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Es sind vor allem zwei Hauptargumente, mit denen die Zahlen der Covid-19-Opfer in Zweifel gezogen werden. Gleich beide zückt der Schweizer Schriftsteller und Ritualgestalter Nicolas Lindt in einem Interview auf Radio LoRa.
Und beide Argumente sind kompletter Unsinn, wie man leicht zeigen kann.

So berichtet Lindt von einem Video auf Facebook, in dem eine anonyme Krankenpflegerin erzählt:
«wie man in den Spitälern alles macht, um einen Toten als Corona-Toten zu verkaufen. Da stand eine Pflegefachfrau am Sterbebett zusammen mit einem Arzt und sah, wie er in seine Unterlagen […] schrieb: Corona. Da sagte sie zu ihm: Der [Patient] ist ja gar nicht an Corona gestorben. Da sagte er [der Arzt]: Doch, doch, das macht sich besser.»

Vorauszuschicken ist, dass Covid-19-Fälle meldepflichtig und entsprechend reglementiert sind.

Um einen Todesfall zu melden, muss sich die behandelnde Ärztin oder der Arzt auf einer dafür eingerichteten Website einloggen, oder ein Meldeformular als PDF ausfüllen. Hierfür gibt es genau definierte klinische Kriterien und Probekriterien. Einfach eine Notiz in der Krankenakte oder ein Kreuzchen am entsprechenden Ort auf einem Formular zu machen, reicht also nicht.

Aber, kann man denn hier nicht einfach falsche Angaben machen, fragte ich bei einem Infektiologen des Universitätsspitales Basel nach. Natürlich könne man das, räumt dieser ein. Aber diese Angaben müssten dann bewusst und sehr durchdacht gefälscht sein, damit sie eben nicht als Falschmeldungen erkennbar sind.

Und überhaupt: welches Interesse hätten denn die Spitäler an einer gezielten Fälschung?

Da hat Lindt natürlich auch eine Erklärung parat. Jene, die Donald Trump und verschiedene Corona-Leugner in Deutschland auch verbreiten:
«Ganz viele Spitäler sind an den Kapazitätsgrenzen und hätten zum Teil sogar schliessen müssen. Und damit sie nicht schliessen müssen, müssen sie beweisen, wie notwendig sie sind. Darum müssen sie zeigen, wie viele Corona-Erkrankte sie haben, damit sie mehr Subventionen erhalten.»

Diese Behauptung prüfen wir anhand der Regelungen in der Krankenversicherung, wie sie in der Schweiz gelten. Hier ist festgehalten, dass die Spitäler die Corona-Analysen vergütet erhalten, so wie sie auch ihre anderen Dienstleistungen vergütet erhalten. Ob sie mehr oder weniger positive Fälle melden, spielt keine Rolle, weil die Kosten für die Meldung in der Pauschalen inbegriffen sind. Die Idee, dass mehr positive Fälle mehr Einkommen bedeuten, ist so absurd, wie wenn man behaupten würde, ein Röntgenbild werde nur entschädigt, wenn der Arm wirklich gebrochen ist.

In Tat und Wahrheit ist es sogar umgekehrt. Das System ist so ausgelegt, dass es zu möglichst wenigen Falschmeldungen kommt. Nach der Covid-19-Verordnung 3 (Artikel 26a Absatz 7) kann der Bund die Vergütung zurückfordern, wenn ein Leistungserbringer – also ein Spital, oder eine Arztpraxis – die Meldepflichten nach dem Epidemiengesetz (EpG) (Artikel 12) verletzt.

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Und selbst wenn die anonym auf Facebook kolportierte Geschichte der Pflegefachfrau wahr sein sollte. Wie viele der Totenmeldungen wären dann falsch ausgefüllt? Eine von hundert? Zehn von hundert? Und selbst wenn: Dann hätten wir in der Schweiz bis heute halt nicht 7800 Covid-Tote, sondern erst 7000. Weltweit wären es nicht fast 1,9 Millionen, sondern bloss 1,7 Millionen. Macht das einen Unterschied? Wo wären die Tausenden von Pflegepersonen, die die Ärzteschaft beim Falschdeklarieren beobachten?

Corona-Ignoranten bringen also zwei Argumente, zweimal Fake. Da stellen sich natürlich Fragen: Zum Beispiel warum ein Schriftsteller, der sich als kritischen Menschen bezeichnet, einem anonymen Video auf Facebook mehr vertraut als den offiziellen Quellen.

Oder warum er ungeprüfte Gerüchte am Radio verbreitet und nicht versucht, den wahren Sachverhalt abzuklären. Wo er doch so kritisch ist. Hätte er nämlich nur die Links angeklickt, die ich im Text zum Video alle angebe, hätte er selbst herausgefunden, dass seine Story reiner Bullshit ist.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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