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Christian Jackowski ist Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern. Das Interview mit ihm entstand im Rahmen der Talk-Reihe «Wissenschaft persönlich».

Herr Jackowski, wie definieren Sie den Tod?

Der Tod hat viele Facetten. Für mich ist ein Mensch dann tot, wenn seine Prinzipien, sein Handeln nicht mehr möglich sind. Das dafür zuständige Organ ist das Hirn. Man muss sich im Verlauf des Sterbevorganges überlegen: Zu welchem Zeitpunkt ist der Schaden im Gehirn so gross, dass nicht mehr erwartet werden kann, dass die Funktionen wiederkommen?

Der Punkt, an dem der Tod eintritt, ist also nicht scharf umrissen?

Das Ende ist klar definiert. Nämlich als Punkt, wo das Hirn infolge Sauerstoffmangels einen irreversiblen Schaden erleidet. Von aussen ist das jedoch schwer zu erkennen. Man sieht zwar, dass das Herz aufgehört hat zu schlagen. Viele denken deshalb, dann sei die Person tot. Das stimmt aber nicht. Ohne das Herz könnte man leben. Herzen können entnommen und transplantiert werden, oder Menschen können an externe Herzmaschinen angeschlossen werden. Ohne Gehirn jedoch kann man nicht leben.

Wie erkennt man, dass das Gehirn nicht mehr funktioniert?

Im Unispital gibt es hochspezialisierte Methoden wie zum Beispiel Hirnstromableitung oder die Ultraschalluntersuchung der Hirngefässe. So sieht man, ob das Gehirn noch durchblutet ist oder nicht. Die Ärzte draussen «an der Front» haben diese Möglichkeiten natürlich nicht – hier muss man sich auf die sicheren Todeszeichen verlassen. Diese sind Totenflecken, Totenstarre und später dann die Fäulnis. Die Totenflecken treten ziemlich genau nach 20 Minuten Kreislaufstillstand auf. Da das Gehirn garantiert keine 20 Minuten Kreislaufstillstand überlebt, sind die Flecken ein sicheres Todeszeichen. Nach zwei bis vier Minuten ohne Sauerstoff treten die ersten Schäden im Gehirn auf. Nach fünf Minuten hat es keine Überlebenschance mehr, es ist als ganzes Organ verstorben. Wenn man also als Hausarzt schon Totenflecken sieht, weiss man: Hier muss ich nicht mehr reanimieren, der Patient ist definitiv tot.

«Die Todesfeststellung ist die wichtigste Diagnose, die man als Arzt seinem Patienten schuldet.»

Manche Patienten werden durch Maschinen noch am Leben erhalten, aber ihr Gehirn ist bereits tot.

Moment, hier müssen wir aufpassen: die Person ist nicht mehr am Leben! Die Person ist tot, weil sie hirntot ist. Aber der Körper abgesehen vom Gehirn wird am Leben erhalten. Das Herz kann noch weiter schlagen, die Leber noch weiter funktionieren. Aber wenn wir später einen solchen Körper auf den Obduktionstisch kriegen, wird deutlich, dass das Gehirn längst tot ist. Es ist bereits erweicht, so wie bei einer drei Tage alten Leiche. Aber die anderen Organe sehen aus wie die eines frisch Verstorbenen. Wir sehen so, dass die Person wirklich tot war, obschon sie von aussen noch sehr vital aussah. Für die Angehörigen kann das sehr verwirrend und tragisch sein. Sie fühlen den Puls und sehen die Atmung ihres Angehörigen, aber die Person ist schon tot.

Rechtsmediziner Christian Jackowski seinem Labor. Er untersucht, ob Menschen durch einen Unfall, einen Suizid oder ein Tötungsdelikt gestorben sind.René Ruis

Rechtsmediziner Christian Jackowski seinem Labor. Er untersucht, ob Menschen durch einen Unfall, einen Suizid oder ein Tötungsdelikt gestorben sind.

Es gibt Berichte von umgekehrten Fällen: Leute, die bereits tot waren, und dann plötzlich wieder lebten.

Ich kann Sie beruhigen: Wer tot ist, bleibt tot. Der wacht niemals wieder auf. Aber bei der Todesdiagnostik passieren manchmal Fehler. Wenn ein Arzt nur kurz unter das Laken schaut und sagt «der ist tot», ist das keine sichere Todesfeststellung. Dabei wäre dies die wichtigste Diagnose, die man als Arzt seinem Patienten schuldet. Wenn man das nicht macht, kann jemand für tot erklärt werden, der gar noch nicht gestorben ist. Das passiert gar nicht so selten, wir sehen das immer wieder mal. Beispielsweise wenn wir zwei Stunden nach der offiziellen Todesdiagnose vor Ort kommen und ein Körper noch keine Totenflecken hat. Die würden schon 20 Minuten nach Eintritt des Todes kommen, daher wissen wir: Zum Zeitpunkt der Todesdiagnose war die Person noch nicht tot. Wir nennen das Scheintod – aber nicht so wie Sie sich das vorstellen, sondern eben weil die Person bloss auf dem Schein für tot erklärt war. In speziellen Situationen – bei Unterkühlung oder bei Vergiftungen – kann es sogar sein, dass die Person wieder wach wird nach einer vermeintlichen Todesdiagnose. Es gibt Beispiele, wo jemand irrtümlich für tot erklärt und in die Kühlzelle gebracht wurde. Nach zwei Tagen merkte man, dass die Person eigentlich noch nicht tot war – zu spät, denn weitere zwei Tage später starb sie dann an der Unterkühlung.

Bei vielen Menschen wird in der modernen Medizin der Tod durch technische Massnahmen hinausgezögert. Macht es wirklich Sinn, jemanden tage- oder wochenlang an die Maschinen anzuschliessen?

Es macht dann Sinn, wenn es Chancen gibt, dass eine Person den erlittenen Schaden unter Umständen überleben kann. Es gibt genügend Beispiele, wo Patienten nach wochen- oder monatelangem Koma wieder erwachten.

«Für die Angehörigen kann ein Hirntod sehr verwirrend und tragisch sein: Sie fühlen den Puls und sehen die Atmung ihres Angehörigen, aber die Person ist dennoch schon tot.»

Haben Sie selbst eine Patientenverfügung, die das für Ihr Leben regelt?

Ich sollte sie haben… Ich muss Ihnen aber eingestehen: Ich schiebe das so vor mich hin. Man empfindet sich selbst immer in der Blüte seiner Jahre, aber letztlich müsste ich das machen.

Wie wird ihre Patientenverfügung denn einmal aussehen?

Nicht anders als bei anderen. Wenn es eine Chance auf Heilung gibt, soll ich auch in deren Genuss kommen. Aber eine sinnlose Verlängerung meines Lebens will ich nicht.

Serie

Die Wissenschaft des Todes

Warum Christian Jackowski glaubt, dass viele Verbrechen unentdeckt bleiben, liest du im 1. Teil der Serie über die Wissenschaft des Todes.

Im 2. Teil sagt Christian Jackowski, wie er mit der Belastung in seinem Beruf umgeht.

Im 4. Teil der Serie zur Wissenschaft des Todes siehst du, dass der Tod kein plötzlicher Moment, sondern ein schrittweiser Prozess ist.

Wissenschaft persönlich

«Wissenschaft persönlich» ist ein Live-Event, in dem Gäste aus der Wissenschaft nicht nur über Fakten reden, sondern auch über sich selbst – über ihre Begeisterung, ihre Niederlagen und ihre Träume. Der rund einstündige Talk findet regelmässig statt.
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