higgs: Herr Aguzzi, Sie haben den Bundesrat zu drastischen Massnahmen aufgefordert. Nun werden Schulen geschlossen. Einreissperren für Personen aus Italien verhängt. Sind Sie zufrieden?
Adriano Aguzzi: Überhaupt nicht. Die Massnahmen sind ein Mini Lockdown. Sie bringen zu wenig. Der Bundesrat zeigt, dass er noch immer den Ernst der Lage verkennt.

Adriano Aguzzi

Adriano Aguzzi ist Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsspital Zürich und Hochschullehrer an der Universität Zürich.

Hier findest du den offenen Brief , mit dem Aguzzi und andere Forschende den Bundesrat aufgefordert haben, drastische Massnahmen zu ergreifen. 

Was hätte man noch mehr anordnen müssen?
Man müsste mindestens gleich rigoros vorgehen wie in Italien. In der Schweiz dürfen Bars und Restaurants offen bleiben, aber nicht mehr als 50 Personen aufnehmen. Das ist absurd. Es gibt keine wissenschaftliche Überlegung, die eine so halbherzige Massnahme begründen würde. Auf wen hört der Bundesrat eigentlich? Ich habe das Gefühl, die Schweiz sei komplett führungslos. Das wird viel mehr Menschenleben kosten als sich mit einem richtigen Shutdown verhindern liesse.

Was genau ist absurd an solchen Massnahmen?
Die Statistik besagt, die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Infizierter in einem Kollektiv von 20 Personen befindet, gestern 17 Prozent betrug. Sie steigt jeden Tag und liegt heute bereits bei 21 Prozent. Das heisst, jede fünfte Versammlung von 20 Leuten wird die Infektion verbreiten. Und der Bundesrat lässt 50 Leute zu. Das führt direkt in die Katastrophe. Essentiell ist, dass sofort alle Läden ausser Esswaren und Pharmazien geschlossen werden, und dass nur je eine Person in den Laden eintritt.
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Sie haben auf Facebook Hilfe bei der Erforschung und Bekämpfung des Sars-Cov2-Virus angeboten. Und regen sich gleichzeitig darüber auf, dass die Tierschutzbürokratie dies verhindern wird. Was genau bieten Sie an?
Ich bin seit gut drei Jahren an einer grossen Studie, um das Vorkommen von verschiedensten Antikörpern in einer sehr grossen Zahl von Menschen zu erfassen. Wir haben bereits eine Biobank mit Blutproben von etwa 100 000 Personen. Und wir erhalten jeden Tag neue Proben. Jede Patientin jeder Patient, der im Universitätsspital Zürich behandelt wird, kann seine Einwilligung geben, dass sein Blut in diese Biobank gelangt. So verfügen wir über eine riesige Zahl sehr aktueller Proben. Darin können wir nach beliebigen Antikörpern suchen. So könnten wir zum Beispiel zurückverfolgen, wann die erste Corona-Infektion in der Schweiz aufgetreten ist. Wir könnten bestimmen, welche Antikörper infizierte Personen vor dem Ausbruch der Krankheit Covid19 schützen. Wir könnten zeigen, unter welchen Bedingungen die Leute sterben. Vor allem könnten wir untersuchen, welche Art von Antikörpern wichtig ist, damit man wieder gesund wird, und ob Genesene auch ein Jahr nach der Genesung noch geschützt sind. Und letztlich könnte das ein Schlüssel sein für die Entwicklung eines Impfstoffes. Damit könnte ich morgen beginnen. Aber es wird Monate dauern, bis ich beginnen darf.

Warum?
Ich habe ein Forschungsgesuch beim Nationalfonds gestellt. Und nun schaltet sich das kantonale Veterinäramt ein – genauer die Tierversuchskommission, weil ich für die Versuche auch ein paar Mäuse bräuchte.

Wozu denn Mäuse?
Ich muss ein paar …

Wie viele?
… ein halbes Dutzend – vielleicht auch zehn – mit Proteinen des Coronavirus immunisieren, um eine positive Kontrollprobe zu erhalten.

«Ich bin bereit, dafür ins Gefängnis zu gehen.»

Sie wollen also einer Handvoll infizierter Tiere Blut entnehmen. Ist das ein Problem?
Natürlich nicht, aber das gilt als Tierversuch. Und der wird in der aktuellen Notlage genauso bürokratisch behandelt wie immer.

Das heisst?
Das kenne ich nur allzu gut. Das Veterinäramt wird den Antrag nicht ablehnen, aber es wird eine Unmenge an belanglosen Fragen stellen. Ich beantworte die Frage, Dann stellt das Amt neue Fragen, die man schon beim ersten Mal hätte stellen können. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Forschern und Tierschützern. Ich verlange seit Jahren, dass man solche Abklärungen in einem Gespräch effizient erledigen kann. Aber man will mich bewusst nicht treffen, um die Sache möglichst lang hinauszuzögern.

Also wird wohl auch die Administration schneller arbeiten.
Ich reiche am Montag das Gesuch ein und gebe der Kantonstierärztin eine Woche Zeit für die Bewilligung. Dann beginne ich.

Auch ohne Bewilligung?
Ja, ich habe es satt. Es ist ein Ernstfall, ich bin bereit zu helfen. Wenn sie mich hindern wollen, muss die Kantonspolizei mein Labor stürmen. Und ich bin bereit, dafür ins Gefängnis zu gehen.

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