Können dereinst künstliche Bäume gegen die Klimaerwärmung helfen? Diese Möglichkeit verheissen Vorrichtungen, die mit synthetischen Materialien die natürliche Fotosynthese der Pflanzen imitieren. Aktuell befinden sie sich allerdings noch im Stadium von Prototypen oder Pilotprojekten. Konkret werden Sonnenlicht und reichlich verfügbare Ausgangsstoffe wie Wasser und Kohlendioxid (CO₂) zur Produktion von Wasserstoff oder Kohlenwasserstoffen genutzt. Diese könnten nicht nur als Brenn- und Treibstoffe dienen, sondern auch als Rohstoffe für die chemische und pharmazeutische Industrie.

In den vergangenen Jahrzehnten konzentrierte sich die Forschung zur künstlichen Fotosynthese auf den ersten Schritt der natürlichen Variante: die Spaltung von Wassermolekülen in Wasserstoff und Sauerstoff. Gemäss Sophia Haussener, Professorin und Leiterin des Laboratory of Renewable Energy Science and Engineering an der EPFL, gelingt dies bereits gut. «Die Wasserstoffproduktion mit Sonnenlicht ist ein Erfolg», sagt die Mitgründerin des Start-ups Sohhytec, das einen künstlichen Baum mit fotoelektrochemischer Komponente patentieren liess. In einer Pilotanlage auf dem Campus der EPFL bündelt ein Parabolspiegel mit sieben Metern Durchmesser die Sonnenstrahlen. Das Licht erzeugt Wärme und elektrische Ladungen, diese spalten die Moleküle des in die Anlage gepumpten Wassers, und es entsteht Wasserstoff.

Tragende Rolle um CO₂-Neutralität zu erreichen

«Grüner Wasserstoff ist für die kommenden Jahrzehnte ein sehr vielversprechender Treibstoff für den Transport über mittlere und lange Distanzen und könnte auch den spezifischen Bedarf von chemischer und pharmazeutischer Industrie decken», erklärt David Parra vom Lehrstuhl für Energieeffizienz am Institut für Umweltwissenschaften der Universität Genf. «Synthetische Kohlenwasserstoffe könnten eine tragende Rolle spielen, um das bis 2050 angestrebte Ziel einer CO₂-neutralen Schweizer Wirtschaft zu erreichen.»

Sophia Haussener wird ihre Forschung nun auf den zweiten wichtigen Schritt der natürlichen Fotosynthese ausdehnen: die wesentlich schwierigere chemische Reduktion von CO₂. Bei diesem Prozess stehe man erst ganz am Anfang. Und sie führt aus: «Die Spaltung von Wassermolekülen in Wasserstoff und Sauerstoff ist vergleichsweise einfach. Wasserstoff ist allerdings unter normalen Bedingungen gasförmig und seine Speicherung daher aufwendig.» Hingegen würde die Ergänzung dieser Reaktion mit der Umwandlung von CO₂ zu Kohlenwasserstoffen führen, die flüssig vorlägen und damit leichter zu speichern seien.

«Die Klimaerwärmung ist eine reale Bedrohung. Wir müssen dringend alles unternehmen, um zu einer nachhaltigeren Lebensweise beizutragen.» Raffaella Buonsanti, Materialwissenschaftlerin

Kohlenstoff ist das Schlüsselelement der meisten chemischen Produkte, Brennstoffe und Alltagsmaterialien. Bisher werden dazu überwiegend fossile Ressourcen in Anspruch genommen. Das lässt sich nicht mit der Idee einer Welt vereinbaren, die weitgehend auf CO₂-Emissionen verzichtet. «Die Klimaerwärmung ist eine reale Bedrohung. Wir müssen dringend alles unternehmen, was in unserer Macht steht, um zu einer nachhaltigeren Lebensweise beizutragen. Und Pflanzen zeigen uns, wie dies geht», ist Raffaella Buonsanti, Professorin und Leiterin des Laboratory of Nanochemistry for Energy der EPFL Valais Wallis, überzeugt. «Dazu wollen wir Nanopartikel entwickeln, die das CO₂ gezielt in die gewünschten Produkte umwandeln.»

Viele Stoffe ändern ihre chemisch-physikalischen Eigenschaften, wenn sie als Nanomaterialien eingesetzt werden. Aufgrund des hohen Oberfläche-zu-Volumen-Verhältnisses sind sie dann hervorragende Katalysatoren. Buonsanti stellt aus Partikeln in einem Lösungsmittel katalytische Nanokristalle her, wobei sie Zusammensetzung, Grösse und Form der Strukturen sehr präzise steuern kann. Sie will herausfinden, welchen Einfluss diese Eigenschaften auf die Kapazität von Nanokristallen aus Kupfer haben, zum Beispiel CO₂ zu den Kohlenwasserstoffen Methan oder Ethen umzuwandeln. Das ist die grösste Herausforderung ihrer Forschung: den Zusammenhang zwischen ihrer Form und der katalytischen Präzision der Nanomaterialien zu untersuchen. Sie hofft, «in zehn Jahren einen effizienten, selektiven und stabilen Prozess zu etablieren, mit dem CO₂ rezykliert und erneuerbare Energien gespeichert werden können».

_____________

📬 Das Neuste und Wichtigste aus der Wissenschaft, jeden Dienstag und Donnerstag per E-Mail:
Abonniere hier unseren Newsletter! ✉️

_____________

Ziel: zehn Mal effizienter als Bäume

Professor Kevin Sivula, Leiter des Laboratory for Molecular Engineering of Optoelectronic Nanomaterials an der EPFL, erklärt zur Idee der künstlichen Fotosynthese: «Es geht nicht darum, die Prozesse eines natürlichen Laubblatts zu imitieren. Wegen des geringen Wirkungsgrads der natürlichen Fotosynthese suchen wir nach alternativen Mechanismen, die wesentlich effizienter sind.» Man wolle zur Produktion von Brennstoffen aus Solarenergie Halbleitermaterialien verwenden, von denen bekannt sei, dass sie Sonnenenergie aufnehmen und umwandeln.

Bäume wandeln Sonnenlicht, Wasser und CO₂ in Zucker und anschliessend in andere Kohlenstoffverbindungen um, jedoch mit einem Wirkungsgrad von unter einem Prozent und nur über lange Zeit. «Deshalb ist es wichtig, technische Lösungen zu finden, die effizienter sind. Ein Wirkungsgrad von zehn Prozent dürfte eine Minimalanforderung sein, damit die künstliche Fotosynthese wirtschaftlich interessant wird», sagt Sophia Haussener. Denn dann wären weniger grosse Oberflächen erforderlich, um die gleiche Menge von Brennstoffen oder Kohlenstoffverbindungen wie Bäume herzustellen.

Zuerst muss CO₂ eingefangen werden

Könnte sich die künstliche Fotosynthese als Wundermittel erweisen, mit dem wir die Klimaerwärmung dank der Regulierung des Kohlendioxids in der Atmosphäre in den Griff bekommen? Die Ausgangslage ist klar: Heute beträgt die globale CO₂-Emission rund vierzig Milliarden Tonnen pro Jahr. Um den Temperaturanstieg gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter bei weniger als zwei Grad Celsius zu halten, müssten jährlich dreissig Milliarden Tonnen CO₂ eingefangen und eingelagert werden. «Theoretisch wäre dies möglich, indem auf mindestens zwei bis drei Prozent der Erdoberfläche Anlagen zur CO₂-Umwandlung installiert würden», rechnet Sophia Haussener, Professorin für erneuerbare Energien an der EPFL.
Kevin Sivula, Professor für Chemie-Ingenieurwesen an der EPFL, erinnert an ein weiteres Grössenproblem: «CO₂ liegt in der Atmosphäre sehr stark verdünnt vor und lässt sich nur schwer einfangen und selektiv umwandeln.» Deshalb müsse eine Technologie entwickelt werden, die CO₂ effizient einfange, bevor es in Anlagen für künstliche Fotosynthese oder für sonstige industrielle Prozesse zur chemischen Umwandlung von CO₂ in Brennstoffe weitergeleitet werde.

Horizonte Magazin

Hier sind alle Beiträge aufgeführt, die wir vom Horizonte Magazin übernommen haben. Horizonte berichtet über Neuigkeiten aus der Wissenschaft und erörtert forschungspolitische Fragen von internationaler Bedeutung. Horizonte wird vom Schweizerischen Nationalfonds in Zusammenarbeit mit den Akademien der Wissenschaften Schweiz herausgegeben.
Alle Beiträge anzeigen
Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende