Das musst du wissen
- Wenn jemand singt, ist der Blick auf dessen Augen- und Mundpartie für das Hörerlebnis zentral.
- Denn für die Wahrnehmung von Klängen vereint unser Gehirn was wir sehen und was wir hören.
- So hören wir Abweichungen von den tatsächlichen Tönen, wenn die Mimik der Singenden variiert.
Zieht deine Lieblingssängerin auf der Bühne spontan die Augenbrauen nach oben? Die Mundwinkel nach unten? Dies könnte dazu führen, dass du einen Song anders wahrnimmst, als wenn du ihn im Radio hörst. Denn spontane Gesichtsgesten während des Singens verändern für das Publikum den Klang der Noten. Dies hat ein interdisziplinäres Team von Forschenden an der Universität Oslo herausgefunden und kürzlich im Fachmagazin Scientific Reports veröffentlicht.
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Studie: Substituting facial movements in singers changes the sounds of musical intervalsKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Anzahl Probanden ist relativ klein, was die Aussagekraft der Studie einschränkt. Zudem waren alle Teilnehmenden Studierende zwischen 16 und 37 Jahren. Die Singenden, die in den Videos vorkamen, waren beides Frauen. Damit lassen sich die Ergebnisse nicht direkt auf jüngere oder ältere Zuhörende sowie auf Sänger übertragen.Mehr Infos zu dieser Studie...Damit liefert die Forschergruppe Hinweise, dass sich ein bestimmtes Phänomen aus der Sprachwissenschaft auch in der Musik beobachten lässt. Und zwar, dass unser Gehirn eine Verbindung herstellt zwischen dem, was wir sehen und dem, was wir hören. In der Linguistik ist dies der McGurk-Effekt: Wenn wir eine bestimmte Silbe hören, während wir ein Gesicht beobachten, das eine andere Silbe ausdrückt, hören wir sozusagen etwas dazwischen. Also: Hören wir ein «ba», während die Lippenbewegung ein «ga» vorgibt, erkennen wir am Ende ein «da». Die Forschenden aus Oslo wollten nun herausfinden, ob beim Singen das Gleiche passiert. Für ihre Untersuchung haben sie zwei Experimente mit rund hundert Teilnehmenden durchgeführt. Ihre Hypothese: Die Klangwahrnehmung in der Musik hängt sowohl von den Augen als auch von den Ohren ab.
In einem ersten Experiment spielten sie den Teilnehmenden Kurzvideos von zwei Sängerinnen vor und baten sie, die Intervalle der gesungenen Töne zu benennen. Manche Videos waren Originalaufnahmen, bei der Hälfte jedoch war die Mimik der Sängerin gezielt mit einer anderen Tonspur überlegt. Bei den Originalvideos erkannten die Zuhörenden, ob zum Beispiel eine Oktave oder eine Terz gesungen wurde. Bei jenen Videos, in denen die auditiven und die visuellen Informationen nicht übereinstimmten, schätzen die Teilnehmenden das Gehörte anders ein. Dabei gab die Mimik der Sängerinnen die Richtung vor: Signalisierten ihre Gesichtszüge einen grösseren Tonsprung, als die Teilnehmer hörten, schätzen sie den Tonunterschied entsprechend grösser ein – und umgekehrt. In einem zweiten Experiment mussten die Teilnehmenden die manipulierten Videoaufnahmen mit Klavierintervallen vergleichen. Das Resultat: Sie beurteilten die beiden Intervalle als unterschiedlich – selbst wenn sie akustisch die gleichen waren.
Daraus schlussfolgern die Forschenden: Wie wir Musik wahrnehmen, hängt stark von der Kombination aus Sehen und Hören ab. Gesehenes kann wesentliche Elemente der Musik wie die Töne im Kopf des Zuhörenden verändern. Ob das Gehörte für uns deswegen schöner oder schlechter klingt, darüber gibt die Studie keine Auskunft. Dies gilt es für alle Konzertfans also selber herauszufinden – die Vorfreude auf den nächsten Live-Event mit dem Lieblingskünstler dürfte damit gleich doppelt so gross sein.