Das musst du wissen
- Jugendliche, die sich bereits selbst verletzt haben, haben eine höhere Schmerzgrenze als solche, die dies nicht taten.
- Auch nicht-schmerzvolle Stimuli spürten sie weniger stark.
- Die erhöhte Schmerzgrenze bei Jugendlichen könnte ein Indiz sein für eine bestehende Suizidgefährdung.
Bei Jugendlichen in der Schweiz ist Suizid die häufigste Todesursache nach Unfall. Und während der Pandemie hat die Suizidgefährdung bei den Jungen noch zugenommen: So hat das Kinderspital Zürich im Jahr 2020 doppelt so viele Suizidversuche bei Kindern und Jugendlichen verzeichnet als im Vorjahr. Eine Gefährdung frühzeitig zu erkennen, wird deshalb immer wichtiger. Messbare Indikatoren fehlen bisher aber weitgehend. Ein Indiz sind jedoch Selbstverletzungen. Und diese gehen bei Jugendlichen mit einem höheren Schmerzlimit einher, wie eine neue Studie britischer Forschender nun ergeben hat. Die Studie wurde im Fachmagazin JAMA Network Open publiziert.
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Studie: Assessment of Somatosensory Function and Self-harm in AdolescentsKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Anzahl Probanden ist relativ klein, was die Aussagekraft der Studie einschränkt. Auch war die Probandengruppe nicht repräsentativ: Unter den sich selbst verletzenden Jugendlichen waren mehr Mädchen und nur Jugendliche, die sich in psychiatrischer Behandlung befinden. Auch kann die Studie nicht klären, ob die Jugendlichen bereits eine hohe Schmerzgrenze hatten und deshalb eher Selbstverletzungen begehen oder ob die hohe Schmerzgrenze aus der Selbstverletzung resultiert. Andere Risikofaktoren für hohe Schmerzgrenzen und Selbstverletzung wie Missbrauchserfahrungen und Depressionen wurden nicht einbezogen. Weitere Forschung muss also erst zeigen, ob sich Schmerzgrenze als Indikator tatsächlich eignet.Mehr Infos zu dieser Studie...Nicht nur Schmerzgrenze liegt höher
Die Forschenden führten ein Experiment mit 64 Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren durch und massen dabei ihr Schmerzempfinden. Zu keinem Zeitpunkt mussten die Probanden Schmerzen aufhalten und konnten jederzeit aufhören, wie die Forschenden in einer Mitteilung betonen. Das Experiment wurde durch die Ethikkommissionen des Glasgow College of Medical, Veterinary, and Life Sciences und des King’s College London bewilligt.
Verglichen wurde das Schmerzempfinden von Jugendlichen, die sich im vergangenen Jahr mindestens einmal selber verletzt hatten, und von solchen, die dies nicht getan hatten. Absichtliche Selbstverletzungen treten bei Jugendlichen meist ab dem 12. Lebensjahr auf und kommen bei Mädchen sowie bei Kindern, die Missbrauch erlebt haben, häufiger vor.
Die Forschenden führten 13 Tests pro Person durch, die sowohl Schmerzgrenze als auch sonstige taktile Empfindungen massen. Die Versuchspersonen erspürten auf ihrem Vorderarm dabei Hitze, Kälte, Druck und Vibration. Manche Tests gingen bis an die Schmerzgrenze, andere nicht.
Die Resultate zeigen: Kinder und Jugendliche, welche sich im vergangenen Jahr mindestens fünf Mal Selbstverletzungen zugefügt hatten, verfügten eindeutig über eine höhere Schmerzgrenze. Die Forschenden kontrollierten, ob die Unterschiede mit Alter, Geschlecht oder Medikamentierung erklärt werden konnten – dem war aber nicht so. Auch nicht schmerzhafte Einwirkungen spürten diese Jugendlichen weniger stark.
Hohe Schmerzgrenze als Warnsignal
Diese Resultate stützen den Forschenden zu folge die Theorie, dass erst die Gewöhnung an Schmerz und somit die reduzierte Angst vor Schmerzen einen tatsächlichen Suizid ermögliche. Die Schmerzgrenze könnte bei selbstverletzenden Jugendlichen also als Indikator dienen, um eine akute Suizidgefahr zu erkennen, schlagen die Forschenden vor. «Wenn eine Person sich an Schmerzen gewöhnt hat und die Schmerzgrenze viel höher liegt, als bei einer Person, die sich nicht selbst verletzt, ist der Punkt gekommen, wo wir sagen, dass sie ein höheres Suizidrisiko hat», sagt der Jugendspsychiater Dennis Ougrin, Co-Hauptautor der Studie, in einer Medienmitteilung. Diese Theorie muss jedoch erst weiter bestätigt werden.
Hier findest du Hilfe
Die Dargebotene Hand: Telefon 143, www.143.ch
Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefon 147, www.147.ch
Weitere Adressen und Informationen: www.reden-kann-retten.ch