Als Podcast anhören

Was waren das für Ostertage! Super schönes Wetter und gleichzeitig die dringende Empfehlung, zu Hause zu bleiben und Menschen nicht nahe zu kommen. Das war echt hart.

Gleichzeitig geht die Zahl der Neuansteckungen zurück. Das ist Good News. Social Distancing wirkt. Und prompt kommen Forderungen, man solle die strengen Einschränkungen lockern. Und die Wirtschaft verlangt ein möglichst baldiges Ende des Lockdowns. Sogar der Bundesrat sagt, man sehe «Licht am Ende des Tunnels».
_____________

📬 Das Neuste und Wichtigste aus der Wissenschaft, jeden Dienstag und Donnerstag per E-Mail:
Abonniere hier unseren Newsletter! ✉️

_____________

Ist es also bald vorbei? Nein. Auch wenn es der Bundesrat in dieser Deutlichkeit nicht zu sagen wagt: Corona ist noch lange nicht vorbei.

Das Virus wird uns noch Jahre beschäftigen. Vorbei ist die Gefahr erst, wenn etwa 70 Prozent der Bevölkerung die Infektion durchgemacht haben, danach also immun sind. Oder wenn es eine Impfung gibt.
Wann wird das sein?

Mit einer Impfung ist in weniger als einem Jahr nicht zu rechnen, eher sind es zwei. Und die berühmte Herdenimmunität nach überstandener Infektion?

Dazu eine einfache Rechnung:
Bis heute sind fast 26 000 Infektionen gemeldet. Dazu kommt eine Dunkelziffer, von der niemand weiss, wie hoch sie ist. Studien schätzen, dass die wahre Zahl der Infizierten drei- bis zehnmal höher ist. Eine aktuelle, für die Schweiz spezifizierte Zahl sagt fünfmal. Das heisst, in unserem Land sind oder waren 130 000 Menschen mit Sars-CoV-2 infiziert. Dies innerhalb von zwei Monaten. Also pro Monat durchschnittlich 65 000. Für die Herdenimmunität müssen aber sechs Millionen infiziert sein.

Nochmals: sechs Millionen. Das sind 70 Prozent von 8.6 Millionen Menschen, die in der Schweizer leben. Und wie lange dauert es, bis diese sechs Millionen die Infektion durchgemacht haben, ohne dass das Gesundheitssystem und die Wirtschaft komplett zusammenbrechen? Ohne dass also alle aufs Mal krank werden, also unter Beibehaltung möglichst wirksamer Massnahmen?

Sechs Millionen geteilt durch 65 000 ergibt: 92.
92 Monate. Das sind siebeneinhalb Jahre. Vielleicht kann man meine Rechnung noch ein bisschen präziser machen. Aber so oder so: es wird verdammt lange dauern. Und alles, was an Lockerungen der Massnahmen erlaubt wird, kann zu einem erneuten Anstieg der Infektionen führen.

Vor uns liegen also viele, viele Monate mit mehr oder weniger einschneidenden Massnahmen. Leute, das muss gesagt sein. Vergesst die Open Airs in diesem Sommer, vergesst das Clubbing im nächsten Winter. Kein Küsschen-Tschüss für viele Monate.

«Das ist jetzt wieder eine typische Übertreibung der Medien», höre ich einige rufen. Dazu nur eines: Wer immer noch glaubt, Corona sei eine Art Grippe, der zeige mir eine Grippewelle, bei der in Altersheimen die Leute reihenweise gestorben sind, bei der in Italien fast 70 Ärztinnen und Ärzte sich an ihren Patienten angesteckt haben und gestorben sind, und bei der in New York die Toten notfallmässig in Massengräbern verbuddelt werden mussten.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
Alle Beiträge anzeigen
Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende