Ein Labor, vollgestopft mit Geräten aller Art. In einem gut gefüllten grossen «Plastiksack» wird eine braune Masse geschaukelt. Daneben ein Glasbehälter, in dem ebenfalls braunes Material gerührt wird. Die Geräte sind nicht gerade leise.
Mittendrin steht Regine Eibl, Forscherin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil am Zürichsee. Die Professorin ist Leiterin des Bereichs Zellkultur-Technik.

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Ein Bio-Reaktor ist ein Tank wie jene, in denen zum Beispiel auch Wein vergoren wird.

Die Schokolade aus dem Tank

«Eigentlich bilden wir im Labor Dinge ab, die in der Natur ablaufen», sagt Eibl. Ihrem Team ist es kürzlich gelungen, die erste Schokolade aus dem Labor herzustellen. Genauer gesagt haben dafür zwei Fachgruppen aus unterschiedlichen Instituten der ZHAW zusammengespannt: Biotechnologie und Lebensmitteltechnologie.

Zuerst habe ihr Team, das vor allem Zellkulturen für den Pharmabereich kultiviert, gar nicht die Absicht gehabt, eine solche für Schokolade herzustellen, betont sie. «Die Idee stammt von unserem Kollegen Tilo Hühn. Er hat mich angefragt, ob wir versuchen könnten, pflanzliche Zellkulturen aus Kakaobohnen anzulegen. Wir wollten untersuchen, ob solche Zellkulturen ebenfalls Polyphenole bilden, die für Wahrnehmung und Wirkung von Schokolade sehr wichtig sind.»

Ersatzprodukte und Labor-Food

Wo kommt mein Lebensmittel her? Gefährdet es meine Gesundheit? Wie wurde es hergestellt? Solche Fragen stellen sich immer mehr Menschen auf der ganzen Welt.
Auch darum kommen Lebensmittel-Ersatzprodukte immer besser bei der Bevölkerung an. Fleisch aus dem Labor wurde beispielsweise zum ersten Mal von einer Aufsichtsbehörde zum Verkauf zugelassen – allerdings erst in Singapur.
Eine Studie, die 2020 in Applied Sciences veröffentlicht wurde, fasst die Ergebnisse von 26 in verschiedenen Ländern durchgeführten Umfragen zu In-Vitro-Fleisch (Cultured meat) zusammen.
Die Daten der Metastudie deuten darauf hin, dass es in vielen Ländern der Welt einen grossen potenziellen Markt für kultivierte Fleischprodukte gibt. Kultiviertes Fleisch wird generell als akzeptabler angesehen als andere Lebensmitteltechnologien wie gentechnisch veränderte Organismen und attraktiver als andere alternative Proteinquellen wie Insekten.
Allerdings wird es nicht so attraktiv eingeschätzt wie Produkte aus pflanzlichen Proteinen. Aber es gibt Hinweise darauf, dass es Fleischliebhaberinnen und -liebhaber ansprechen könnte, die andere Ersatzprodukte nicht mögen.

Mehrere Eisen im Feuer

Hühn ist im Bereich Schokolade kein Unbekannter. Schon mit mehreren Projekten sorgte er für Schlagzeilen. Zuletzt mit einem Schokoladeprodukt mit dem Unternehmer und Yello-Sänger Dieter Meier, das in den nächsten Wochen in die Massenproduktion gehen soll. Dank der dabei angewandten Wasser-Extraktion von Kakaobohnen soll das Schokolade-Aroma viel intensiver sein als bei herkömmlichen Produkten.

Doch die im Labor «gezüchtete» Schokolade ist wohl Hühns bisher ehrgeizigstes Projekt. Nach der oberflächlichen Reinigung der Kakaofrucht werden die Kakaobohnen steril entnommen, mit einem Skalpell geviertelt und auf einem Nährmedium bei 29 Grad Celsius im Dunkeln bebrütet.
An den Wundrändern entsteht innerhalb von etwa drei Wochen eine Art Schorf, Kallus genannt. Dieser kann dann weiter vermehrt werden. «Das erfolgt in einem sehr einfachen Kulturmedium», sagt Eibl.

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Solcher Schorf, Kallus genannt, entsteht an den zerschnittenen Kakaobohnen.

Anschliessend kommt das so gewonnene Material in Schüttelkolben, wo eine so genannte Suspensionskultur angelegt und in einem Bio-Reaktor vermehrt wird. «Reaktor ist ja ein furchtbarer Begriff. Im Prinzip ist das ein Tank, in dem beispielsweise auch Wein vergoren wird», sagt Hühn, der aus einer Winzerfamilie stammt.

Beliebig reproduzierbar

Schliesslich erlaubt die Zellkultur, immer wieder neue Schokolade herzustellen. Ganz vereinfacht kann man sich das etwa so vorstellen wie einen Kefirpilz, von dem man immer wieder etwas entnehmen kann. Die Lebensmittel-Industrie sei sehr interessiert an solchen Zellkulturen, sagt Eibl.

«Wir wollen erproben, wie die Zukunft der Lebensmittel aus dem Tank aussehen könnte. Eine vollkommene De-Territorialisierung, also weg vom Boden, ist nicht unser Ziel», sagt Hühn. Es gehe vor allem darum, «Bedingungen zu schaffen, die weniger Umwelt verbrauchen und einen kleineren Fussabdruck hinterlassen, um diese Produkte zu erzeugen».

Die Nachfrage nach Schokolade steige weltweit immer noch, seit sie vom Luxus- zum Konsumprodukt geworden sei. «Mit allen Folgen für Rohwaren-Beschaffung, Produktionsbedingungen und mit Preisdruck. Dann gibt es auch noch sehr inakzeptable Bedingungen der Kinderarbeit in verschiedenen Anbauregionen. Der Weg, den wir hier erproben, könnte verschiedene Probleme lösen», so Hühn.

Revolution bei Lieferketten?

Diese Produktionsart könnte möglicherweise grössere Auswirkungen auf weltweite Lieferketten haben. «Unser primäres Ziel ist nicht, die Landwirtschaft zu ersetzen und den Bauern die Erwerbsgrundlage zu nehmen», sagt Hühn. Vielmehr gehe es darum, Alternativen zu prüfen. In diesem Zusammenhang erwähnt der Professor das Nagoya-Protokoll. Demnach sollen Menschen, aus deren Umfeld eine genetische Ressource entnommen worden ist, einen Transfer monetärer Art erhalten.

Zwar habe man noch keine Zahlen zur Energiebilanz eines solchen Verfahrens. Diese Analyse laufe mit dem derzeitigen Forschungsprojekt, sagt Hühn. Doch gewisse Plus- und Minuspunkte liessen sich bereits erkennen.

So entfallen der Transport und der Einsatz von Pestiziden. Auch die Zusammensetzung des Mediums, in dem die Zellen wachsen, kann gut überwacht werden. Ins Gewicht fallen hingegen die Wasseraufbereitung und die Inhaltstoffe des Mediums, in dem die Zellkultur gedeiht.
Gerne hätten wir gewusst, was der Verband der Schokoladeproduzenten Chocosuisse von der Laborschokolade hält. Mehrere Anfragen an die Geschäftsstelle blieben aber unbeantwortet.

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Das Aroma-Kit zur Bestimmung des Geschmacks von Bestandteilen der Schokolade.

Auf der Spur des Aromas

Unterdessen sind wir im Degustationsraum angekommen. Denn natürlich sind wir gespannt, wie die Schokolade aus dem Tank schmeckt. Dabei helfen uns die Aromaforscherinnen Irene Chetschik und Karin Chatelain.

Die beiden haben erst vor wenigen Wochen quasi die Geruchs-DNA der Schokolade oder des Kakaos entschlüsselt. Nun haben sie ein Kit mit 25 Geruchstoffen entwickelt, die in der Schokolade vorkommen. Blumig, fruchtig, würzig, erdig, unter anderen.

In der Önologie kommen solche Sensorik-Kits oft zum Einsatz. Da die Schokolade in den letzten Jahren viele neue Ausprägungen erlebte, sei jetzt der Moment gekommen, in dem ein solches Kit auch in diesem Bereich Sinn mache, sagt Chetschik. Bereits hätten sie einige Dutzend davon absetzen können.

«Schokolade hat ein sehr charakteristisches Flavour, das in seiner Komposition einzigartig ist», sagt die Professorin für Aromaforschung. «Darüber hinaus ist Schokolade oder Kakao auch sehr reich an gesundheitsfördernden Substanzen, wie etwa den Polyphenolen.»

Das Interessanteste am Kakaoaroma sei die Tatsache, dass es unter allen in Schokolade anwesenden Komponenten keine einzige Verbindung gebe, die nach Kakao rieche, so Chetschik. «Das Kakaoaroma ist eine Zusammensetzung unterschiedlicher chemischer Moleküle mit unterschiedlichen Geruchsqualitäten.»

Doch jetzt ist endlich der Moment gekommen, wir können die Labor-Schokolade verkosten. Von der Konsistenz her ist die Laborschokolade im Mund durchaus vergleichbar mit der herkömmlichen Schokolade mit siebzig Prozent Kakao-Anteil, die wir zum Vergleich mitgebracht haben.

Der grösste Unterschied: Der etwas fruchtigere Geschmack ist bei der Laborschokolade sofort da, während er sich bei der Konventionellen erst mit der Zeit entfaltet.

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Die Laborschokolade sieht aus wie konventionelle Schokolade und schmeckt auch ähnlich.

«Alternative für die Zukunft»

Und wie sähe der preisliche Vergleich zwischen den Schokoladen aus? Hundert Gramm der herkömmlich produzierten Bio-Schokolade kosten 2,70 Franken. «Zu Beginn wird man sicherlich im Bereich 15 bis zwanzig Franken sein», schätzt Hühn für das ZHAW-Produkt. Aber mit grösseren Produktionsmengen würden wohl auch die Preise sinken, ist er überzeugt.

Und verglichen mit den Prozessen zur Herstellung von Fleisch aus dem Labor sei dieses Verfahren «deutlich kostengünstiger und am Ende wahrscheinlich auch mit weniger Einfluss für die Umwelt machbar».

Unter den Aspekten Inhaltstoffe, lokale Produktion, Nachhaltigkeit und Umweltbelastung habe «das Lebensmittel aus dem Tank eine echte Chance», sagt Hühn. Für alle an dieser Forschung Beteiligten ist aber klar, dass Laborfood in Zukunft nur eine Alternative zu konventionell hergestellten Lebensmitteln bleiben wird. Und Hühn betont zum Schluss noch einmal: «Wir werden und wollen damit nicht die traditionelle Herstellung von Kakaobohnen überflüssig machen.»

Dieser Text erschien zuerst bei swissinfo.
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