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Diese Männer sammeln Unterschriften gegen den «Impfzwang». Knapp 71 000 sind bisher zusammengekommen, die Sammelfrist läuft noch bis zum 1. Juni 2022. Die Volksinitiative wird also mit grosser Wahrscheinlichkeit zustande kommen. Sie scheint auch dringend nötig, denn immer wieder hört man, dass jetzt Menschen zum Impfen gezwungen würden. Zum Beispiel, um in einem Club tanzen zu gehen, an einem Kongress teilzunehmen oder ins Ausland zu reisen. Was ist daran? Zwingt uns jemand zum Impfen?
Ist Impfzwang gesetzlich möglich?
Impfzwang ist ganz klar nicht mit den Freiheitsrechten vereinbar, konkret mit den Rechten auf körperliche Unversehrtheit und der Willensfreiheit. Darum hat man die Wahl, wenn man an einen Kongress, in einen Club oder ins Ausland will: Man kann sich impfen, einen PCR-Test machen oder nachweisen, dass man genesen ist. Zwangsimpfungen sind auch gemäss dem schweizerischen Epidemiengesetz, welches das Stimmvolk im Jahr 2012 gutgeheissen hat, nicht möglich. Dies übrigens im Gegensatz zu den Vorläufergesetzen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, wo eine Zwangsschutzimpfung noch relativ offen gutgeheissen worden war.
Eigentlich wissen die Initianten, dass man niemanden zum Impfen zwingen kann, auch wenn sie auf ihren Plakaten das Schreckgespenst des Impfzwangs heraufbeschwören. Aber darum heisst die Initiative korrekterweise ja «Stopp Impfpflicht».
Also Pflicht, nicht Zwang.
Allerdings können der Bundesrat oder einzelne Kantone gemäss Artikel 22 und Artikel 6 des Epidemiengesetzes bei einer erheblichen Gefahr eine Impfung für obligatorisch erklären. Aber nur für gefährdete Bevölkerungsgruppen, besonders exponierte Personen und Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, zum Beispiel das Personal in einem Heim oder Spital. Nicht aber für die gesamte Bevölkerung. Die Impfung gegen das Coronavirus wurde bislang weder vom Bund noch von den Kantonen für obligatorisch erklärt. Und der Bundesrat hat immer gesagt, dass er dies nicht in Erwägung ziehe.
Zu diesen Fragen hat Kerstin Vokinger, Rechtsanwältin und Ärztin und Assistenzprofessorin für u.a. Öffentliches Recht an der Universität Zürich eine ausführliche juristische Betrachtung verfasst. Dort setzt sie sich auch mit der Frage auseinander, was denn überhaupt ein «Zwang» sei. Klar: Wenn man jemanden fesselt und die Impfung gewaltsam verabreicht. Das geht nicht, es verstösst gegen die Freiheitsrechte und ist darum gemäss Artikel 38 der Epidemienverordnung unzulässig.
Machen angedrohte Strafen eine Impfpflicht zum Impfzwang?
Aber was ist, wenn eine Impfpflicht zum Beispiel durch die Androhung einer Busse durchgesetzt wird? Interessanterweise gibt es solche Gesetze noch in wenigen Schweizer Kantonen. Genf und Neuenburg haben eine «vaccination obligatoire» für die Diphterie bei Kindern. Die Gesetze stammen aus den Jahren 1979 beziehungsweise 1961 und werden in Neuenburg nicht mehr durchgesetzt, in Genf nur noch teilweise. Heisst: wer trotz Obligatorium seine Kinder nicht gegen Diphterie impft, dem wird zwar eine Busse angedroht, aber es wird nicht kontrolliert, ob er die Pflicht danach erfüllt.
Das schweizerische Epidemiengesetz enthält keine Rechtsgrundlage, um die Nichtbeachtung einer Impfpflicht zu büssen. Es ist mit der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln zu vergleichen. Wer im Tram und Bus keine Maske trägt, kann nicht gezwungen werden, eine Maske zu tragen, und kann dafür auch nicht gebüsst werden. Er oder sie wird auf das Maskenobligatorium aufmerksam gemacht und kann dann wählen: Maske auf oder Fahrzeug verlassen. Man hat also die Wahl. Erst wenn man sich beidem widersetzt, gibt es eine Busse. Wegen Nichtbeachtung einer bahnpolizeilichen Anweisung. Nicht wegen
Verweigern der Maske.
Fazit und damit zurück zum Impfen: Auch wenn in besonderen Lagen eine Impfflicht erlassen würde, gibt es keine Möglichkeit, mit angedrohten Bussen oder Strafen draus einen indirekten Zwang zu machen.
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Zwingt sozialer Druck oder der Arbeitgeber zum Impfen?
An dieser Stelle argumentieren Impfverweigerer mit dem Zwang durch sozialen Druck. Sie fühlen sich ausgegrenzt, geradezu geächtet. Dazu meine ich persönlich: Es ist ganz allein meine Sache, ob ich eine Impfverweigerin zur Begrüssung küssen will. So wie ich auch selbst entscheiden darf, ob ich meine Freizeit mit Fussballfans, Kunstliebhaberinnen oder Hobbyköchen verbringen möchte.
Spätestens hier kommen dann die Erzählungen von Personen, die durch ihren Arbeitgeber zum Impfen gezwungen werden. Zum Beispiel im Spital oder Pflegeheim. Aber auch so ein Zwang ist gesetzlich nicht zulässig. Zwar kann der Arbeitgeber festlegen, welche Vorsichtsmassnahmen er für welche Tätigkeit vorschreibt: auf der Baustelle einen Helm, in der Schlosserei Stahlkappenschuhe, im Spital eine Maske, Schutzkleidung oder eben eine Impfung. Wer sich nicht impfen lassen will, kann nicht dazu gezwungen werden. Aber er oder sie müssen in Kauf nehmen, dass sie nicht mehr jede Tätigkeit ausüben dürfen, wenn der Arbeitgeber dafür eine Impfung für nötig hält.
Dies habe ich kürzlich einer Impfverweigerin erklärt, nachdem sie von einer Kollegin berichtete, der mit Kündigung gedroht worden sei, als sie sich nicht impfen lassen wollte.
Diese Kündigung wäre missbräuchlich, und gegen solches Vorgehen muss man sich unbedingt juristisch wehren. Aber als ich diese Bekannte dann fragte, in welchem Heim das geschehen sei – weil ich der Sache nachgehen wolle –, wurde aus der «Kündigungsdrohung» ein «mehrfach nahegelegt». Und das darf der Arbeitgeber.
Natürlich gibt es einzelne Fälle von solchen missbräuchlichen Kündigungen. Der eine oder andere hat ja auch schon den Weg in die Medien gefunden. Aber beim ganzen Gros von erzwungenen Impfungen und Entlassungen, die Impfskeptiker immer wieder zitieren, bleibt es vorerst bei Erzählungen. Doch higgs will es genauer wissen: Wir wollen solchen Fällen nachgehen. Wer davon betroffen ist, soll sich melden. Aber bitte keine Geschichten vom Hörensagen. Wir suchen Leute, die direkt involviert sind. Wir sichern euch Anonymität zu und decken die Geschichte auf. higgs will es wissen.