Das musst du wissen

  • Der Einmarsch des IS 2014 hat den Irak erschüttert – und das religiöse Zusammenleben nachhaltig beeinträchtigt.
  • Seitdem herrscht unter den Minderheiten tiefes Misstrauen gegenüber der muslimischen Mehrheit.
  • Gemeinsame Aktivitäten von Christen und Moslems können das verlorene Vertrauen aber langsam wieder aufbauen.
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Es weihnachtet. Die Festtage sind eine Zeit der Besinnung und der Nächstenliebe, in der Streitereien beigelegt und Brücken geschlagen werden. Leider geschieht an vielen Orten auf der Welt aber genau das Gegenteil. Konflikte spalten die Gesellschaft, Kriege machen aus Nachbarn Feinde. Und auch wenn Auseinandersetzungen beigelegt werden – Gräben, die sich auftun, schliessen sich nicht einfach wieder. Doch die Wissenschaft spendet Hoffnung: Mit den richtigen Mitteln können die Wunden, die Kriege in der Gesellschaft anrichten, heilen.

Alltägliche Lösungsansätze für grosse Probleme

Wie das geht, zeigt die ägyptischstämmige Politikwissenschaftlerin Salma Mousa von der Yale-Universität. Für ihre Studie, die 2020 im Fachmagazin Science erschien, untersuchte sie, wie Amateurfussball den interkulturellen Austausch im Irak beeinflusst. Dort beeinträchtigte der Einmarsch des Islamischen Staats im Jahr 2014 das Zusammenleben der Religionen schwer: Die fundamentalistischen Gotteskrieger vertrieben hunderttausende Angehörige der christlichen und jesidischen Minderheiten. Was nach der Vertreibung des IS blieb, waren tiefe Vorbehalte gegenüber der muslimischen Mehrheit, die vermeintlich mit dem Feind zusammengearbeitet hatte.

Salma Mousa wollte herausfinden, ob Fussball dazu beitragen kann, die entstandenen Gräben wieder zu schliessen – sprich, ob das Vertrauen der Christen in die muslimische Mehrheit wieder steigt. Dafür liess die Forscherin einzelne muslimische Spieler eine zweimonatige Saison lang für bis dahin rein christliche Amateurmannschaften auflaufen. In der Kontrollgruppe bestanden die Mannschaften weiterhin ausschliesslich aus christlichen Spielern. Insgesamt waren so über vierzig Mannschaften aus dem Nordirak an dem Experiment beteiligt.

Kein Allheilmittel, aber ein Anfang

In der Folge zeigten sich christliche Fussballer aus gemischten Mannschaften deutlich toleranter gegenüber muslimischen Mitspielern: Sie wählten muslimische Spieler des Gegnerteams häufiger zum Fussballer des Spiels, trainierten auch nach Ende der Studie öfter mit Moslems und zeigten eine höhere Bereitschaft, weiterhin in gemischten Teams zu spielen. Abseits des Spielfelds, also bezogen auf die muslimische Gemeinschaft, waren die Effekte allerdings weniger stark: Unter den Christen zeigte sich lediglich eine leichte Tendenz zu mehr religiös gemischten Aktivitäten wie Nachbarschaftsanalässen oder dem Essen in einem muslimischen Restaurant. Die Effekte blieben jedoch statistisch nicht nachweisbar.

Science-Check ✓

Studie: Building social cohesion between Christians and Muslims through soccer in post-ISIS IraqKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsInterkultureller Kontakt ist eine schwer untersuchbare Messgrösse. Das beschränkt die Aussagekraft der Studie, welche über einen Zeitraum mehrerer Monate durchgeführt wurde: Zahlreiche Effekte jenseits des Fussballs haben einen Einfluss auf die gegenseitige Wahrnehmung der Religionsgemeinschaften, die sich im Studiendesign nicht ausblenden lassen.Mehr Infos zu dieser Studie...

Fussball ist also kein Allheilmittel für die gesellschaftliche Spaltung im Irak. Denn nach wie vor dauern Bürgerkriege in der Region an und es mangelt an politischer Unterstützung für die Minderheiten. Aber: Der Mannschaftssport kann den Frieden unterstützen. Denn wenn der christliche Spieler seinem muslimischen Mannschaftskollegen wieder etwas mehr vertraut, ist das zumindest ein erster Schritt in Richtung eines friedlichen Zusammenlebens der Religionen. Eine frohe Botschaft zum Fest der Nächstenliebe.

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