Das musst du wissen

  • Wie geht es nach dem Brand mit der Pariser Kathedrale Notre Dame weiter? Wir haben einen Experten gefragt.
  • Heinrich Speich sagt, ein Wiederaufbau könne zehn bis fünfzehn Jahre dauern. Das wird teuer.
  • Laut seiner Schätzung werden sich die Kosten im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich bewegen.

Kathedralen sind für die Ewigkeit gebaut. Doch nun ist die Pariser Notre Dame den Flammen zum Opfer gefallen. Ihr Grundgemäuer steht zwar noch, aber der Dachstock ist völlig ausgebrannt. Wir wollen wissen, wie es mit dem mittelalterlichen Bauwerk weitergeht und haben dazu Heinrich Speich gefragt, Vizepräsident der Schweizerischen Gesellschaft für Kulturgüterschutz.

Heinrich Speich


Heinrich Speich ist Historiker und Experte für Kulturgüterschutz und Denkmalpflege. Er studierte Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Ur- und frühgeschichtliche Archäologie und Archäometrie. Speich ist Vizepräsident der Schweizerischen Gesellschaft für Kulturgüterschutz. Diese befasst sich unter anderem mit Kulturgütern in Notsituationen.

Kann der niedergebrannte Dachstock der Notre Dame wieder aufgebaut werden?
Wichtig ist bei solchen Fällen, dass man nichts überstürzt und den Wiederaufbau überlegt angeht. Das heisst, was noch da ist, muss sauber gesichert und dokumentiert werden. Dabei muss man berücksichtigen, welchen Wert das Dachwerk für das ganze Objekt hat. Es war eines der bedeutendsten Denkmäler Mitteleuropas.

Sind denn noch alle Baupläne vorhanden?
Mittelalterliche Dokumente wird es nicht geben. Aber das Dach ist soweit dokumentiert, dass man es problemlos rekonstruieren könnte.

Wenn keine mittelalterlichen Baupläne vorhanden sind, woran orientiert man sich stattdessen?
Jedes Mal, wenn etwas an einem Gebäude restauriert wird, dokumentiert man das, etwa mit Fotografien. Aufgrund von diesen Dokumenten kann man das später weitestgehend rekonstruieren. Aus ihnen wird auch ersichtlich, welche Teile des Bauwerks mittelalterlich waren und welche neuer sind. Das wird einem aber nicht die Frage abnehmen, wie man das Zerstörte ersetzen soll. So wie das gestern ausgesehen hat, glaube ich nicht, dass grössere Teile des abgebrannten Dachwerks noch verwendet werden können.

Mit welchen Materialien wird dieses ersetzt?
In der Regel heisst es, den bestmöglichen Ersatz zu finden, also das Material, das vorher verwendet wurde. In diesem Fall wäre das vor allem Holz. Die Frage ist nur, wie eng sich das neue Holzdach an die mittelalterlichen Bautraditionen anlehnt. Oder eben nicht. Denn gerade im Holzbau hat es viele Fortschritte gegeben, wie man dieselbe Konstruktion leichter machen kann. Aber es wäre dann eben ein neues und kein mittelalterliches Dach.

Wer entscheidet, wie sehr man sich am Original orientiert?
Das werden französische Denkmalbehörden sein. Es ist kein politischer Entscheid. Dennoch muss die Politik nachher das Geld sprechen und allenfalls die Grundsatzentscheide fällen.

Wieviel kostet die Rekonstruktion?
Schwierig zu sagen. Es ist aber sicher ein Betrag im zweistelligen, wahrscheinlich aber eher im dreistelligen Millionenbereich. Zudem kommt es noch darauf an, wie hoch der Wasserschaden ist und wie viele Kunstwerke im Inneren der Kathedrale davon betroffen sind.

Wie sieht der Ablauf einer Rekonstruktion aus und wer ist wann daran beteiligt?
Zuallererst wird die Feuerpolizei oben sein und feststellen, wie der Brand entstanden ist. Das Problem ist, dass sie soviel Material beseitigen werden, dass man die hauptsächlichen Befunde schon einmal nicht mehr hat.

Muss das denn sein?
Ja. Rechtlich ist das notwendig.

Und wie geht es weiter?
Nachher kommen Denkmalspezialisten um zusammen mit Brandspezialisten den Einsturz und den Ablauf des Brandes zu rekonstruieren. Danach kommen sehr schnell einmal Bauforscher und Archäologen dazu und dokumentieren das Ganze soweit wie möglich. Parallel dazu wird man sehr schnell einmal anfangen, ein Notdach darüber zu bauen. Ausserdem wird man probieren, das Gebäude zu trocknen. Sie können sich ja vorstellen, was passiert, wenn man kubikmeterweise Wasser hinaufschiesst. Das grösste Problem ist hier aus meiner Sicht die Statik des Objekts, die durch die grosse Hitzeeinwirkung bedeutend angegriffen ist.

Das bedeutet?
Einsturzgefahr besteht auch noch Tage, Wochen oder gar Monate nach dem Ereignis. Deshalb wird in der nächsten Zeit – neben feuerpolizeilichen Massnahmen – gar nichts passieren, bis man sicher ist, dass die Statik hält.

Man wartet einfach ab?
Man wartet nicht einfach ab, sondern muss untersuchen, inwiefern die Statik beeinträchtigt ist. Das ist sehr unberechenbar und mit ein Grund, weshalb das Ganze so lange dauern wird. Alle Arbeiten müssen unter sicheren Bedingungen durchgeführt werden.

Dann beginnt der Wiederaufbau.
Eine Kirche in dieser Grössenordnung hat in der Regel eine eigene «Kathedralen-Bauhütte», das heisst, Fachleute vor Ort, die anfallenden Ausbesserungen und Renovationen machen. Von diesen angeleitet werden dann spezifische Firmen – in diesem Fall Zimmerleute.
Das sind noch längst nicht alle Beteiligten, aber die zentralen.

Wie lange dauert es, bis die Notre Dame wiederaufgebaut ist?
Allein die Vorbereitungsphase wird mehrere Jahre dauern. Bis das Dach wiederaufgebaut ist, würde ich von einem Zeithorizont von zehn bis fünfzehn Jahre ausgehen. Während man an anderen Orten sehr schnell entscheiden kann, muss es in diesem Fall wirklich sehr sorgfältig abgewogen sein.

Wieso?
Der Grund ist zuerst einmal die Grösse des Objekts. Das ist ein gewaltiges Dachwerk gewesen, es war eine mehrgeschossige Holzkonstruktion, bei der immer noch ein Grossteil der Hölzer aus dem 13. Jahrhundert stammten. Das ist heutzutage wirklich selten, solch grosse Dachwerke aus dieser Zeit, denn die meisten sind bereits irgendwann einmal abgebrannt. Wichtig ist, dass man das Ganze sauber macht, dass es keinen Schnellschuss gibt. Das Gebäude ist über Jahrhunderte für die Ewigkeit gebaut worden. Gerade deshalb sollte der neue Dachstock wieder für die nächsten paar Hundert Jahre halten.

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