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Ein geflügeltes Wort heisst: «Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.» Egal von wem diese Aussage stammt – vom Kabarettisten Karl Valentin, dem Schriftsteller Mark Twain oder dem Physik-Nobelpreisträger Niels Bohr – sie wird gerade jetzt im Zusammenhang mit Corona und mit Klima immer wieder zitiert. Oft mit zynischem Unterton. Gerne von Politikern und Politikerinnen, die Prognosen nicht vertrauen: seien es zu Covid-Infektionen oder dem Temperaturanstieg in der Erdatmosphäre.
Sind Prognosen tatsächlich schwierig, oder sogar unmöglich?
Ja. Wenn man das System nicht kennt – oder zu wenig gut.
Im Februar 2020 machte der Epidemiologe Christian Althaus diese berühmte Aussage: wegen Covid könne es in der Schweiz bis zu dreissigtausend Tote geben. Das ist nicht eingetroffen. Zeigt das nun, dass die epidemiologischen Modelle schlecht sind? Oder dass die Wissenschaft auf Panik macht?
Die Antwort ist zweimal nein.
Die epidemiologische Voraussage im Frühling 2020 war relativ einfach. Denn das System enthielt im Wesentlichen nur drei Elemente: ein neues Virus mit bestimmten Eigenschaften bezüglich der Übertragbarkeit, eine Krankheit mit einer bestimmten Mortalität, und eine Bevölkerung, die immunologisch naiv war – also noch nie mit dem Virus zu tun gehabt hatte. Die Voraussage war vereinfacht gesagt: Infektiosität mal Sterblichkeit.
Dann sind in der Schweiz aber nicht dreissigtausend gestorben, sondern bis heute erst elftausend. Weil man eben Massnahmen ergriffen hat: Hygiene, Abstand, Lockdown. Dass im Nachhinein nicht wenige eine Voraussage anzweifeln, wenn sie nicht eintrifft, ist ein bekanntes Phänomen. Man nennt es im weiteren Sinn auch «Präventionsparadoxon».
Vielfach belegte Zuverlässigkeit der Klimamodelle
Auch die Klimawissenschaft basiert vielfach auf Modellrechnungen. Sie berechnet den Anstieg der globalen Temperatur aufgrund der Erkenntnisse der Atmosphärenphysik. Die ersten solchen Berechnungen stammen aus den 1980er-Jahren. Es gibt aber nicht nur ein Modell, sondern einige, die von verschiedenen Forschungsgruppen erstellt wurden. Wesentlich zu deren Entwicklung beigetragen hat der US-amerikanische Klimatologe Syukuro Manabe, der dafür kürzlich mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Wie kann man jetzt überprüfen, ob so ein Klimamodell etwas taugt zum Blick in die Zukunft?
Zuerst muss man prüfen, ob die Klimamodelle die Physik richtig berücksichtigen. Zum Beispiel fragen, wie sich die globale Temperatur verändern wird, wenn sich der CO₂-Gehalt in der Atmosphäre verdoppelt. Das hat schon der sogenannten Charney Report im Jahr 1979 gemacht. Und er kam auf einen Wert von drei Grad Celsius. Die Klimamodelle sind seither wesentlich verbessert worden, aber der Weltklimarat IPCC 2021 kommt heute – vierzig Jahre später – bei einer Verdoppelung des CO₂-Gehalts immer noch auf drei Grad.
Dann muss man die Vorausberechnungen der globalen Temperatur von damals mit den Messungen von heute vergleichen. Zum Beispiel anhand des Modells aus dem Jahr 1988 von James Hansen. Er war Direktor des Goddard Institute for Space Studies der Nasa und Professor für Erd- und Umweltwissenschaften an der Columbia University.
Hansen zeichnet drei Szenarien. Ein optimistisches, ein pessimistisches und eines dazwischen. Eine Auswertung aus dem Jahr 2020 zeigt, wie genau die Prognosen schon damals waren. Der heute gemessene Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur lieg genau in dem von Hansen berechneten Bereich.
Viele weitere Analysen kommen zu demselben Schluss. Die Klimamodelle sind zuverlässig. Sie stimmen.
Interessant ist, dass die Erdölindustrie selbst schon in den Achtzigerjahren ähnliche Prognosen gemacht hat. Also weiss auch sie schon lange, was sie anrichtet.
Ebenfalls schon 1985 wurde die Erwärmung der Ozeane. modelliert Die Klimaforscher Tom Wigley und Michael Schlesinger schliessen aus ihren Untersuchungen, dass sich das Klimasystem weiter in Richtung Erwärmung bewegen wird, «selbst wenn die CO₂-Konzentration nicht weiter ansteigt.» Es dauerte dann 15 Jahre, bis im Jahr 2000 eine Studie die postulierten Effekte mittels der Auswertung von beobachteten Daten über einen Zeitraum von fünfzig Jahren belegen konnte.
Schliesslich konnten die Klimaforscher Erich Fischer und Reto Knutti von der ETH Zürich vor fünf Jahren zeigen, dass die heute messbare Zunahme der extremen Niederschläge schon sehr früh simuliert wurde und mit Klimamodellen zu erklären ist.
Klimaskeptiker zitieren fehlerhafte Studien
Tatsächlich gibt es aber auch Beispiele, wo Modelle und Daten nicht übereinstimmen. Diese werden von klimaskeptischen Kreisen gerne als Beleg für die Untauglichkeit der Modelle herbeigezogen. Zum Beispiel als die Klimaerwärmung zwischen 1998 und 2013 scheinbar nicht mehr voranschritt. Ein Effekt, den die Modelle nicht vorausgesagt hatten und der selbst in der Publikumspresse für Schlagzeilen sorgte.
Allerdings ist diese «Pause in der Klimaerwärmung» gemäss ETH-Klimaforscher Knutti nicht auf fehlerhafte Modelle, sondern auf fehlende Daten zurückzuführen. Denn zur Berechnung der globalen Durchschnittstemperatur werden nur Messwerte von Wetterstationen am Boden verwendet, die es aber nicht überall auf der Erde gibt: zum Beispiel in der Arktis. Diese hat sich aber – das weiss man aus Satellitenmessungen – in den vergangenen Jahren besonders stark erwärmt. Bezieht man Satellitenmessungen in die Analyse ein, stimmen Modell und Beobachtung überein.
Grösster Unsicherheitsfaktor: der Mensch
Eine wesentliche Unsicherheit in den Klimamodellen besteht darin, man damals, als sie formuliert wurden, nicht wissen konnte, wie der CO₂-Ausstoss sich entwickeln würde. Der grösste Unsicherheitsfaktor ist, wie Reto Knutti sagt, langfristig das menschliche Verhalten.
Dies ist nicht nur der Fall bei den Klimamodellen, sondern auch in den epidemiologischen Voraussagen. Der Faktor Mensch und damit auch die Politik spielen eine wesentliche Rolle. Wie schnell reduzieren wir den CO₂-Ausstoss? Halten sich die Menschen an die Hygiene- und Abstand-Vorschriften? Und jetzt, wo es die Impfung gibt, wie viele lassen sich tatsächlich impfen?
Der Mensch ist der unbekannteste, am wenigsten voraussagbare Faktor. Oder anders gesagt: Wir selbst bestimmen mit unserem Verhalten wesentlich mit, ob die Prognosen eintreffen – oder eben nicht.