing society in developed countries challenges carbon mitgitationKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Forschenden verwendeten für die Berechnung die «Exiobase»-Datenbank. Diese gilt als das geeignetste Instrument, um den Umwelt-Einfluss ökonomischer Handlungen zu analysieren. Allerdings weichen die Exiobase-Daten von den offiziellen Angaben einzelner Länder ab, damit sie international vergleichbar sind. Das führt zu leichten Abweichungen. Hinzu kommt, dass die Bevölkerungsstruktur für die Studie nicht bereinigt wurde, das heisst: Bei einer alternden Bevölkerung ist es verständlich, dass anteilsmässig mehr Emissionen von der Gesamtgruppe älterer Menschen ausgestossen werden. Genauere Aussagen über Konsumtrends nach Altersgruppe würden individuelle Daten liefern.Mehr Infos zu dieser Studie...

Für Ihre Studie verglichen die Forschenden die Treibhausgasemissionen der EU-Staaten, der USA, Grossbritanniens, Japans, Australiens und Norwegens in den Jahren 2005, 2010 und 2015. Sie schauten sich an, welche Altersgruppen in den jeweiligen Jahren wie stark zum Treibhausgasausstoss beigetragen haben. Dabei fanden die Forschenden heraus, dass der Anteil der Über-Sechzigjährigen an den Gesamtemissionen dieser Länder von 2005 bis 2015 von 25 auf 33 Prozent anstieg. Die Treibhausgasemissionen der älteren Bevölkerung waren damit 2015 schon grösser als bei den Dreissig- bis Vierzigjährigen und gleich gross wie bei den Vierzig- bis Sechzigjährigen. Ein Trend, der sich wohl weiterhin fortsetzt: «Mittlerweile dürften die Über-Sechzigjährigen an der Spitze der Emissionsleiter stehen», wird Studienautor Heran Zheng in einer Mitteilung zitiert. Hoffnung dürfte die Beobachtung machen, dass die Emissionen in den untersuchten Industrienationen seit 2005 generationsübergreifend gesunken sind. Allerdings haben die Unter-Dreissigjährigen ihren Treibhausgas-Ausstoss mehr als doppelt so stark reduziert wie die Über-Sechzigjährigen.

Boomer sind weniger sparsam als die Kriegsgeneration

Dass ältere Leute so sehr zum Ausstoss von Treibhausgasen beitragen, ist eine neue Entwicklung. Denn früher galten die Alten als sparsam, wie Klimaforscher Edgar Hertwich ausführt: «Die Generation, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt hat, ging sorgsam mit ihren Ressourcen um.» Die heutige ältere Generation konsumiert im Vergleich dazu mehr und stösst dadurch mehr Treibhausgase aus. Die heutigen älteren Menschen verbringen, weil sie in Rente sind, mehr Zeit zu Hause – und verbrauchen konsequenterweise mehr Strom und heizen mehr. Diese Bereiche sind sehr energieintensiv und tragen zur Generationenverschiebung bei. Im Vergleich dazu verursachen junge Menschen eher Emissionen durch den Konsum importierter Güter wie Kleidung, Smartphones, Laptops und Möbel – die Emissionen wirken sich also im Ausland aus, wo die Güter produziert werden.

Doch auch durch den demografischen Wandel fallen die Emissionen älterer Menschen immer stärker ins Gewicht: Mit den Babyboomern sind die geburtenstärksten Jahrgänge inzwischen über sechzig Jahre alt, ihre Lebenserwartung ist in den Industrieländern wegen guter gesundheitlicher Versorgung hoch. Es gibt also immer mehr ältere Menschen und sie werden immer älter. Dass das auch Auswirkungen auf die Treibhausgas-Emissionen hat, wollen die Forschenden mit ihrer Studie der Politik klarmachen: Dazu müsse allerdings auch die Infrastruktur besser auf die alternde Bevölkerung ausgerichtet werden. Ältere Menschen sind sicher bereit, in kleinere Häuser oder Wohnungen zu ziehen – wenn die Wohngebäude seniorengerecht und barrierefrei geplant werden. Viele würden sicher auch auf ihr Dieselauto verzichten – wenn der öffentliche Verkehr die Bedürfnisse älterer Menschen im Blick hat. Die Gestaltung der ökologischen Zukunft ist aus Sicht der Forschenden also nicht nur eine Frage nach Eigenverantwortung, sondern auch eine Aufgabe der Politik.

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