Herr Fischer, wieso machen Sie derart düstere Musik?

Auch wenn es wie ein Klischee klingt: Ich hatte keine schöne Kindheit. Meine Eltern trennten sich, als ich sechs Jahre alt war. Ich zog mit meiner Mutter weg und lebte plötzlich in einem kleinen «Kuhdorf», wo ich niemanden kannte und auch niemanden kennen lernte. Ich blieb der Aussenseiter.

Wieso das?

Meine Mutter arbeitete als Schmugglerin. Deswegen war sie immer wieder unterwegs, weltweit, wochenlang. Ich blieb in der Zeit mir selbst überlassen. Allerdings nicht alleine. Denn meine Mutter liebte Katzen. Erst waren es 10, dann 20. Am Ende lebten gut 90 Tiere unter unserem Dach. Das ganze Haus hat nach ihnen gestunken. Und obwohl ich mich mehrmals am Tag wusch: Ich selbst wurde den Gestank nicht mehr los. Deswegen wollte niemand mit mir zu tun haben.

Welche Rolle spielte dabei die Musik für Sie?

Über die Musik von beispielsweise Black Sabbath oder Led Zeppelin konnte ich mich von der realen Welt distanzieren. Denn meine Mutter, die Lehrer und auch meine Mitschüler fanden diese Musik schrecklich. Für sie war das Lärm. Mich hingegen hat die Dunkelheit dieser Klänge fasziniert. Die Frustration, die da rausgeschrieen wurde, war genau das, was ich damals empfand.

Sie sind nahezu isoliert auf dem Land aufgewachsen. Woher kannten Sie solche Musik?

Wenn meine Mutter «arbeiten» ging, stellte sie mir das Radio ein. Die Stimmen sollten mir die Anwesenheit anderer Menschen vorgaukeln. Ich hörte dann immer SWF 3. Das war damals ein progressiver Sender, der viel Hard Rock gespielt und auch Hintergrundinfos dazu geliefert hat. Ich habe Tag und Nacht zugehört und wurde richtig besessen von dieser Musik. So absurd es auch klingt: Meine Karriere verdanke ich dem herzlosen Verhalten meiner Mutter.

Braucht es eine schwierige Kindheit, um sich in der Hard Rock- und Metal-Szene behaupten zu können?

Es gibt etablierte Bands, deren Mitglieder behütet aufgewachsen sind. Aber das ist nichts. Das sind für mich Party-Bands. Denn wie will man düstere Musik machen, wenn keine echte Wut dahinter steckt? Solche Musiker streicheln ihre Instrumente. Ich hingegen missbrauche meine Gitarre. Wirkliche Kreativität erwächst meines Erachtens aus Leiden. Nicht umsonst spricht man ja von Leidenschaft.

Führt diese Wut automatisch zum Erfolg?

Mir wurde nichts geschenkt. In der Schweiz spielten Krokus damals die härteste Musik. Und alle wollten wie sie klingen. Dagegen war meine Band Hellhammer deutlich aggressiver. Deswegen wurden wir hierzulande verlacht. Auch unseren ersten Plattenvertrag bekamen wir nicht in der Schweiz, sondern im Ausland.

Wie haben Sie das geschafft?

Wir haben Demotapes an Plattenlabels und Musikzeitschriften in aller Welt geschickt. Die Adressen hatten wir von den Covern unserer LPs. Schliesslich vermittelte uns ein Mitarbeiter des Metal-Magazins Shock Power Fanzine an ein Berliner Label, bei dem wir dann 1982 unterschrieben. Auch dem Typen, der uns vermittelt hat, hat das nicht geschadet: Er wurde später Chefredaktor der Bravo.

Kritiker bezeichneten Hellhammer als schlechteste Band aller Zeiten. Hat Sie das kalt gelassen?

Nein, im Gegenteil. Das war eine Katastrophe. Denn trotz aller Rebellion und der brachialen Musik: Eigentlich wollte ich immer nur akzeptiert werden. Zudem hatte ich Angst, den eben ergatterten Plattenvertrag wieder zu verlieren.

Aber dazu kam es nicht…

Nein; denn nachdem der Bassist Martin Eric Ain zu uns gestossen war, wurden wir besser und entwickelten neue Ideen. Schliesslich beschlossen er und ich gemeinsam, Hellhammer aufzugeben und eine neue Band mit neuem Namen zu gründen. Wir wollten Grenzen sprengen. Dafür mussten wir den Hellhammer-Stempel loswerden. Nach nur einer Nacht des Planens war Celtic Frost geboren. Unser neues Konzept überzeugte auch das Plattenlabel und so konnten wir mit dem gleichen Vertrag aber frischem Schwung durchstarten.

Und das äusserst erfolgreich. Das erste Album To Mega Therion ist heute ein Klassiker. Celtic Frost gelten als eine der einflussreichsten Bands der Szene. Warum kam es 1993 trotzdem zum Bruch?

Martin und ich hatten uns gegenseitig massiv enttäuscht. Die Gründe dafür sind vielfältig und persönlich. Das, was ich ihm angetan habe, werde ich immer bereuen. Und ihm fehlte es aus meiner Sicht an Ernsthaftigkeit, so wie den Party-Bands. Ihm ging es nie in erster Linie um die Musik. Deshalb hat es auch, als wir es noch einmal versuchten und Celtic Frost Jahre später wiedervereinigten, nicht geklappt. Und so bin ich am Ende aus meinem eigenen Lebenswerk ausgestiegen.

Um 2008 mit der neuen Band Triptykon loszulegen. Sind Sie nun angekommen?

Das kann man so sagen. Die Band ist wie eine Familie für mich. Uns allen geht es nur um die Musik. Um nichts anderes als um die Musik.

Tom G. Warrior

So unbekannt Tom Gabriel Fischer alias Tom G. Warrior in der breiten Öffentlichkeit ist, so wichtig ist sein Werk für Hardrock- und Metalkenner weltweit. Sogar populäre Künstler wie Dave Grohl (Nirvana, Foo Fighters) sehen ihn als Vorbild. Sein Stil als Gitarrist und Sänger war inspiriert von Bands wie Black Sabbath, The Who oder Venom. Fischer, der sich am Anfang seiner Karriere Satanic Slaughter nannte, gilt als Pionier der Gesangsrichtungen Grunting und Growling – das sind besonders tiefe sowie aggressiv-helle, meist geschrieene Vocals. Ausserdem kombinierte er mit der Formation Celtic Frost (1984 – 1993 und 2006 – 2008) als erster die düsteren Klänge seines Genres mit klassischer Musik.

2004 wurde Tom G. Fischer vom Magazin Guitar World unter die 100 besten Metal-Gitarristen gewählt. 2010 erhielt er den Metal Hammer Golden Gods Award in der Kategorie «Inspiration».

Dieses Porträt stammt aus dem Buch «Zürcher Pioniergeist» (2014). Es porträtiert 60 Zürcherinnen und Zürcher, die mit Ideen und Initiative Neues wagten und so Innovationen schufen. Das Buch kann hier bestellt werden.
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