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Politik und Fachwelt sind sich einig: Die Schweiz muss aus den zwei Jahren Pandemie ihre Lehren ziehen, um künftig besser gewappnet zu sein. Denn die jetzige Pandemie ist noch nicht zu Ende, und die nächste kommt mit Sicherheit.

Wie wir uns wappnen, hat das Bundesamt für Gesundheit an der Medienkonferenz vom 22. März bekannt gegeben. Man will vor allem beobachten. Mit folgenden Mitteln:

  • Das Meldesystem für Covid-Fallzahlen, Hospitalisierungen, Tests und Positivitätsraten bleibt obligatorisch.
  • Das altbewährte Sentinella-Meldesystem für infektiöse Krankheiten wird zeigen, wie viele Leute mit grippeähnlichen Symptomen ärztlichen Rat einholen.
  • Abwasseranalysen in Kläranlagen, die etwa siebzig Prozent der Schweizer Bevölkerung abdecken, spüren das Sars-CoV-2-Virus auf.
  • Es werden Stichproben in der jungen Bevölkerung und bei Risikogruppen auf Sars-CoV-2 untersucht.
  • Genetische Analysen von Proben werden stichprobenweise neue Mutanten entdecken.

Des Weiteren gibt es verschiedene Forschungsprojekte zur Einschätzung der Immunitätslage in der Bevölkerung.

So weit so gut. Aber Patrick Mathys, der Leiter der Sektion Krisenbewältigung im BAG, erwähnte an der Medienkonferenz gleich selbst den Schwachpunkt dieses Konzepts: «Es geht weniger um Prognosen als vielmehr darum, wie wir die epidemiologische Entwicklung und die Immunität in der Bevölkerung überwachen und beschreiben können.»

Es wird also vor allem beobachtet. Was bringt das? Das Covid-Dashboard und die Sentinella-Statistik der infektiösen Krankheiten reichen schlicht nicht. Das sind öde Zahlenwüsten – keine Interpretation, keine Beurteilung der Entwicklung und schon gar nicht eine Voraussicht, eine Prognose.

Genau das hat die Covid-Taskforce gemacht. Sie hat aufgrund der verfügbaren Daten und der aktuellen Umstände zum Beispiel des Wetters abgeschätzt, wie sich die Pandemie entwickeln wird. Und sie hat Gesundheitsbehörden, Politik und uns alle gewarnt. Damit lag sie bis Ende letztes Jahr immer erstaunlich genau.

Auch wenn wissenschaftsfeindliche Kreise ihr vorwerfen, die letzten zwei, drei Monate nicht mehr richtig prognostiziert zu haben. Es braucht ein Fachgremium, das nicht nur Fälle zählt, sondern epidemiologisch Voraussagen macht. Nur so können wir uns gegen weitere Wellen oder neue Pandemien wappnen.

Keine Prognosen, kein wissenschaftliches Gremium

higgs hat beim Bundesamt für Gesundheit nachgefragt, ob denn künftig die Behörde diese Aufgabe übernehmen wird. Die schriftliche Antwort: «Das BAG informiert nach wie vor über das Dashboard über die wichtigsten Kennzahlen (Indikatoren) zur Covid-19-Pandemie.»

Ein Dashboard ist wie gesagt eine Zahlenwüste. Darum haben wir nachgefragt, wer denn aufgrund dieser Rohdaten künftig Prognosen erarbeiten wird. Die Antwort des BAG: «Prognosen sind im Moment nicht geplant.»

Das ist fahrlässig.

Und das BAG hat auch nicht im Sinn, eine eigene Taskforce zu bilden. Es versichert aber: «Die Zusammenarbeit mit den Forschenden wird weitergeführt.»

Das ist gleich doppelt fahrlässig.

Mit der Taskforce hatte das Bundesamt für Gesundheit gut zwei Jahre ein wissenschaftliches Gremium mit Fachleuten aus den verschiedensten Disziplinen von Virologie, Epidemiologie, Psychologie bis Ökonomie an der Seite, das die Epidemiologie und die Auswirkungen der ergriffenen Massnahmen in der ganzen Tiefe abwog. Zeitweise waren das über dreissig hocherfahrene Persönlichkeiten, die sich ehrenamtlich engagiert haben, einige von ihnen bis zur Erschöpfung. Und nun will das Amt auf Prognosen und Taskforce verzichten.

Lernen aus der Krise sieht anders aus

Wollten wir nicht lernen aus der Corona-Krise? Das BAG hat es nicht. Schon während der Pandemie hat es die Sache allzu leichtgenommen. Kaum hatten die Infektionen so richtig Schwung aufgenommen, ging der Leiter der Abteilung infektiöse Krankheiten Daniel Koch in Rente. Sein Nachfolger Stefan Kuster war auch wieder weg, kurz nachdem er den Posten angetreten hatte. Seither ist die Stelle vakant.

Die Abteilung für infektiöse Krankheiten des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit wird in der Pandemie von einem Leiter ad interim geführt, der noch nie in Erscheinung getreten ist. Aus der Krise lernen sieht anders aus.

Auch der Epidemiologe und ehemaliges Taskforce-Mitglied Marcel Salathé moniert, dass das BAG seine Hausaufgaben nicht mache. 

Er fragt: «Wieso hat das BAG immer noch keinen Digitalverantwortlichen? Welchen Krisenstab wird es im Herbst geben? Wer übernimmt die SwissCovid-App?»

Seine Forderung sei hier nachdrücklich wiederholt: «Jetzt muss die Schweiz sich den grossen Fragen dieser Pandemie stellen.» Gut gebrüllt, Salathé, bloss hört das jemand im Bundesrat, Parlament und Bundesamt?

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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