Das musst du wissen

  • Die Schweiz hat bezüglich Biodiversität grosse Defizite – und wurde deshalb international auch schon gerügt.
  • Zwar hat sich die Schweiz vorgenommen, die Artenvielfalt zu schützen – viele Subventionen schaden ihr aber zusätzlich.
  • Grösste Treiber der schrumpfenden Artenvielfalt sind der Verkehr, die Landwirtschaft und die Zersiedelung.
Den Text vorlesen lassen.

_____________

📬 Das Neuste und Wichtigste aus der Wissenschaft, jeden Dienstag und Donnerstag per E-Mail:
Abonniere hier unseren Newsletter! ✉️

_____________

Mehr als ein Drittel der Arten in der Schweiz gefährdet

Die Schweiz hat einen besonders hohen Anteil gefährdeter Arten – jedenfalls im Vergleich zu anderen entwickelten, westlichen Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD): 36 Prozent aller Arten in der Schweiz gelten als gefährdet. Die Schweiz hat sich mit der internationalen Biodiversitäts-Konvention zwar dazu verpflichtet, die eigene Vielfalt zu schützen und bis 2020 gewisse Ziele zu erreichen. Dazu gehört unter anderem, dass 17 Prozent der Fläche zu Schutzgebiet werden. Die Schweiz hat aber keine Chance, dies noch zu erreichen: Derzeit bestehen auf 12,5 Prozent der Landesfläche Schutzgebiete. Die OECD kritisierte in ihrem Umweltbericht 2017 die Schweizer Schutzgebiete zudem als mangelhaft: Oft seien sie zu klein und zu schlecht miteinander oder mit anderen europäischen Netzwerken verbunden. Hauptfaktoren für die schwindende Artenvielfalt sind der Verkehr, die Landwirtschaft und die Zersiedelung.

EIne leuchtend hellgrüne Eidechse mit blauer Kehle sitzt auf einem Baumstumpfpixabay/Detroitius

Die Smaragdeidechse steht auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

Subventionen bedrohen die Artenvielfalt

40 Milliarden Franken Subventionen fliessen in der Schweiz jährlich, die allesamt der Biodiversität schaden, wie ein neuer Bericht der Forschungsanstalt WSL und dem Forum Biodiversität zeigt. Der Bericht identifiziert 162 Subventionen, welche direkt oder indirekt Schaden an der Artenvielfalt anrichten. Dazu zählen zum Beispiel Steuervergünstigungen zugunsten des Wohneigentums oder für Pendler, da sie den Bau neuer Häuser sowie das tägliche Pendeln fördern. Ebenfalls als schädliche Subvention zählt hier die Zweckbindung der Verkehrsabgaben für Verkehrsinfrastruktur: Die Einnahmen durch die Verkehrsabgaben können kaum für den Erhalt der Biodiversität eingesetzt werden. Auch Investitionshilfen an die Landwirtschaft, die Biodiversität nicht berücksichtigen, werden als schädlich gewertet, da sie die Intensivierung der Landwirtschaft begünstigen.

Science-Check ✓

Studie: Biodiversitätsschädigende Subventionen in der SchweizKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDer Bericht trägt sämtliche verfügbare Literatur und Daten zusammen und basiert zudem auf Experten-Interviews. Die Resultate sind sehr zuverlässig – bei vielen Subventionen ist allerdings der Anteil, der die Biodiversität schädigt, schwer zu beziffern.Mehr Infos zu dieser Studie...
Ein Traktor bearbeitet den Boden auf einem Feld.pixabay/matthiasboeckel

Subventionen, beispielsweise für die Landwirtschaft, sind ein Faktor, der die Artenvielfalt in der Schweiz bedroht.

Im Vergleich dazu geben Bund, Kantone und Gemeinden jährlich maximal 1,1 Milliarden Franken aus, um die Biodiversität zu fördern. 2012 verabschiedete der Bund eine Bio-Diversitätsstrategie. Der dazugehörige Aktionsplan kam dann 2017 – mit drei Jahren Verspätung. Der Aktionsplan enthält nun 26 Massnahmen – die nicht vom Fleck kommen.

Im Wald wohnen besonders gefährdete Tiere

Rund ein Drittel der Fläche der Schweiz ist mit Wald bedeckt. Dieser Wald beherbergt 40 Prozent aller vorkommenden Arten – und die grösste Anzahl der gefährdeten Arten, wie der neue Bericht zeigt. Für die Biodiversität nimmt der Wald deshalb eine Schlüsselfunktion ein. Rund 49 Prozent des Schweizer Waldes dient allerdings dem Schutz vor Naturgefahren, rund 32 Prozent wird für die Holzproduktion genutzt. Nur 12 Prozent des Waldes sind Teil des Naturschutzes. Auch in Produktionswald kann die Biodiversität zwar gefördert werden. Bäume, die einen geringen Holzwert haben, werden allerdings gefällt. Für verschiedenste Arten hätten solche Bäume aber einen hohen Wert als Lebensraum. Auch gibt es in solchen Wäldern wenig Totholz – für unzählige Arten ebenfalls ein beliebter Tummelplatz. Die Wälder sind ausserdem immer besser erschlossen: In den letzten 15 Jahren wurden rund 400 Kilometer Waldstrassen neu gebaut oder ausgebaut. So kommen immer mehr Menschen in die Habitate der Tiere – und Orte der Entspannung werden für viele Arten immer rarer.

Tannenwald an einem Seepixabay/Photos_kast

Schweizer Wälder beherbergen viele gefährdete Arten.

Schweizer Seen oft zu nährstoffreich

Seit fast vier Jahrzehnten müssen Seen im Mitteland künstlich belüftet werden, da sie zum Beispiel wegen Dünger zu nährstoffreich sind. Zu diesen Seen gehören der Sempachersee, der Hallwilersee, der Pfäffikersee, der Greifensee und der Türlersee. Zusammen mit hoher Sonneneinstrahlung bewirkt der hohe Nährstoffgehalt Algenblüten. Diese wiederum führen zu einem zu niedrigen Sauerstoffgehalt im Wasser. Würden die Seen nicht belüftet, würde ein Grossteil der Lebewesen absterben. Über 20 Prozent der Arten, die die Gewässer besiedeln, sind vom Aussterben bedroht – oder sogar schon ausgestorben.

Schilfbewachsenes Ufer des Pfäffikerseespixabay/Sarah_Loetscher

Der Pfäffikersee gehört zu den Seen, die zu reich an Nährstoffen sind.

Siedlungen fördern invasive Arten

Die Siedlungsfläche in der Schweiz hat seit Mitte der 80er Jahre um mehr als einen Drittel zugenommen – vor allem auf Kosten der Landwirtschaft. In Siedlungen ist rund 60 Prozent der Fläche versiegelt, also überbaut. Alte Häuser mit zahlreichen Nischen und Parkanlagen mit vielen Bäumen verschwinden wegen der Verdichtung des Wohnraums zunehmend. Dabei könnten auch Siedlungen einen Lebensraum für verschiedenste Arten bieten. Bei gewissen Artengruppen finden sich in manchen Siedlungen sogar eine höhere Vielfalt als im Wald. In der Stadt Zürich leben beispielsweise 1200 Arten von wildwachsenden Farn- und Blütenpflanzen – das sind immerhin 40 Prozent der in der ganzen Schweiz vorkommenden Arten. In Gärten werden aber häufig gebietsfremde und invasive Arten angepflanzt. Diese können sich aus den Gärten heraus verbreiten und einheimische Pflanzen verdrängen.

Ein Blick über Zürich und die Limmat an einem freundlichen Sommertagpixabay/Jonny_Joka

Die Biodiversität unterliegt im Siedlungsraum sehr stark der Beeinflussung durch den Menschen.

Habitate werden immer mehr eingeschnürt

71 000 Kilometer Strassen erstrecken sich über die Schweiz und über 5000 Kilometer Schienen, wie der Bericht der WSL und des Forum Biodiversität Schweiz zeigt. Das Mittelland verfügt hier über eines der dichtesten Verkehrsnetzte Europas. Strassen und Schienen zerschneiden aber Lebensräume. Tierpopulationen werden isoliert und haben so ein höheres Risiko, auszusterben. Ausserdem ist das Abwasser von Strassen und Schienen oft mit Schadstoffen belastet und es kommt zu Luft- und Lichtverschmutzung.

Ein kleiner Steinpfad führt durch ein Hochmoor.pixabay/aprovecha

Lebensräume verkleinern sich durch Strassen und Schienen zunehmend. Das hat Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen.

Bei vielen langlebigen Arten entsteht in stark verkleinerten Lebensräumen eine sogenannte «Aussterbeschuld»: Wenn ein Moor einst 100 Hektare gross war und jetzt noch 5 Hektare umfasst, kommen dort immer noch seltene Pflanzen vor. Diese Restpopulation kann noch Jahrzehnte überdauern, obwohl ihr Lebensraum zu klein geworden ist, denn Pflanzen sind sehr langlebig. Die historische Grösse eines Lebensraumes wirkt also nach. Die seltenen Pflanzen können sich in so kleinen Räumen aber nicht mehr erfolgreich Fortpflanzen, es gibt dann Inzest-Erscheinungen. Bei den Pflanzen geht es also sehr lange bis eine Art wirklich komplett ausgestorben ist. Die Populationen sind aber geschwächt – eine Trockenperiode wie 2018 kann solchen Restbeständen dann vollständig den Garaus machen.

Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende