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Der Umsatz mit Impfungen bricht gegenwärtig Rekorde: Moderna erwartet für dieses Jahr 19,2 Milliarden Dollar Umsatz. Wenn das tatsächlich erreicht wird, würde das Unternehmen mit dem Umsatz des bisherigen Rekordhalters – des Arthritis-Medikaments «Humira» der Firma Abbvie – etwa gleichziehen. Noch mehr erhofft sich Pfizer von der Impfung: hier geht man von 26 Milliarden Dollar aus. Ist das zu viel? Ist das überhaupt viel?

Als Zwischenbemerkung kann ich es mir bei Pfizer nicht verkneifen, den Umsatz mit der Covid-Impfung gegen jenen von Viagra zu stellen. Im besten Jahr 2012 machte die Firma allein mit der blauen Pille für den Mann einen Umsatz von zwei Milliarden US-Dollar. Ist das in Ordnung mit einem Potenzmittel?

Und gerne noch einen Vergleich: Der Volkswagen-Konzern verzeichnete im Jahr 2019 einen Jahresumsatz von 252,6 Milliarden Euro. Und hat damit kein einziges Leben gerettet.

Aber zurück zum Thema: Darf man mit Impfungen Gewinn machen? Eigentlich haben die Pharmakonzerne doch mehr oder weniger deutlich gesagt, sie wollen mit der Corona-Krise keinen grossen Profit machen. Der Preis des Pfizer/Biontech-Vakzin liegt bei nur 17 Dollar pro Injektion.

Und noch einmal kann ich es mir nicht verkneifen. Eine Viagra-Tablette kostet offiziell etwa gleich viel. Was ist der Gegenwert? Einmal medikamentös gestützter Sex. Im Vergleich zu einem Jahr Schutz vor einer für Ältere potenziell tödlichen Krankheit.

Johnson & Johnson gibt die Impfdosis «zum Selbstkostenpreis» ab – um die zehn Franken, wie man uns auf Anfrage sagte. Am teuersten ist Moderna mit Preisen zwischen 22 und 37 Dollar. Das ist an sich ja auch noch nicht wirklich teuer.

Und immerhin haben die Unternehmen zugesichert, erst nach der Pandemie die Preise erhöhen zu wollen. «So weit so gut» könnte man sagen: dann ist die Notlage vorbei. Der freie Markt soll spielen.

Doch hier kommt das grosse Aber.

Darf der Gewinn allein in die Kassen der Konzerne fliessen? Ab hier wird es etwas komplizierter, darum machen wir in der Argumentation einen kleinen Umweg:

Wenn ein Produkt – sagen wir ein bestimmter Drink, ein Telefon oder irgendwas – auf dem Markt plötzlich sehr gefragt ist, dann bestreitet wohl niemand, dass die Firma, die dieses Produkt herstellt, den Gewinn für sich behalten darf. Das ist freie Marktwirtschaft.

Wie sieht es aber aus, wenn, wie in den letzten Tagen, plötzlich ein riesiger Bedarf an Hochwassersperren besteht? Muss der Hersteller dieser Hochwassersperren auf Gewinn verzichten? Das wäre irgendwie absurd, denn diese Sperren sind ja genau dafür da, dass man sie bei Unwettern einsetzt und das Geschäft des Herstellers basiert darauf, dass man diese Sperren kauft. Aber der Hersteller soll – so würden es zumindest moralisch denkende Menschen sehen – nicht aus einer Katastrophe übermässigen Profit schlagen. Er soll also keine Wucherpreise verlangen, sonst wäre er ein Katastrophengewinnler.

Analog kann man verlangen, dass die Pharmafirmen nicht zu Pandemiegewinnlern werden. Aber eben: die Preise für die Impfungen sind ja keine Wucherpreise. Der riesige Umsatz ergibt sich allein aus der Menge der weltweit verabreichten Dosen – rund drei Milliarden sind es bis heute.

Trotzdem ist die Situation eine andere, denn einige der Pharmafirmen haben für die Entwicklung der Covid-Impfstoffe finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Quellen erhalten. Und ab hier wird es intransparent.

Wie viel Geld investierten die Staaten in die Forschung?

Mit wie viel Geld die Staaten die Impfstoffforschung oder -produktion unterstützt haben, weiss niemand. Ich habe nachgefragt. Pfizer Schweiz meldet, man könne «nur für Pfizer sprechen». Und «In Anbetracht der Dringlichkeit der Pandemie finanzierte Pfizer selbst mehr als zwei Milliarden Dollar auf Risiko.» Eigentlich hatten wir gefragt, wie viel der Staat beigesteuert hat. Das beantwortet Pfizer nicht. Und da wäre noch der Partner Biontech. Wie viel hat der gekriegt? Die Firma reagiert auf unsere Anfrage nicht.

Moderna hat in der Schweiz keinen eigentlichen Firmensitz, sondern bloss eine Kommunikationsagentur, die den Kontakt zur Muttergesellschaft in den USA herstellen soll. Auf unsere Anfrage werden wir vertröstet, auch nach mehrfachem Nachhaken gibt es keine Antwort. Immerhin hat die Firma in einem Briefing von Mitte letzten Jahres mitgeteilt, man habe fast eine Milliarde Dollar an Steuergeldern erhalten, um seinen Impfstoff durch die klinischen Studien zu bringen.

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Johnson & Johnson teilt auf Anfrage von higgs mit, die Firma habe zusammen mit der amerikanischen Entwicklungsbehörde BARDA (Biomedical Advanced Research and Development Authority) «mehr als 1,7 Milliarden Dollar in Forschung und Entwicklung investiert – geteilt durch beide Parteien.»

Gemäss einer Schätzung von Businesswire sind von Februar 2020 bis Januar 2021 weltweit rund 90 Milliarden Dollar an öffentlichen Geldern in die Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid geflossen.

Wobei es durchaus sinnvoll ist, dass die Staaten die Impfstoffhersteller unterstützen. Denn wir brauchen die Impfung dringend im Kampf gegen die globale Pandemie. Aber unter welchen Bedingungen haben die Staaten dies getan? Leisten die Pharmafirmen mit öffentlichen Geldern einen Dienst für die Allgemeinheit oder werden sie zu Pandemiegewinnlern? Um das herauszufinden, müsste man die Verträge zwischen Staaten und Firmen einsehen können.

Verträge nicht einsehbar oder nicht eingehalten

Der Vertrag zwischen Moderna und der amerikanischen Gesundheitsbehörde wurde veröffentlicht. Er enthält eine Bestimmung, die verlangt, dass das Unternehmen angibt, welchen Teil der Gesamtkosten mit Bundesmitteln finanziert wird. Bis heute hat Moderna dies offenbar nicht getan. Nun fordern zwei Verbraucherschutzgruppen, Public Citizen und Knowledge Ecology International, dass die Behörde diese Vertragsbestimmungen durchsetze.

Auf Granit beisst man auch, wenn man von den Schweizer Behörden mehr über die Verträge zwischen Pharma und Staat erfahren will. Das Bundesamt für Gesundheit schreibt auf Anfrage, es sei «im Vertrag mit Moderna vermerkt, dass ein Teil des bezahlten Preises für den Impfstoff in der Schweiz investiert werden soll.» Konkreter will man nicht werden. Die Details der Verträge seien geheim, um künftige Verhandlungen mit demselben oder anderen Herstellern nicht zu gefährden.

Diesen Vertrag zwischen dem Bundesamt für Gesundheit und Moderna wollte schon Ende letzten Jahrs eine Journalistin einsehen. Das BAG hat dies verweigert. Die Journalistin versuchte, die Einsicht mittel des Öffentlichkeitsgesetzes durchzudrücken. Doch der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte hat diese Einsicht im Mai verwehrt. Erst nach der Pandemie könne man diese Details offenlegen, hiess es.

Der Vertrag zwischen Moderna und der Europäischen Kommission wiederum wurde geleakt und von der italienischen Fernsehstation Rai online gestellt. Wer das liest, staunt: Moderna hat offenbar doch einen Sitz in der Schweiz: eine GmbH, die gemäss Handelsregister bei einem Basler Anwaltsbüro domiziliert ist.

Screenshot des geleakten Vertrages.Screenshot rai.it

Die ersten Zeilen des geleakten Vertrages zwischen Moderna und der EU.

Inhalt des Vertrags: Die EU hat für das laufende Jahr insgesamt 310 Millionen Impfdosen bestellt, zum Preis von je 22,50 Dollar. So fliessen mehr als sechs Milliarden Franken auf das Schweizer Konto.

Nun muss man wissen, dass in Basel die Unternehmenssteuer tiefer ist als in der EU. Die Nichtregierungsorganisation Sono (Centre for Research on Multinational Corporations) reklamiert denn auch, dass es sich bei der Gründung des Schweizer Moderna-Ablegers, der nicht viel mehr als ein Briefkasten und ein Konto ist, um einen Steuertrick handle.

Auch wenn nicht alle Impfstoffhersteller gleich intransparent agieren. Letztlich schadet auch das Gebaren eines einzelnen der Branche insgesamt und fördert nicht das Vertrauen impfkritischer Leute gegenüber den Impfstoffherstellern.

Fördergelder sollen bei späterem Gewinn wieder zurückfliessen

Was hilft? Transparenz. Transparenz. Transparenz. Und ein Fördermodell, das ich hier gerne vorschlagen würde: Wer für die Entwicklung eines Impfstoffs öffentliche Gelder erhalten hat, muss einen Teil seines Gewinns wieder der Öffentlichkeit zufliessen lassen.
Das ist gar nicht so eine absurde Vorstellung.

Zum Beispiel müssen Stipendien für Studierende von Gesetzes wegen nicht zurückbezahlt werden. Aber in den USA ist es für viele später gutverdienende Akademikerinnen und Akademiker eine Selbstverständlichkeit, etwas zurückzuzahlen. Weil sie dankbar sind für die Unterstützung, die ihnen eine grosse Karriere ermöglicht hat.

Das könnte das Vorbild für die Impfstoffhersteller sein: Mit staatlicher Unterstützung ein Produkt und ein Geschäft entwickeln. Später aber zurückzahlen. Aus gesellschaftlicher Verantwortung.

Zum Schluss noch zwei Bemerkungen im Sinne der Transparenz. Erstens: Ich bin zweifach geimpft mit dem Vakzin von Moderna. Danke. Trotzdem lehne ich es ab, wenn Firmen zu Pandemiegewinnlern werden.

Und zweitens: Johnson & Johnson unterstützt den Faktisten finanziell. Pro Ausgabe sind es 777 Franken. Danke. Trotzdem darf ich auch pharmakritische Kommentare verfassen. Weil gemäss Vertrag die redaktionelle Unabhängigkeit gewährleistet ist.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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