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Auf dem Umweltamt eines Kantons meldet sich jemand, der Kopfweh hat, seit in der Nachbarschaft eine Mobilfunkantenne aufgestellt worden ist. Beim Eidgenössischen Starkstrominspektorat beschwert sich eine Person, sie könne nicht mehr schlafen, seit die elektrische Spannung in der Starkstromleitung in der Nähe seines Hauses erhöht worden ist.

Machen elektromagnetische Felder also krank?

Ja, das machen sie – aber erst ab einer ziemlich hohen Stärke.

Aber den beiden Beispielen, die ich aus erster Hand habe, ist etwas gemeinsam: Die Mobilfunkantenne war erst ein Baugerüst und die Spannung in der Leitung war gar noch nicht erhöht.

Trotzdem litten die Anwohner unter den Anlagen.

Sie waren eingebildet krank. Oder medizinisch gesagt: sie wurden Opfer des Nocebo-Effektes.

Achtung: eingebildet krank heisst nicht, dass die Krankheit nicht existiert. Die Personen hatten wahrscheinlich Kopfweh und Schlafstörungen. Aber nicht, weil eine äussere Ursache diese verursacht hat, sondern weil sie sich diese Ursache eingebildet haben.

Dieser Effekt wurde in wissenschaftlichen Studien x-fach nachgewiesen. Wenn Forschende Probanden vortäuschten, sie würden ihnen elektrische Ströme am Kopf anlegen, leiden viele der Versuchspersonen an Kopfweh. Obschon kein Strom geflossen war.

In vielen Versuchen wurden Probanden auf Mobilfunk-Felder getestet. Personen, die sich selbst für elektrosensibel hielten, erlitten Übelkeit, Kopfschmerzen oder grippeähnliche Symptome. Oftmals konnte man bei den Betroffenen sogar Änderungen der Herzfrequenz und der Hautfeuchtigkeit messen. Dies völlig unabhängig davon, ob die Antenne tatsächlich in Betrieb war oder nicht. Es gibt sogar Personen, die wegen massiver gesundheitlicher Beschwerden solche Tests abbrechen mussten. So schädlich können eingebildete Schädlichkeiten sein.

Auch bei Medikamenten kennt man den Effekt. Allergiker reagieren allergisch, obschon ihnen nur Kochsalzlösung verabreicht wird. Dasselbe passiert mit den Nebenwirkungen, die auf den Beipackzetteln von Medikamenten aufgeführt sind: Wer dort von Juckreiz, trockenem Mund oder Übelkeit liest, wird mit einiger Wahrscheinlichkeit auch daran leiden.

Was lernen wir daraus? Ich lese nie einen Beipackzettel. Weil aus der Forschung ist bekannt: Selbst wer sich des Nocebo-Effektes bewusst ist, kann an Symptomen leiden – genau gleich wie das Placebo auch hilft, wenn man weiss, dass in einer Pille kein Wirkstoff ist.

Und: Wer dauernd über schädliche Effekte von Mobilfunkanlagen redet, provoziert, dass die Anwohner solcher Anlagen tatsächlich Kopfweh haben. Die Warnenden machen also die Menschen krank – und nicht die Strahlung.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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