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Kürzlich bat mich jemand auf der Strasse um eine Unterschrift für das Referendum gegen das neue Transplantationsgesetz. Als ich sagte, ich befürworte Organspende sehr, meinte mein Gegenüber ziemlich aufgebracht: «Dann sind Sie also dafür, dass Organe gehandelt werden und die Pharma Milliarden-Gewinne macht.» Was ist da dran?

Was ist neu im vorgesehenen Gesetz? Zuerst eine kurze Definition. Heute können Organe zur Transplantation nur Menschen entnommen werden, die dazu ausdrücklich ihr Einverständnis gegeben haben. Dafür hat man dann – wie ich – einen Organspenderausweis bei sich.

Möglich ist auch, dass die Angehörigen nach dem Versterben dazu ihr Einverständnis geben. Jedoch ist diese Art der Zustimmung heikel und nicht beliebt, weil die Hinterbliebenen nach dem Tod eines geliebten Menschen oft emotional nicht in der Lage sind, so einen Entscheid zu fällen.

Neu muss man nicht mehr deklarieren, dass man Organe spenden will, sondern man muss das aktiv ausschliessen. Wer nicht widerspricht, gilt automatisch als potenzieller Organspender. Hier ist der Unterschied zwischen Widerspruchslösung und Zustimmungslösung detailliert erklärt.

Das soll so werden, weil es zu wenige Spenderorgane gibt. Gemäss Swisstransplant warteten am Ende des 1. Quartals 2021 insgesamt 1479 Patientinnen und Patienten auf eines oder mehrere Organe. Am häufigsten wird eine Niere transplantiert, gefolgt von Leber, Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse und Dünndarm. Daneben auch Gewebe, wie zum Beispiel die Augenhornhaut. Aber die Warteliste wächst laufend, weil die Organspenden zurück gehen. Jedes Jahr sterben einige dieser Menschen, weil man kein geeignetes Organ findet.

In der Gesetzesänderung geht es ausschliesslich um die Widerspruchsregelung. Was mit den Organen passiert und wem diese zukommen, wird in der diskutierten Änderung nicht tangiert. Zum Beispiel erfahren auch Angehörige nicht, wie die Organe verwendet werden. Diese werden entsprechend einer Warteliste nach medizinischen Kriterien verteilt.

Massnahmen gegen Organhandel

Jetzt aber zu der Behauptung des Unterschriftensammlers: Fördert die Gesetzesänderung den Organhandel?

Seit 1996 ist in der Schweiz gemäss Artikel 6 und 7 des Transplantationsgesetzes der Handel mit Organen verboten. Und diese beiden Artikel sind von der vorgesehenen Gesetzesänderung nicht betroffen.

Ausserdem hat die Schweiz 2016 das Abkommen des Europarats gegen den Handel mit menschlichen Organen unterzeichnet und im Februar 2021 ratifiziert. Es sind verschiedene Massnahmen ergriffen worden, um internationalen Organhandel zu verhindern. So müssen beispielsweise Ärztinnen und Ärzte neu melden, wenn sie Personen behandeln, die im Ausland ein Organ bekommen haben.

Der Organhandel scheint eine private Befürchtung des Unterschriftensammlers zu sein, oder ein nicht offizielles Argument. Denn man findet es nicht auf der Website des Referendumskomitees. Dort argumentiert man hauptsächlich mit ethischen Bedenken gegen die Widerspruchsregelung oder mit Unklarheiten zur Definition des Todes.

Ein Mensch gilt als tot, wenn die Funktionen seines Hirns einschliesslich des Hirnstamms endgültig ausgefallen sind. Der Tod muss von zwei unabhängigen Ärztinnen oder Ärzten in einem genau definierten Zeitabstand diagnostiziert werden. Dazu führen sie eine Reihe von Tests durch, die den Tod zweifelsfrei nachweisen.

Der empfundene Tod und der medizinische

Obschon das genau definiert ist, haben viele Menschen Mühe mit der Definition des Todes. Das zeigt eine repräsentative Umfrage, die vor zwei Jahren durchgeführt worden ist. Darin befürworten zwar 76 Prozent der Befragten, den Systemwechsel von der Zustimmungs- zur Widerspruchsregelung.

Wenn man sie dann aber konkret mit Situationen konfrontiert, werden viele unsicher. Und interessanterweise zeigt sich, dass viele Menschen eher den Herztod als den Hirntod als den Todeszeitpunkt definieren. Dies obschon das Herz nicht unabdingbar wichtig für unser Leben ist. Man kann es sogar auswechseln. Das Gehirn hingegen ist der Sitz unserer Gedanken, Gefühle und Persönlichkeit. Wenn dieses tot ist, ist der Mensch tot. Aber eben, gefühlsmässig empfinden das viele Menschen anders. Denn, wie heisst es doch: Die Seele sitzt in der Brust. Medizinisch gesehen ist es aber nicht so.

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Offiziell ist das Referendumskomitee bislang nicht mit Aussagen aufgefallen, dass die Gesetzesänderung zu Organhandel führen könnte. EVP-Präsidentin Marianne Streiff trat in der Vergangenheit als starke Gegnerin von Organhandel auf, argumentiert damit aber aktuell nicht öffentlich gegen das Transplantationsgesetz.

Ein weiterer Einwand gegen die Widerspruchsregelung ist ethischer Natur. Man sei gegen «die Ausbeutung der Schwächsten». Man befürchtet, dass sozial Schwache, welche die Landessprachen nicht sprechen, keinen Zugang zu Informationen haben, um der Organentnahme zu widersprechen und so zu «Organlieferanten» würden. Dieses Argument ist meiner Einschätzung nach nicht ganz von der Hand zu weisen, und muss sicher mit entsprechender Regulierung und Information entschärft werden.
Allerdings taucht das Motiv Organhandel in Kommentarspalten auf (zum Beispiel im Organspende-Dossier auf mycomfor.com). Woher die Angst des Organhandels kommt, zeigt Simon Hofmann in seinem Buch «Umstrittene Körperteile – eine Geschichte der Organspende in der Schweiz» auf. Er beleuchtet, wie sich parallel zur Organspende auch die Angst vor Organhandel entwickelt hat – durch Medienberichte, urbane Legenden und auch Verschwörungstheorien. Bis hin zum Narrativ «Ärzte sind mehr am Tod als am Überleben interessiert». Das habe sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt und befeuert nun wohl auch die Skepsis gegenüber der Organspende.

In der Schweiz kein Fall von Organhandel belegt

Beruhigend: In der Schweiz ist kein einziger Fall von Organhandel belegt. Das sagen alle seriösen Quellen wie zum Beispiel Johanna Probst vom Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien der Universität Neuchâtel. Und auch behauptete Fälle, die ab den Neunzigerjahren in Umlauf waren, sind kaum mit Fakten belegbar.

Das heisst: Ob man seine Organe nach seinem Tod der Medizin zur Verfügung stellen will, ist eine rein persönliche Entscheidung. Wer nicht will, unterschreibt eine Widerspruchserklärung. Wer aus welchen Gründen auch immer nicht fähig ist, diese Erklärung abzugeben, braucht dabei Hilfe.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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