Das musst du wissen

  • Am Klimadialog im Bundeshaus vom 2. Mai, ein erstmaliger Anlass dieser Art, waren Bürgerliche nur spärlich anwesend.
  • Dabei seien Stimmen aus der Wissenschaft äusserst wichtig, sagt die Initiantin, Nationalratspräsidentin Irène Kälin.
  • Eine Umweltökonomin sagt: Manche Politiker hätten Angst, dass sie wegen der Fakten ihr Weltbild überdenken müssten.

Es war ein halbherziges Treffen unter der Bundeshauskuppel: Nur ein gutes Drittel des Schweizer Parlaments ist an der Tagung «Parlament trifft Wissenschaft» vom 2. Mai erschienen, um sich mit Forschenden über den Klimawandel und den drohenden Verlust der Biodiversität auszutauschen. Das Treffen war im Dezember letzten Jahres nicht zuletzt durch den Hungerstreik des Klimaaktivisten Guillermo Fernandez hart erkämpft worden – higgs hat darüber berichtet.

Warum das interessant ist. Da es sich um eine freiwillige Sitzung handelte, waren die Parlamentarier nicht verpflichtet, anwesend zu sein. Die gute Nachricht: Alle Parteien waren zumindest durch ihre Parteivorsitzenden vertreten, auch wenn rechte Parteien wie die SVP zu den am wenigsten Anwesenden gehörten.

Wertvolle Stimmen aus der Wissenschaft. In den Eröffnungsreden richteten sich unter anderem die für die Umwelt zuständige Bundesrätin Simonetta Sommaruga sowie der Klimaaktivist Guillermo Fernandez an die Anwesenden. Letzterer appellierte an die Verantwortung der Gesellschaft für die Generation unserer Kinder. Danach sprachen acht Experten, die vom Netzwerk Akademien der Wissenschaften eingeladen worden waren, über die Klima- und Biodiversitätskrisen und zeigten Handlungsmöglichkeiten auf. Auf dem Programm standen die Zusammenhänge zwischen den beiden untrennbaren Krisen Klima und Biodiversität, die Fakten zu den beiden Krisen sowie schliesslich Lösungsansätze, die im dritten und letzten Teil des Weltklimaberichts im April vorgestellt worden waren.

Wie die Grüne Irène Kälin, Präsidentin des Nationalrats, die das Treffen initiiert hatte, zusammenfasste:

«Ein direkter Austausch kann das Verständnis verbessern, Missverständnisse ausräumen und offene Fragen klären. Denn die Wissenschaft liefert nicht nur erschreckende Fakten, sondern auch eine zentrale Botschaft: Der Übergang zu einer klimafreundlichen und nachhaltigen Gesellschaft ist möglich. Ökologie in den Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns zu stellen, darf nicht länger eine Ideologie sein. Es muss vielmehr zu einem Handlungsprinzip werden.»

Leere Sitze auf der Rechten? Was beim ersten Blick auf den Saal auffällt, ist die überwältigende Mehrheit der abwesenden Parlamentarier aus dem rechten Lager – mit einigen Ausnahmen, wie die beiden Waadtländer SVP-Politiker Jean-Pierre Grin und Michaël Buffat. Auf der Seite der Anwesenden finden sich vor allem die Grünen, sowie sozialdemokratische und Abgeordnete aus der politischen Mitte. Einige Parlamentarier, wie der Grüne Raphaël Mahaim, kritisierten, dass die rechten Sitzreihen leer waren. Sie sahen darin das «Drama dieses Treffens». Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass ein Grossteil der linken Sitzreihen für die Experten reserviert war, betonte FDP-Nationalrat Damien Cottier. Mit anderen Worten: Die Parlamentarier sassen nicht auf ihren üblichen Plätzen und der Bereich, der normalerweise von der Linken besetzt ist, empfing externe Besucher.

Umweltökonomin Julia Steinberger, Co-Autorin des jüngsten Weltklimaberichtes und Professorin an der Universität Lausanne, äusserte sich nach der Veranstaltung wie folgt dazu:

«Nicht alle Politiker waren anwesend, und einige hatten zur gleichen Zeit Arbeitssitzungen. Aber die führenden Politiker waren zumindest anwesend, der Ton und die Stimmung wurden vorgegeben. Es wurde eine Broschüre verfasst, auf die sich Politiker und Bürger beziehen können.»

Für Antoine Guisan, Experte für Biodiversität, der im Parlament anwesend war, kann dieses Treffen als «Katalysator für die Vertiefung des Dialogs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft» wirken. Damit könne es die Arbeit fortsetzen, welche das Netzwerk Akademien der Wissenschaften in den letzten Jahrzehnten geleistet hat.

Eine Brücke zwischen Klima- und Biodiversitätskrisen. Zentraler Aspekt in der Präsentation vor dem Parlament war, dass die Wechselbeziehung zwischen Klimawandel und Verlust der Biodiversität zur Sprache kam. «Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz müssen Hand in Hand gehen», erklärte ETH-Umweltforscher Anthony Patt, ebenfalls Mitautor des jüngsten Weltklimaberichts.

Wie zufrieden sind die Experten mit den Gesprächen? «Die Politiker kennen zwar häufig das Problem, wissen aber nicht, was auf dem Spiel steht», sagt Biodiversitäts-Experte Antoine Guisan. Das liege an der Art und Weise, wie die Überlegungen und die nötigen Massnahmen dargestellt würden. Man solle aufhören, Klimawandel und Biodiversität gegeneinander auszuspielen. «Die grösste Herausforderung der Biodiversitätskrise besteht darin, dass wir gerade an dem Ast zu sägen, auf dem wir sitzen. Indem wir die Ökosysteme schwächen, gefährden wir ihre Beiträge», sagt er.

Eine Erklärung auf Twitter. Einige Politiker, wie der Vizepräsident der FDP, Philippe Nantermod, hatten vor einigen Tagen ihre Entscheidung, nicht an dem Treffen teilzunehmen, begründet. Der Westschweizer erklärte via Twitter, dass er «nicht zu einer antikapitalistischen und ‹pro-degrowth-Messe› gehen» werde.

Umweltökonomin Julia Steinberger reagierte auf dem sozialen Netzwerk wie folgt:

«Der Grund dafür ist, dass viele empirische Beweise, die von der wissenschaftlichen Forschung gesammelt wurden, in diese Richtung weisen. Und er hat wohl Angst, dass er selbst seine Weltanschauung überdenken muss, wenn er sich diesen Beweisen aussetzt. Denn mal ehrlich: Wenn er Angst hat, dass er durch die blosse Teilnahme an einer zweistündigen Sitzung mit Fakten über Klima und Biodiversität zum Hippie wird, dann ist seine Weltanschauung vielleicht nicht sehr fundiert.»

Hat man die Parlamentarier nach dem Hungerstreik von Guillermo Fernandez «gezwungen», an dieser Informationsveranstaltung teilzunehmen, wie der Vizepräsident der FDP meint? Für Julia Steinberger ist dieses Argument nicht stichhaltig:

«Das ist keine Erpressung, denn es waren Bürger, die sich entschieden haben, die Aktion von Guillermo Fernandez zu unterstützen. Ohne die Unterstützung der Bevölkerung wäre diese Informationsveranstaltung nicht möglich gewesen.»

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Ramona Nock aus dem Französischen übersetzt.

Heidi.news

Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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