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Die Wirtschaftskommission des Nationalrats will, dass Restaurants, Kultur, Unterhaltung, Freizeit und Sport ab dem 22. März wieder öffnen können. Dies unabhängig davon, wie sich die epidemiologische Lage bis dann entwickelt. Ob das schlau ist, kann man zumindest diskutieren.

Mein Thema heute ist eine andere Passage in dem Gesetzesantrag. Die Kommission verlangt auch noch, dass künftig die Information der Öffentlichkeit zu Covid-19 ausschliesslich über den Bundesrat und das Parlament geschieht. Das bedeutet: ein Maulkorb für die wissenschaftliche Covid-Taskforce – und ist ein Skandal.
Zwar wird im Antrag die Taskforce nicht explizit erwähnt.

«Die Information der Öffentlichkeit zu Covid-19 geschieht ausschliesslich über den Bundesrat und das Parlament.»Art. 1 Abs. 7 des Gesetzesantrages

Aber die offene Formulierung macht die Sache nur noch schlimmer. Er bedeutet, dass sich künftig keine Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr zu Covid-19 äussern dürfen.

Wie absurd ist das!

Ist das auch ein Maulkorb für die Wirtschaftsverbände, für Gastrosuisse, Bergbahnen, Fitnesszentren? Streng genommen dürfte sich auch das Bundesamt für Gesundheit nicht mehr äussern. Denn es ist nicht der Bundesrat.

Wie streng soll der schwammige Gesetzestext ausgelegt werden? Müsste die Taskforce ihre Website löschen? Dort nimmt sie Stellung zu verschiedensten Themen der Pandemiebekämpfung. Dürfen Forscherinnen und Forscher ihre wissenschaftlichen Arbeiten nicht mehr publizieren? Denn diese enthalten oftmals Empfehlungen, sind öffentlich zugänglich, also Kommunikation zu Covid-19. Darf sich eine Soziologin noch in den Medien zu den Folgen des Lockdowns für unsere Gesellschaft äussern? Eine Ökonomin die wirtschaftlichen Folgen einschätzen?

Der Gesetzesantrag ist unüberlegt, unausgegoren, man könnte fast sagen schludrig. Vor allem aber beweist er, dass die Wirtschaftspolitiker keine Ahnung von Wissenschaft haben.

Darum desavouieren sie auch in Medienberichten und Statements immer wieder die Taskforce als selbsternanntes Gremium von Virologen und Epidemiologen.
Dabei hat die Taskforce ein Mandat vom Bundesamt für Gesundheit. Sie agiert unter dem Patronat des ETH-Rates, Swissuniversities, Nationalfonds, Akademien.

Es gehören ihr rund siebzig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, die aus den verschiedensten Disziplinen kommen wie Medizin, Ökonomie, Soziologie, Psychologie, Ethik und so weiter. Alle relevanten Disziplinen sind vertreten.
Aber einige Personen wie zum Beispiel die Epidemiologen Marcel Salathé und Christian Althaus sind zum Teil unter Protest auch schon aus dem Gremium ausgetreten, weil sie sich von der Politik derart wenig ernst genommen fühlen.

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Faktisch ist der Antrag der Wirtschaftskommission eine Kastration der Wissenschaft. Er ist mit 13 zu 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen äusserst knapp zustande gekommen. Wer wie gestimmt hat, wird nicht offengelegt.
Aber angesichts der heftigen Reaktion, welche linke Politiker wie Cédric Wermuth zum Beispiel auf Instagram äussern, muss man davon ausgehen, dass die SVP, FDP und die Mitte den Vorschlag durchgebracht haben.

Und das wirkt besonders seltsam, weil die Gesetzesänderung auch eine Stärkung des Bundesrates bedeutet, indem er künftig auch kommunikativ die Führung hätte. Das bedeutet also mehr Macht für den Bundesrat.

Das wird ausgerechnet in den Tagen gefordert, wo SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher in der NZZ behauptet, «Der Bundesrat hat eine Diktatur eingeführt». Und der SVP-Präsident Marco Chiesa rief zu Widerstand gegen die «willkürlichen Entscheide» des Bundesrates auf. Letztlich zeige der Antrag, so Wermuth in seinem Instagram-Post, «die Wut der Lobbys auf die Wissenschaft».

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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