Das musst du wissen

  • Die Nachteile des eingeschränkten Zugangs der Schweiz zum Forschungsprogramm Horizon Europe zeigen sich immer klarer.
  • So hält der EU-Forschungsrat dutzende Schweizer Projekte für förderungswürdig – darf sie aber nicht unterstützen.
  • Die Schweiz bietet ihren Forschenden Alternativen – doch gleichwertig sind diese nicht.
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Schweizer Forschende geraten ins Abseits: Seit dem Scheitern des EU-Rahmenabkommens sind sie von einem bedeutenden Teil des Forschungsprogramms Horizon Europe ausgeschlossen. Als Vertreter von einem nicht assoziierten Drittland – so der aktuelle Status der Schweiz – können Forschende nur noch an etwa zwei Dritteln des Programms teilnehmen. Leiten oder koordinieren dürfen sie indes gar keine Projekte – higgs hat darüber berichtet. Wie einschneidend dieser Ausschluss von der internationalen Forschungswelt ist, wird nun immer deutlicher.

Offenbar hätte der Europäische Forschungsrat (ERC) letztes Jahr 54 Schweizer Projekte als förderungswürdig eingestuft und sie mit finanziellen Zuschüssen unterstützt. Eine bemerkenswerte Leistung: Im Vergleich mit den Mitgliedsstaaten hätte das Platz fünf bedeutet, schreibt das Netzwerk Future – eine Interessensgemeinschaft von Partnern aus Hochschulen, Wissenschaft, Innovation und Politik – in einer aktuellen Mitteilung. Die Gesuche für die Unterstützungsgelder hatten die hiesigen Forschenden eingereicht, noch bevor der neue Status der Schweiz als nicht assoziiertes Drittland bekannt wurde. Als solches fallen die Fördergelder jedoch weg. Finanziert werden die 54 Projekte aus der Schweiz nun durch den Bund – konkret vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Ein Ersatz für die Teilnahme ist das aber noch lange nicht.

Geld ist das kleinste Problem

Insgesamt scheint die anderweitige Finanzierung der Schweizer Forschungsprojekte jedoch die geringste Hürde zu sein. Dass hier bereits eine Reihe an Massnahmen greifen, zeigt das Netzwerk Future in einer aktuellen Publikation auf. Unter anderem bewilligte das Parlament in der Wintersession 2021 entsprechende Kredite. Und Projekte mit bedeutendem Innovationspotenzial von Schweizer Start-ups und KMU erhalten einen Zustupf von einer Innovationsagentur. Auch hat der Schweizerische Nationalfonds SNF Übergangslösungen geschaffen, etwa für die prestigeträchtigen Einzelstipendien des EU-Forschungsrates.

Kampf um die klugsten Köpfe

Keine pfannenfertige Lösung gibt es hingegen, was den Austausch mit anderen Forschenden aus dem EU-Raum angeht. Dieser Verlust wiegt schwerer: Das Vernetzen und Zusammenarbeiten mit anderen klugen Köpfen aus der Wissenschaft ist für die Schweiz unersetzlich. Fällt dies europaweit weg, dürften unsere Spitzenforschenden bald abwandern, prognostiziert das Netzwerk Future: Andere europäische Hochschulen würden versuchen, Schweizer Forschende abzuwerben, denen 2021 Forschungsgelder zugestanden hätten. Attraktiv wäre das: In den EU-Mitgliedsstaaten dürften sich Schweizer Forschende wieder auf Ausschreibungen des europäischen Forschungsrats bewerben – in der Schweiz bleibt ihnen das verwehrt. Und nicht nur kehren helle Köpfe der Schweiz den Rücken zu – es dürften obendrauf auch nur wenige nachrücken: Spüren dürften dies die Schweizer Hochschulen beim Rekrutieren von Personal für Professorenstellen. Da werde künftig eine gewisse Zurückhaltung aufkommen, schreibt das Netzwerk Future: «Die Schweiz verliert an Anziehungskraft, wenn sie nicht mehr Teil des europäischen Forschungsnetzwerks ist.»

Horizon Europe ist und bleibt für uns das mit Abstand wichtigste Werkzeug in der internationalen Forschungszusammenarbeit.

Gibt es Alternativen auf nationaler Ebene?

Nein, lautet die klare Antwort des Netzwerks Future auf diese Frage. Weder den Wert der multinationalen Forschungsnetzwerke von Horizon Europe noch des internationalen Wettbewerbs der Ideen könne man mit den Förderinstrumenten auf nationaler Ebene simulieren. «Es gibt in der Schweiz kein Programm zur Förderung von Forschung und Innovation dieser Breite.» Auch wird die Frage aufgeworfen, ob die Schweiz nun verstärkt die Zusammenarbeit mit renommierten Hochschulen in Grossbritannien und den USA suchen sollte – weil diese in internationalen Rankings herausragen. Zwar ziehe es tatsächlich einen Grossteil der Schweizer Forschenden für ihren Post-doc in die USA. Doch die erwähnten Rankings würden eben nur Hochschulen umfassen, nicht aber erfolgreiche Forschungsinstitute. Und davon gebe es wiederum vor allem in Europa viele Spitzeninstitutionen.

Kein rosiger Ausblick

Für die Schweizer Wissenschaftslobby ist darum klar: Horizon Europe ist und bleibt für uns das mit Abstand wichtigste Werkzeug in der internationalen Forschungszusammenarbeit. Denn auch wenn andere bilaterale Abkommen mit ausgewählten Ländern wertvoll sind: Ersetzen lässt sich damit die Teilnahme an Horizon Europe nicht. Umso bitterer: Die Chancen, dass die Schweiz bei Horizon Europe wieder uneingeschränkt dabei sein kann, stehen schlecht. Zurzeit finden keine Gespräche über eine mögliche Assoziierung der Schweiz an Horizon Europe statt. Sollten die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU noch im Jahr 2022 starten, könnten Schweizer Forschende im besten Fall bald wieder an gewissen Ausschreibungen teilnehmen. Besonders hart wäre, wenn die Schweiz während der gesamten Dauer des Forschungsprogrammes – also noch bis 2027 – aussen vor bliebe, schreibt das Netzwerk Future. Dann würde die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität der Schweiz als Forschungs- und Innovationsstandrot «massiv geschwächt». Und dieser Verlust betrifft letztlich uns alle.

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