Das Thema ist emotional aufgeladen. Das hat damit zu tun, dass vor allem die radikalen Formen der Religion in den Medien darstellt werden. Und «radikale Religion» verbinden die meisten Menschen hierzulande mit dem Islam. Diese Religion hat ein Imageproblem. «Wo Islam draufsteht, ist Gewalt drin», denken viele und lehnen diese Religion scharf ab. Und manche schütten dann auch gleich das Kind mit dem Bade aus und lehnen Religion insgesamt ab – nach dem Motto: Religion erzeugt nichts als Intoleranz. Es ist nicht schwer, dieses Generalurteil durch Beispiele aus der Geschichte und der Gegenwart zu belegen. Die Medien liefern uns täglich Beispiele dafür. Und manch ein Zeitgenosse hat auch selbst schlechte Erfahrung mit Religion gemacht.

Aber vergessen wir nicht, dass Religion für viele Menschen auch etwas Heilsames ist. Nicht ohne Grund gab und gibt es sie zu allen Zeiten und in allen Kulturen. Und da wo man versuchte, sie zu unterdrücken – in den kommunistischen Ländern beispielweise – kam sie nach Ende der Unterdrückung wieder zum Vorschein. Manchmal kräftiger als vorher.

Religion hat – wie alles andere auch – zwei Gesichter: Die Attentäter vom 11. September 2001 haben sich auf ihre Religion berufen. Hier zeigte sich das hässliche Gesicht der Religion. Das andere Gesicht zeigt sich dort, wo die Religion dazu beigetragen hat, dieses Trauma zu verarbeiten. Denken wir nur an die vielen religiösen Gedenkfeiern in den ganzen USA. Juden, Christen, Muslime und Angehörige anderer Religionen waren mit Nichtreligiösen vereinigt in der Trauer. Alle haben aus ihren Kraftquellen geschöpft. Und dabei hat sich gezeigt, welche Kraftquellen eben doch auch in der Religion liegen. Religion kann gebraucht werden, um Gewalt zu säen, aber auch, um Lebenskraft und Orientierung zu geben, um Frieden zu stiften und gerechte Lebensverhältnisse zu fordern.

Reinhold Bernhardt

Professor für Systematische Theologie / Dogmatik

Reinhold Bernhardt ist Professor für Systematische Theologie / Dogmatik an der Universität Basel und seit 2018 Dekan der Theologischen Fakultät.

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