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Schritt 1: Die Hypothese.

Jemand stellt eine Behauptung auf, die geschickt aus mehreren Elementen zusammengesetzt ist und so als Ganzes schwer angreifbar wird.

  • Es gibt darin Details, die richtig sind. Zum Beispiel: «An Grippe sterben jedes Jahr mehr Menschen als bisher an Covid-19.»
  • Einiges ist halb oder bedingt richtig: «Coronaviren sind nichts Neues.» Das stimmt an sich, aber das Sars-CoV-2-Virus ist definitiv neu.
  • Dann gibt es in der Behauptung Elemente, die sind faktisch falsch. Zum Beispiel «Der Nachweistest ist zu wenig spezifisch.»
  • Und schliesslich ist da auch Nicht-Überprüfbares, Unbelegbares oder schlicht Unsinn. Wie «Die Corona-Epidemie ist nur Panikmache.»

Darauf gibt die Wissenschaft eine Antwort.

Wobei sie Richtiges nicht bestätigen muss und auf Unsinn nicht eingehen kann. Also konzentriert sie sich darauf, halb Richtiges und faktisch Falsches zu korrigieren. Das kann manchmal kompliziert sein, so dass das Publikum nicht sehr genau hinhört.

Der Verschwörungstheoretiker macht dann weiter mit:

Schritt 2: Ablenken.

Man geht nicht auf die Gegenargumente ein, bringt neue Aspekte ins Gespräch, wechselt das Thema.

Im Normalfall geht die Wissenschaft wieder seriös auf die neuen Argumente ein. Das aber interessiert gar nicht. Der Verschwörer wechselt wieder das Thema oder zündet gleich die nächste Stufe.

Schritt 3: Statisten und Scheingefechte.

Es werden Statisten in Stellung gebracht: «Frau Prof. sagt …..». Oder aber, es werden Scheingefechte aufgezogen, also Behauptungen angefechtet, die gar nie jemand aufgestellt hat. Am liebsten beides in Kombination. Also: «Frau Professor XY sagt, das Coronavirus ist kein Killervirus». Das muss aber gar nicht widerlegt werden, weil es nie jemand behauptet hat. Trotzdem ist die Pseudo-Widerlegung doppelt wirksam. Beim Publikum bleibt hängen: Es hat jemand etwas behauptet, das jetzt widerlegt wird. Und der Absender (also der Verschwörer) erhält Unterstützung. Das festigt die Glaubwürdigkeit der ursprünglichen falschen Behauptung, ohne dass diese nochmals inhaltlich geprüft wird.

Schritt 4: Medien instrumentalisieren.

Auch der grösste Unsinn stösst bei irgendeinem Medium auf Gehör. Die meisten Medien aber versuchen faktisch zu hinterfragen und setzen sich kritisch mit deren Absender der Behauptung auseinander. Und genau das war die Absicht. Negative Berichte werden als Diskreditierung dargestellt. «Die Mainstream-Medien wollen mich fertigmachen», heisst es dann zum Beispiel.

Schritt 5: Opferrolle einnehmen.

«Alle sind gegen mich», heisst es dann zum Beispiel.

Spätestens jetzt kommt keine Replik mehr – weder von der Wissenschaft noch von Medien. Denn man hat ja den Dialog gesucht, aber der Verschwörer will nicht darauf eingehen.

Und diese Nicht-Reaktion führt automatisch zu…

Schritt 6: Komplott konstruieren.

Es heisst dann: «Die Fachwelt ignoriert mich, die Medien wollen mich fertig machen.» Meistens kommt dann noch die böse Industrie hinzu, die nur Geld machen oder jemandem ein Patent abluchsen will. Und schliesslich heisst es: « Die stecken alle unter einer Decke.»

Das ist die Einleitung zu…

Schritt 7: Lager verfestigen

Der Verschwörer appelliert an die Solidarität: Die Leute werden aufgefordert, Farbe zu bekennen. «Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.»

Und fertig ist die Verschwörungstheorie. Wer ihr bis hierher gefolgt ist, kommt kaum mehr raus. Denn wollte jemand jetzt der Verschwörung abschwören, müsste er ja zugeben, dass er einem Irrtum aufgesessen ist, oder einem Scharlatan.

Und in der aktuellen Corona-Krise gibt es noch einen Punkt: All jene, die sagen, es sei übertriebene Panik, haben grosse Chance, recht zu bekommen. Wenn nämlich die Ansteckungen in ein paar Wochen zurück gehen, werden sie das niemals auf die ergriffenen scharfen Massnahmen zurückführen, sondern als Beweis dafür sehen, dass sie Recht hatten. Es ist ja wieder vorbei gegangen.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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