Das musst du wissen

  • Ein Viertel des weltweiten Fischfangs geht auf sogenannte Schleppnetzfischer zurück.
  • Diese Fangmethode soll nun in geschützten Meeren verboten werden.
  • Angeprangert werden nebst den Umweltschäden auch die horrenden Treibstoffverbrauche.

Es geht um nichts weniger als um den Schutz der Weltmeere. Die Grundschleppnetzfischerei steht im Zentrum der internationalen politischen Debatte, die aktuell an zwei Fronten ausgetragen wird. In Brüssel endete gerade die öffentliche Konsultation zum «Aktionsplan für den Ozean», der von der Europäischen Kommission initiiert wurde. Wissenschaftler und Umwelt-NGOs fordern ein Verbot dieser industriellen Fangmethode in geschützten Meeresgebieten. Und bei der Welthandelsorganisation (WTO) werden die Subventionen infrage gestellt. Was ist die Schleppnetzfischerei und warum wird sie so angeprangert?

Warum es wichtig ist. Die Ozeane werden immer leerer und die industrielle Fischerei trägt die Verantwortung dafür. Die Fangmethoden haben schwerwiegende Folgen für die Ökosysteme, den Klimawandel sowie für die Ernährungs- und die soziale Sicherheit. Allein die Schleppnetzfischerei macht etwa 25 Prozent des weltweiten Fischfangs aus, sagt Daniel Pauly, Meeresbiologe und Leiter des Projekts Sea Around Us. Der Grossteil des Fisches, der in Supermärkten verkauft wird, stammt aus der Schleppnetzfischerei.

Was ist die Schleppnetzfischerei? Stell dir ein riesiges, sockenförmiges Netz vor, das vier Jumbojets auf einmal fangen kann. Das Ganze wird mit grossen Metallplatten beschwert, die mehrere Dutzend Tonnen wiegen, um in 800 oder sogar 2500 Metern Tiefe am Meeresboden entlang geschleift zu werden. Das Fangnetz wird von einem oder mehreren Schiffen über grosse Entfernungen gezogen. Bis zu 500 Meter lang kann das Netz sein – es reisst alles mit sich und hobelt Riffe und geologische Strukturen ab, die sich in Jahrtausenden gebildet haben.

Die Schleppnetzfischerei ist per Definition eine industrielle Fischerei. Laut europäischem Gesetz selbst dann, wenn sie von einem kleinen Schiff und in kleinem Masse betrieben wird. Daniel Pauly ergänzt:

«Sobald sich das Netz bewegt, ist es immer industriell. Das ist die europäische Definition und ich finde, es ist eine gute Definition, weil man viel mehr Energie verbraucht und entsprechend mehr Kapital und so weiter.»

Umweltverschmutzung, moderne Sklaverei und Ernährungsunsicherheit. Zu den Schäden an den Fischpopulationen kommen Umweltverschmutzung und Treibhausgasemissionen. «Um in 2000 oder 2500 Metern Tiefe zu fischen, verbrauchen die Schiffe eine astronomische Menge an Treibstoff», erklärt Frédéric Le Manach, wissenschaftlicher Leiter der gemeinnützigen Organisation «Bloom», die sich für den Schutz der Ozeane einsetzt.

«Der Treibstoff kostet sie so viel, dass sie nur dank Subventionen funktionieren können. Wenn keine öffentlichen Gelder mehr für diese zerstörerischen Aktivitäten gezahlt würden, würden sie nicht mehr existieren.»

Ein weiterer Punkt, den Daniel Pauly anspricht, sind die Arbeitsbedingungen der Menschen, die auf den Schleppnetz-Schiffen arbeiten, welche die Meere durchkreuzen.

«Nach dem Treibstoff sind die Löhne die grössten Kosten. Wenn man die Kosten senkt, kann man eine gewisse Profitabilität aufrechterhalten. Das führt zu einer Art moderner Sklaverei. Es gibt mehrere Hunderttausend Menschen, die auf Schiffen wie Sklaven gehalten werden, vor allem auf asiatischen Schiffen – aber es gibt auch russische oder ukrainische. Auch das zeigt das wahre Gesicht der Schleppnetzfischerei.»

Der Experte empört sich auch darüber, dass diese industrielle Fischerei die Ernährungssicherheit vor allem in Westafrika verschlechtert. Dort werden die handwerklichen Fischer, die den lokalen Markt versorgen und viele Arbeitsplätze schaffen, durch internationale Flotten ersetzt. Diese laugen die Küstengewässer aus und verkaufen ihren Fang in Europa und Nordamerika weiter.

«Dies ist die effektivste Methode, um Protein von den Ländern des Südens in den Norden zu transferieren.»

Subventionen im Mittelpunkt der Verhandlungen: Seit mehr als zwanzig Jahren kommt dieses Thema immer wieder auf. Im Jahr 2015 beauftragten die Vereinten Nationen die Welthandelsorganisation mit einem internationalen Abkommen zum Verbot von Subventionen. Das Dossier hätte im Dezember 2021 auf der Ministerkonferenz in Genf zum Abschluss kommen sollen, doch die Konferenz wurde erneut verschoben. Die beiden befragten Experten befürchten, dass das Momentum für ein Abkommen bereits verstrichen ist. Die Abschaffung der Subventionen ist für sie die grösste Hoffnung auf ein Ende der Schleppnetzfischerei.

Eine erste Schlacht ist gewonnen. Die Europäische Union hat, auf Druck von NGOs, in ihren Gewässern die Schleppnetzfischerei in Tiefen von mehr als 800 Metern seit Juli 2021 verboten. In der Tiefsee ist der Meeresboden besonders gefährdet, erklärt Frédéric Le Manach.

«Die Ökosysteme an der Oberfläche nutzen die Photosynthese. Es sind ziemlich reaktive Ökosysteme, die Produktion erfolgt dort schnell. Aber ab 180 bis 200 Metern Tiefe gibt es überhaupt kein Licht mehr. Dort sind die Ökosysteme extrem langsam. Alles wächst und gedeiht sehr langsam. Wenn man also dort mit Schleppnetzen der industriellen Fischerei hantiert, hat es kolossale Auswirkungen.»

Der nächste Schritt ist die Einhaltung von Schutzgebieten. Dass Schleppnetz-Schiffe in geschützten Meeresgebieten fischen, mag seltsam klingen – ist aber legal. Europa hat viele Meeresschutzgebiete eingerichtet, doch in den meisten Fällen ist die Schleppnetzfischerei in diesen Gebieten erlaubt. Das Verbot dieser Praxis ist das Hauptthema der aktuellen Verhandlungen in der Europäischen Kommission. Es bleibt nun abzuwarten, ob die Vorschläge von NGOs und Wissenschaftlern in den «Aktionsplan für den Ozean» aufgenommen werden, den die Kommission den Staaten vorlegen wird.

«Angesichts der letzten Entscheidungen der Europäischen Kommission wäre es nicht verwunderlich, wenn sie sich eher auf die Seite der Industrie stellen würde. Aber selbst wenn die Kommission diese starken Vorschläge aufgreifen würde: Nicht die Kommission entscheidet über die endgültige Verordnung. Es gibt einen ganzen politischen Prozess, der auf der einen Seite die gewählten Vertreter im Europäischen Parlament einbezieht – und auf der anderen Seite die Mitgliedsstaaten im Rat der EU.»

Ein Dossier, von dem wir noch viel hören werden. Nicht nur der «Aktionsplan für den Ozean», der in diesem Frühjahr in Brüssel verhandelt wird, regelt das gesamte Fischereimanagement in Europa. Auch der Zeitpunkt für die Erneuerung der «Gemeinsamen Fischereipolitik» (GFP) spielt mit: Die GFP wird alle zehn Jahre überarbeitet – der nächste Termin ist 2023.

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

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Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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