Die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer lässt die Abstimmungs- und Wahllokale links liegen. Auch bei den jüngsten Vorlagen vom letzten Sonntag: Die Stimmbeteiligung lag bei unter 40 Prozent. Mehr als die Hälfte hat also nicht mitentschieden. Dasselbe galt für die meisten Abstimmungen der letzten Jahre und umso mehr bei Wahlen politischer Repräsentanten. Und dies, obwohl freie und gleiche Wahlen und das Recht, bei Verfassungstexten und Gesetzen mitzuentscheiden, zentrale Errungenschaften unserer Demokratie darstellen. Doch wer sind diese Nichtwählerinnen? Gibt es unterschiedliche Typen von Wahlabstinenten? Und aus welchen Beweggründen bleibt die Mehrheit der Urne fern?
Antworten auf diese Fragen sucht man meist vergebens, da die Wahlforschung ihr Augenmerk eher auf die Wählenden als auf die Abstinenten richtet. Dadurch vermögen wir zwar die Wählenden von den Nichtwählenden zu unterscheiden. Eine eingehende Charakterisierung Letzterer findet sich dagegen nur sehr selten. Dabei erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass es sich bei der Nichtwählerschaft um eine einheitliche Gruppe von Personen handelt, die alle aus ein und demselben Grund der Urne fernbleiben.
In der Theorie lassen sich drei Umstände unterscheiden, warum Menschen nicht an Wahlen teilnehmen: Entweder wollen sie nicht, weil es ihnen an Motivation mangelt. Oder sie können nicht, weil ihnen die nötigen Ressourcen und Ausbildungen fehlen. Mitunter werden sie aber auch von niemandem aufgefordert, weil sie sozial unzureichend eingebunden sind. Werden diese möglichen Gründe in unterschiedlicher Weise miteinander kombiniert und mit den Daten von 4391 im Jahre 2011 befragten Schweizerinnen und Schweizern unterlegt, lassen sich sechs Nichtwähler-Typen identifizieren.
Die sechs Typen
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- Die zufriedenen, aber eher desinteressierten Nichtwählenden bilden mit 25 Prozent die grösste Gruppe innerhalb der Nichtwählerschaft. Sie zeigen ein unterdurchschnittliches politisches Interesse, äussern aber politisches Vertrauen und allgemeine Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie. Zudem üben sie hin und wieder alternative Formen politischer Partizipation aus wie etwa Protestieren oder das Sammeln von Unterschriften. Im Gegensatz zur Motivation mangelt es dieser Gruppe nämlich nicht an Ressourcen oder Netzwerken. Vielmehr verfügen sie über ein relativ hohes Einkommen und Bildungsniveau und sind familiär und sozial recht gut eingebunden. Sie leben eher in grossen Haushalten, ihr Alter und die Grösse ihres Wohnortes liegen im Durchschnitt.
- Die Gruppe der inkompetenten Nichtwählenden kommt auf rund 20 Prozent. Sie hat im Vergleich ein geringes Einkommen und Bildungsniveau und ist sozial schlechter eingebunden. Die Mitglieder dieser Gruppe sind unzufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie und haben kaum Vertrauen in Regierung und Parlament. Als Gründe der Nichtwahl geben sie an, sich nicht für Politik zu interessieren, diese als zu kompliziert zu empfinden, die Kandidierenden nicht zu kennen und sich überdies nicht entscheiden zu können. Es verwundert daher nicht, dass nur die wenigsten von ihnen an vorherigen Wahlen und Abstimmungen teilgenommen haben oder anderen Arten politischer Beteiligung nachgehen. Diese Nichtwählenden sind insbesondere in kleinen Haushalten und mittleren bis grösseren Gemeinden zu finden.
- Die sozial isolierten Nichtwählenden machen etwa 18 Prozent aus. Ihnen fehlt es weniger an Ressourcen, sondern eher an Motivation und sozialer Einbettung. Das vergleichsweise hohe Bildungsniveau, der seltene Kirchgang und der ledige Familienstand lassen sich durch das im Vergleich jüngste Durchschnittsalter erklären. Besonders auffällig sind die fehlende Kandidatenkenntnis als Grund der Abstinenz, das geringe Vertrauen in die Politik sowie die Seltenheit politischer Diskussionen mit Familie, Freunden oder Kollegen. Isoliert von einem politisch motivierenden Umfeld, fällt es besonders schwer, staatsbürgerliche Rechte, Pflichten und Fähigkeiten zu erlernen und einzuüben.
- Die politisch verdrossenen Nichtwählenden sind mit 16 Prozent vertreten. Noch weitaus mehr als der vorherigen Kategorie fehlt es den Mitgliedern dieser Gruppe an der Motivation, sich an Wahlen zu beteiligen. Sie zeigen das geringste politische Interesse, den seltensten Nachrichtenkonsum und das wenigste Wissen über politische Sachverhalte aller Nichtwählergruppen. Zudem besteht ein Mangel an Ressourcen, was ihre Bildung und das Einkommen betrifft. Ferner suggerieren die vergleichsweise hohe Unzufriedenheit mit der Demokratie, das Misstrauen den politischen Institutionen gegenüber, die geringe Parteiidentifikation und der seltene Austausch über Politik, dass die Nichtwahl ein Ausdruck von tiefer sitzendem Verdruss ist. Diese Gruppe ist tendenziell eher in kleinen Gemeinden und dem politisch linken Lager zuhause.
- Die abstimmenden Nichtwählenden machen 13 Prozent der Nichtwählerschaft aus. Sie spielen in mancherlei Hinsicht eine Sonderrolle. Eigentlich vereinen sie viele Voraussetzungen für eine Wahlteilnahme: Vertreter dieses Typs interessieren sich sehr für Politik, lesen häufig politische Nachrichten in der Zeitung und kennen sich in der Politik generell gut aus. Zudem sind ihnen sogar die Kandidierenden bekannt, und Politik erscheint ihnen nicht allzu kompliziert. Allerdings weisen die Mitglieder dieser Gruppe keine allzu grossen Bildungs- und Einkommensressourcen auf. Überdies halten diese Befragten Volksabstimmungen für wichtiger als Wahlen und konsultieren damit lieber die Abstimmungs- als die Wahlurne. Diese abstimmenden Nichtwählenden sind tendenziell jünger und wohnen eher in kleinen Haushalten in grossen Gemeinden.
- Die unkonventionell Partizipierenden sind mit nur neun Prozent die kleinste Gruppe unter der Nichtwählerschaft. Zwar weisen Mitglieder dieser Gruppe einen hohen Grad an politischem Interesse auf und sind sozial recht gut eingebunden. Allerdings fallen die finanzielle Ausstattung und das Humankapital eher gering aus. Auffällig ist in dieser Gruppe der ausgesprochen hohe Anteil ausgeübter unkonventioneller Partizipationsformen abseits der Wahl- und Stimmurne in Bürgerinitiativen, in Parteien oder auf der Strasse. Allerdings ist dies nicht als Protest gegen das politische System zu verstehen. Denn dieser Typus des Nichtwählenden zeichnet sich durch eine grosse Zufriedenheit mit der Demokratie, eine starke Identifikation mit Parteien und durch hohes Vertrauen in die Politik aus. Schliesslich liegt in dieser Gruppe das Durchschnittsalter am höchsten, und es wird am häufigsten im persönlichen Umfeld über politische Themen diskutiert.
Aus Zufriedenheit
Wie sind diese Ergebnisse nun zu bewerten? Eine geringe Wahlbeteiligung wird innerhalb der Politikwissenschaft generell differenzierter beurteilt als in der öffentlichen Debatte, in der vielfach und vorschnell über Politikverdrossenheit und das Ende der Demokratie orakelt wird. Allerdings lässt sich mit den zur Verfügung stehenden Umfragedaten kein grundsätzlicher Trend hin zu Misstrauen, Desinteresse und Politikverdrossenheit in der Bevölkerung belegen. Aus diesem Grund erscheint eine vergleichsweise geringe Wahlbeteiligung weit weniger dramatisch und kann zu einem Teil auch als Ausdruck der Zufriedenheit mit dem politischen System gedeutet werden. Zumindest legen dies einige Typen in der Schweizer Nichtwählerschaft nahe.
Aus Ohnmacht und Unvermögen
Mit demokratietheoretischer Sorge müssen dagegen die Gruppen der sozial Isolierten und Inkompetenten betrachtet werden, die schlichtweg nicht in der Lage sind, sich am politischen Prozess zu beteiligen. Hier sind Forderungen nach politischen Interventionen durchaus berechtigt. Dabei sollte es weniger darum gehen, diese Nichtwählergruppen mit allen Mitteln, wie etwa einer Wahlpflicht, zur Teilnahme zu bewegen. Vielmehr ist angeraten, Hindernisse wie die fehlende politische Kompetenz zu überwinden. Durch vermehrte politische Aufklärung – ein Beispiel dafür ist die Website easyvote.ch – und Bildung, etwa als auszubauendes Schulfach.
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