Manche denken bei der Vorsilbe «Nano» an seltsame Science-Fiction-Geschichten. Nanowissenschaft bedeutet jedoch einfach eine Technik zur Manipulation von Teilchen auf nanometrischer, d.h. molekularer Ebene. Diese Technologie sollte uns keine Angst machen, sondern Hoffnung geben, sagt Cornelia Palivan, Professorin für physikalische Chemie an der Universität Basel und Mitglied des Schweizerischen Instituts für Nanotechnologie in Basel.

Frau Palivan, halten Sie das Szenario, das wir der folgenden Science-Fiction-Geschichte vorstellen, für plausibel – nämlich, dass Nanotechnologie, die in den menschlichen Körper injiziert wird, irgendwie die Kontrolle über einen Menschen übernehmen und ihn manipulieren könnte?

Ich würde sagen: Nein, von diesem Szenario sind wir sehr, sehr weit entfernt. Die sogenannten «Nanoroboter» sind im Moment Science-Fiction, etwas Faszinierendes, aber sie bleiben surreal.

Man könnte höchstens an die Gefahr denken, die von der Entwicklung von Nanopartikeln ausgeht, die giftige Verbindungen enthalten, oder an potenziell sehr tödliche chemische und biologische Waffen, die von Regierungen entwickelt werden. Aber wir sprechen hier von Giften, und das hat nichts mit der Grösse zu tun. Die Bezeichnung «Nano» steht nicht für eine gute oder schlechte Technologie, sondern für einen Weg, Probleme auf molekularer Ebene zu lösen. Dies kann vor allem in der Medizin von grossem Nutzen sein.

Was bedeutet es, heute Nanotechnologie zu entwickeln?

Mit meiner Gruppe arbeiten wir an der Umsetzung der Nanotechnologie in verschiedenen Bereichen, von der Medizin über die Ökologie bis zur Lebensmittel-Wissenschaft. Dazu entwickeln wir sogenannte «Bio-Hybrid-Materialien», die durch die Kombination von Biomolekülen – wie Proteinen und Enzymen – mit synthetischen Materialien in sehr kleinen Mengen gewonnen werden.

Grössenvergleich Nanopartikel mit anderen Objektenswissinfo/Kai Reusser

Wir sprechen von Kompartimenten, also sehr kleine Kapseln, im Nano- oder Mikrobereich, die einen Radius von 100 Nanometern nicht überschreiten und in denen wir zum Beispiel Enzyme einkapseln, die wirken, sobald diese Kapseln vom Körper aufgenommen werden.

Eines der Probleme in der Medizin ist, dass die in Medikamenten enthaltenen Biomoleküle schnell ihre Wirksamkeit verlieren. Mit biohybriden Materialien wie unseren Nanokompartimenten ist es möglich, die gesamte Funktionalität von Proteinen und Enzymen zu erhalten und sicherzustellen, dass sie ihre Aktivitäten ausführen. Ausserdem sind die Biomoleküle dank diesen synthetischen «Nanokapseln» geschützt und bleiben intakt.

Ist die Nanomedizin wirksamer als herkömmliche Medikamente?

Ja, aber es ist nicht nur eine Frage der Wirksamkeit. In der Medizin besteht die grösste Herausforderung heute darin, Medikamente durch die Verringerung von Nebenwirkungen noch sicherer zu machen.

Jede und jeder kann in die Apotheke gehen und verschiedenfarbige Pillen zur Behandlung unterschiedlichster Krankheiten kaufen. Aber die Frage ist: Was ist darin enthalten? Die Idee ist, dass die Ärztin, der Arzt der Zukunft den Menschen nicht nur Medikamente verschreibt, sondern auch sicherstellt, dass diese an der richtigen Stelle wirken und nicht giftig für andere Teile des Körpers sind.

Das ist es, was alle erwarten, wenn sie in die Apotheke gehen. Unter diesem Gesichtspunkt kann die Nanotechnologie helfen, denn sie ermöglicht es, diese Träger zu «manipulieren».

unibas.ch

Cornelia Palivan ist Professorin für physikalische Chemie an der Universität Basel und Mitglied des Swiss Institute of Nanotechnology in Basel.

Bei der klassischen Lösung werden Moleküle in Pulverform eingebracht, wie dies bei den meisten Arzneimitteln der Fall ist. Dabei besteht die Gefahr, dass die Substanzen in manchen Situationen nicht in die Zellen gelangen. Denn sie sind zu gross, um angenommen zu werden.

Ein bekanntes Beispiel sind die Impfstoffe auf der Grundlage der Boten-RNA-Technologie [wie die mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19]: Die Ribonukleinsäure oder RNA ist in Nanopartikel eingebettet, die als Vektoren fungieren. Diese Vektoren schützen das Molekül und transportieren es dorthin, wo es benötigt wird. Da diese Nanopartikel chemisch hergestellt werden, können sie von den Zellen leichter aufgenommen werden.

Bei der Nanotechnologie handelt es sich um eine neue Technik. Gibt es in diesem Zusammenhang auch Risiken?

Natürlich gibt es die. Es ist jedoch schwierig zu sagen, welche das sind, da es mehrere Jahre an Tests und klinischen Ergebnissen braucht, bevor sie vollständig bewertet werden können. Es ist also normal, dass die Leute Fragen stellen.

Bei den Covid-19-Impfstoffen beispielsweise wissen wir, dass sie gut wirken. Und wir kennen die kurzfristigen Auswirkungen, aber wir kennen noch nicht die langfristigen, weil niemand Zeit hatte, etwas eingehend zu untersuchen, das erst vor anderthalb Jahren auf den Markt kam. Diese langfristigen Risiken müssen also von der Wissenschaft untersucht werden.

Ich möchte jedoch einen sehr wichtigen Punkt ansprechen: Um vermarktet werden zu können, werden Arzneimittel und natürlich auch deren Trägerstoffe jahrelang erforscht, untersucht und getestet. Das kann ein sehr frustrierender Prozess sein, denn jedes Mal, wenn man einen Schritt nicht schafft, muss man wieder von vorne anfangen.

Dies ist jedoch unvermeidlich, denn der menschliche Körper ist eine sehr komplexe Maschine, und dies ist notwendig, um die Sicherheit des Arzneimittels zu gewährleisten. Das gilt auch für die Nanotechnologie: Egal, wie vielversprechend die entwickelten Lösungen sind – wenn sie nicht alle Testphasen überstehen, werden sie verworfen.

In welchen Bereichen könnte die Nanotechnologie in Zukunft eine Rolle spielen?

In der Medizin, vor allem in der Krebsdiagnostik und -behandlung. Nanopartikel sind als Kontrastmittel bekannt und könnten sehr nützlich sein, um Tumore in bestimmten Bereichen des Körpers zu identifizieren oder die Richtung von Tumorzellen zu überwachen.

Darüber hinaus gibt die Nanotechnologie der personalisierten und der Präzisionsmedizin – die für die Krebsbehandlung von entscheidender Bedeutung ist – einen deutlichen Impuls. Dies ist die einzig mögliche Zukunft [im Bereich der Therapie], und in diesem Sinn ist die Nanowissenschaft die einzige Lösung. Denn sie ermöglicht es, auf molekularer Ebene alle Arten von Vektoren zu entwickeln und spezifische Antikörper anzugreifen. Deshalb können wir die Nanotechnologie als die «Medizin der Zukunft» betrachten.

In anderen Bereichen könnte die Nanowissenschaft der Ökologie helfen, indem sie das grosse Problem der Wasserreinheit löst. Mit Hilfe von Nanopartikeln, die Proteine zur Schadstoffbekämpfung enthalten, könnte Wasser gereinigt werden. Die gleichen Partikel könnten auch in der Lebensmittel-Industrie eingesetzt werden, um Veränderungen in der Qualität und Verderb festzustellen.

Wer wird sich diese «Medikamente der Zukunft» leisten können?

Die Kosten sind in der Tat hoch und mit Sicherheit nicht bezahlbar, aber ich sehe vorläufig keine Lösung für dieses Problem. Die Unternehmen, die diese Technologien entwickeln, haben ein Interesse daran, die Preise hoch zu halten und die Patente aus Profitgründen so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Problem noch nicht lösbar.

Bedeutet dies, dass sich in Zukunft nur noch ein Teil der Bevölkerung, nämlich die Wohlhabenderen, beispielsweise eine Krebsbehandlung leisten kann?

Leider ja, wenn die Kosten für die Behandlung nicht sinken. Ich würde gerne optimistischer sein, aber ich sehe da noch keine Perspektive. Was wir brauchen, sind eine umfassende politische Vision und Massnahmen auf internationaler Ebene. Die Initiativen einzelner Länder wie der Schweiz oder Frankreichs reichen nicht aus.

Können Sie sich eine Zukunft vorstellen, in der die Nanotechnologie das menschliche Leben verlängern könnte?

Es laufen einige Experimente, aber es ist sehr schwierig, denn der menschliche Körper ist etwas Wunderbares und unglaublich kompliziert. Darüber hinaus gibt es zwei grosse Herausforderungen zu bewältigen. Die eine ist, das Leben zu verlängern, die andere, die Lebensqualität zu verbessern.

Wir haben bereits festgestellt, dass mit dem steigenden Durchschnittsalter auch die neurodegenerativen Erkrankungen zunehmen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es wichtiger, so lange wie möglich gesund zu bleiben als einfach nur länger zu leben.

Mit meiner Gruppe arbeiten wir an so genannten «künstlichen Organellen». Organellen sind Zellstrukturen, die für das Leben grundlegend sind, wie etwa die Mitochondrien. Mit unseren künstlichen Organellen wollen wir versuchen, die Natur zu kopieren.

Dies erreichen wir, indem wir synthetische Materialien einbauen, die sie robuster machen. Diese Technologie könnte in Zukunft sehr vielversprechend sein, um die Prozesse zu unterstützen, die dem Leben zugrunde liegen.

Dieser Text erschien zuerst bei swissinfo und wurde von Christian Raaflaub aus dem Italienischen übertragen.
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