Das musst du wissen

  • In Europa und in den USA gibt unter Buben und Mädchen eine ungewöhnliche Form von Hepatitis zu reden.
  • In fünf bis zehn Prozent der Fälle ist eine Transplantation der Leber notwendig.
  • Welches Virus dahintersteckt, lässt Fachleute rätseln – ebenso die Verbindung zum Coronavirus oder dem Lockdown.

Seit einigen Wochen verzeichnen Krankenhäuser in Europa und den USA eine ungewöhnliche Form von Hepatitis bei Kindern unter 11 Jahren. Etwa zweihundert Fälle wurden bisher von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in 16 Ländern registriert, überwiegend in Europa. Die Ursache für diese akuten, manchmal sehr schweren Leberentzündungen, liegt selbst für Spezialisten noch im Dunkeln.

Warum wir darüber sprechen. Laut WHO wurden bis zum 21. April 114 Fälle im Vereinigten Königreich, zwanzig in den USA, 13 in Spanien, zwölf in Israel, sechs in Dänemark, fünf in Irland, vier in den Niederlanden, ebenfalls vier in Italien, zwei in Norwegen, zwei in Frankreich sowie einer jeweils in Rumänien und Belgien anerkannt. Diese Zahlen könnten schnell ansteigen, seit die WHO das Thema kommuniziert und alle Krankenhäuser weltweit aufgefordert hat, die Situation auch retrospektiv zu überwachen.

Philippa Easterbrook, die bei der WHO das Programm zur Überwachung von Hepatitis leitet, ruft dazu auf, wachsam zu sein, aber nicht in Panik zu verfallen:

«Wir verzeichnen eine steigende Zahl von Patienten, aber im globalen Kontext sind das immer noch extrem seltene Fälle.»

In den Genfer Universitätskliniken, die eines der wichtigsten Expertenzentren des Landes beherbergen, wird dies präzisiert:

«Das Schweizer Zentrum für Kinderleber, das am Universitätsspital Genf angesiedelt ist, verfolgt aufmerksam die Situation der Hepatitisfälle bei Kindern, die in den letzten Tagen in einigen europäischen Ländern gemeldet wurden. Bis heute ist in der Schweiz kein Fall bekannt. Die Ursache dieser Krankheit ist unklar.»

Wenn diese Krankheit die medizinische Gemeinschaft derart mobilisiert, liegt das daran, dass sie grosse Auffälligkeiten aufweist. Für Xavier Stephenne, Leiter der Abteilung für pädiatrische Gastroenterologie an den Saint-Luc-Kliniken in Brüssel, einem grossen europäischen Zentrum für Lebertransplantationen bei Kindern, ist die Krankheit ein Grund zur Sorge:

«Es ist nicht ungewöhnlich, dass Kinder eine Hepatitis entwickeln. Jedes Virus kann diese Entzündungen auslösen. Aber hier gibt es eine ungewöhnlich hohe Zahl von schnell und heftig verlaufenden Formen. Und fünf bis zehn Prozent der Fälle erforderten eine Transplantation, ohne dass die normalerweise verantwortlichen Viren nachgewiesen wurden.»

Wie sieht diese Form der Hepatitis aus? Es handelt sich um eine akute Entzündung der Leber, die mit einem starken und schnellen Anstieg der Leberwerte einhergeht. Konkret jener Enzyme – Lebertransaminasen genannt –, welche die Gesundheit des Organs anzeigen. Laut WHO hatten die meisten betroffenen Kinder kein Fieber, aber Magen-Darm-Beschwerden wie Bauchschmerzen, Durchfall und Erbrechen oder sogar Gelbsucht, also eine ungewöhnlich gelbe Hautfarbe und ein gelbes Augenweiss.

Grund zur Sorge sind gemäss der britischen Gesundheitsbehörde auch dunkler Urin, blasser oder grauer Stuhl, juckende Haut, Muskel- und Gelenkschmerzen, ungewöhnliche und ständige Müdigkeit sowie ausbleibender Appetit. Weil diese Symptome jedoch unspezifisch sind, kommen hier medizinische Tests für die Diagnose ins Spiel.

In zehn Prozent der Fälle funktionierte die Leber nicht mehr richtig, was zu Störungen der Blutgerinnung, des Stoffwechsels und des Bewusstseinszustands führen kann. Gemeint sind unter anderem Unruhe, Desorientierung oder sogar Koma. Dies ist eine kritische Situation, die eine Transplantation erforderlich macht.

Eine unbekannte Ursache. Fachleute wissen noch nicht, was der Auslöser für diese schwere Hepatitis ist. Sie vermuten aber, dass es sich um ein Virus handelt. Philippa Easterbrook erklärt:

«In diesen Fällen wurde keine der üblichen Ursachen für Hepatitis nachgewiesen: weder das Hepatovirus A, B, C oder E noch andere Herpesviren, zu denen auch das Epstein-Barr-Virus gehört.»

Die WHO suchte nach Umweltursachen, möglichen Expositionen gegenüber Toxinen, Medikamenten oder der Kontamination von Lebensmitteln mit Bakterien, fand aber bislang keine Ähnlichkeiten zwischen den Fällen. Die Experten gehen daher von einem Virus aus. Philippa Easterbrook fährt fort:

«In einigen Fällen wurde ein Adenovirus-Signal nachgewiesen. Das ist ein sehr häufiges Virus, das manchmal Magen- und Darmbeschwerden verursachen kann (Anm. d. Red.: das Virus, das auch für Erkältungen verantwortlich ist). Es wurde bei einigen Patienten nachgewiesen, aber nicht bei allen.»

Diese Spur ist von Interesse, da Adenoviren bei jungen, immungeschwächten Patienten eine schwere Hepatitis verursachen können. In keinem der beschriebenen Fälle wurde jedoch eine Immunschwäche festgestellt. Philippa Easterbrook bezieht noch weitere Elemente in ihre Analyse mit ein:

«Die routinemässigen Überwachungssysteme stellen eine Zunahme der Zirkulation dieses Virus fest. Das ist zwar kein Beweis, aber ein vielversprechendes Signal.»

In diesem Fall hätten die Pandemie und die Corona-Massnahmen die Exposition von Kindern gegenüber dieser sehr häufigen Virusfamilie verringert. Nach Aufhebung der Corona-Massnahmen hätte diese von einem Rebound profitiert, was zur Entstehung eines neuen Adenovirus geführt haben könnte, das diese akute Hepatitis verursacht. Es ist jedoch noch nicht alles bewiesen und die Ärzte arbeiten noch daran, dieses Phänomen zu bestätigen.

Was ist mit Covid? Auch wenn das Adenovirus die Diskussionen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft dominiert – es ist nicht die einzige Spur, die untersucht wird. Die WHO schloss zunächst aus, dass es sich um eine Nebenwirkung der Covid-Impfung handelt.

«Die Mehrheit der Kinder, die von dieser Untersuchung betroffen waren, wurde nicht geimpft», betont Philippa Easterbrook. Sie gehörten nicht zu den Zielaltersgruppen der Impfkampagnen in ihren Ländern.

Hatten sie sich vielleicht mit Covid angesteckt? Eine neue Studie, die in der Fachzeitschrift Nature Metabolism erschienen ist, zeigt, dass sich das Virus bei Erwachsenen im Lebergewebe einnistet und eine Entzündung verursachen kann. Xavier Stephenne ist der Meinung, dass diese Hypothese bei Hepatitis bei Kindern nicht zutrifft:

«In den Krankenhäusern werden weiterhin zahlreiche Covid-Screenings durchgeführt. Die betroffenen Kinder wurden getestet und es wurde kein Signal gefunden, das auf Sars-CoV-2 hindeutet. Unsere Transplantationspatienten waren nicht an Covid erkrankt.»

Die WHO untersucht auch einen Assoziationseffekt zwischen dem Adenovirus, dem Sars-CoV-2 oder sogar anderen Viren.

Die Wirkung von Covid könnte jedoch sekundär sein, wie die Virologin Isabella Eckerle erläutert, die sich auf neu auftretende Krankheiten spezialisiert hat:

«In Europa sind wir uns der neuen Erscheinungsformen von Covid sehr bewusst und bringen sie eher mit Viren in Verbindung. Aber in vielen Ländern, insbesondere in Ländern mit niedrigem Einkommen, ist das Gegenteil der Fall. Das Gesundheitssystem wurde so sehr von Covid überrollt, dass kaum Ressourcen für die weitere Überwachung anderer Krankheitserreger übrig blieben. So wurden möglicherweise einige neu auftretende Ereignisse übersehen.»

Derzeit werden die Nebenwirkungen von Covid auf andere übertragbare Krankheiten gemessen. Zum Beispiel auf Masern, deren erneuter Ausbruch offenbar auf die verzögerte Impfung, bedingt durch die Pandemie, zurückzuführen ist. Es ist also möglich, dass das Virus, das für diese Hepatitis verantwortlich ist, von Covid profitiert hat, um dem Gesundheitsradar zu entgehen. Isabella Eckerle warnt daher:

«Wir brauchen bessere Programme zur Überwachung und Analyse von Viren, damit wir wissen, welche Viren im Umlauf sind. Und damit wir Unregelmässigkeiten schneller erkennen können. Leider hat man in vielen Ländern, darunter auch in der Schweiz, den Eindruck, dass die Pandemie vorbei ist und wir diese Investitionen nicht mehr benötigen.»

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Ramona Nock aus dem Französischen übersetzt.

Heidi.news

Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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