Das musst du wissen

  • Die Wissenschaft ist auf Maschinen angewiesen, um die Forschung aufzuzeichnen.
  • Ändert sich die Technik, ändert sich also auch die Wissenschaft.
  • Ein Zürcher Kunstprojekt geht den Maschinen hinter der Wissenschaft nun auf den Grund.

Maschinen sind die geheimen Herrscher der Wissenschaft. Die Geräte und Apparate formen die Wissenschaft – mehr als die Forschenden selber. Man könnte fast sagen, die Technik gängelt die Wissenschaftler und die Objekte, welche sie erforschen. «Die Maschinen diktieren die Bedingungen», sagt Hannes Rickli. Er ist kein Wissenschaftler, sondern Künstler. Wie kaum ein anderer aber bewegt er sich seit Jahrzehnten in der Welt der Reagenzgläser, Tierversuche und Petrischalen. Und erforscht so als Künstler, unter welchen Bedingungen Wissenschaft entsteht – und wie sie sich wandelt. Im Kunstraum Walcheturm in Zürich präsentiert er nun ein vorläufiges Resultat seiner Nachforschungen: es ist ein Einblick in das geheime Leben der Maschinen, die die Wissenschaftler umgeben.

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Der Herzschlag der Maschinen

Hannes Rickli ist Medienkünstler und Professor an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Die Wissenschaft fasziniert ihn, seit sein Bruder, ein Biologe, ihm in den 90er-Jahren von seinen Forschungen an Bienenmilben, den sogenannten Varroamilben, erzählte. «Das tönte für mich wie Kriegsberichterstattung», erinnert sich Rickli. Um die Milben zu erforschen, musste der forschende Bruder die Organismen zuerst mit Pinzetten von den Bienen abklauben, ohne sie zu verletzen. Dann wurden die Milben auf einen Apparat gesetzt, der wie ein Laufband funktionierte, und dort wurde ihr Verhalten beobachtet. Rickli wurde klar: «Um einen Organismus zu erforschen, muss man ihn medienförmig machen». Fotografie und Film: Die Wissenschaftler benutzten die gleichen Medien wie Künstler – nur zu einem ganz anderen Zweck. Und so begann Rickli, den Geräten hinter der Wissenschaft nachzugehen.

Aquarium an der Universität Austin, TexasBirk Weiberg, Hannes Rickli

Fish Facilites, Campus University of Texas at Austin.

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Studie: Computersignale. Kunst und Biologie im Zeitalter ihres digitalen Experimentierens IIKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDas Resultat der künstlerischen Forschung ist es, Prozesse sichtbar zu machen, die sonst unsichtbar oder unbemerkt bleiben würden. Wissenschaftlich belegbare Ergebnisse resultieren nicht daraus – aber Themen, über die gesellschaftlich verhandelt werden kann.Mehr Infos zu dieser Studie...

Im Kunstprojekt, das nun ausgestellt ist, zeigt er die Maschinen hinter der Verhaltensbiologie. In Bild und in Tönen, die sonst für Menschen nicht hörbar sind. Über Induktionsspulen und Kontaktmikrofone zeichnete er die elektromagnetischen Wellen der Geräte auf und übersetzte sie in akustische Signale. So hören wir den Herzschlag der Technik. Und bekommen einen Einblick in die Forschung des Neurowissenschaftlers Hans Hofmann von der University of Texas in Austin. Eigentlich geht es darin um den afrikanischen Buntbarsch und die genetischen Grundlagen seines Verhaltens. Das interessierte den Künstler Rickli aber beim besten Willen nicht.

SupercomputerBirk Weiberg, Hannes Rickli

Supercomputer «Stampede», Pickle Campus, University of Texas at Austin.

Stattdessen filmte er das Aquarium, den technischen Apparat mit 100 Liter Fassungsvermögen, der den Fisch am Leben erhält und wo auch Experimente stattfinden. Dann folgte der Gefrierschrank, in dem die DNA, RNA und Gewebeproben der Fischhirne in minus 80 Grad Kälte gelagert werden. «Der Tresor der Molekularbiologen», sagt Rickli. Dritte Station war der DNA-Sequenzer, «Illumina HiSeq» genannt, der Hunderte von Millionen von RNA-Schnipseln des Fisches innert wenigen Stunden transkribiert. Diese Transkripte, eine gigantische Datenmenge, werden auf einem Rohdaten-Server gelagert und dann auf einem Supercomputer, in diesem Fall dem «Stampede», verarbeitet und wieder zu einer sinnvollen Reihenfolge zusammengesetzt. Damit dieser Supercomputer aber auch im hochsommerlich-heissen Texas funktioniert, muss er auf 16 Grad gekühlt werden. Hierfür braucht es die Kühlanlage, von denen es auf dem Universitätscampus einige hat. Das alles – zusammen mit dem Energiebedarf, den der Campus mit 50 000 Studenten hat – braucht so viel Strom, dass die Universität ein eigenes Erdgaskraftwerk betreibt, um Kosten zu sparen. Und dies mit eigenem Erdgas von einer Frackinganlage in Odessa, Texas. Acht Stationen bildet das Kunstprojekt so ab. 24 Stunden wurden aufgenommen, an allen acht Ort exakt zeitgleich: am 21. August 2014.

Kühlanlage für Server des SupercomputersBirk Weiberg, Hannes Rickli

Chilling Station Nº 6, Campus University of Texas at Austin.

Der Beobachter wird automatisiert

So zeigt Rickli Prozesse, die der Mensch sonst weder sieht noch hört. Und zeichnet nach, wie sich die Wissenschaft durch die Digitalisierung verändert. «In den 80er-Jahren sassen die Verhaltensbiologen stundenlang vor dem Aquarium, mit Kopfhörern, und warteten, bis sie einen Fischlaut hörten», sagt Rickli. Heute gebe es Bioakustikfilter, welche nur die Fischlaute aufzeichneten und alles dazwischen rauschnitten. «Der Beobachter wird automatisiert». Dadurch verändere sich auch der Beruf des Wissenschaftlers. Der Forscher Hans Hofmann bestätigt diese Entwicklung: Man gehe weniger ins Feld, Beobachtungen würden zunehmend automatisiert, man sitze mehr am Computer. Das sei aber eine positive Entwicklung. «Wir können heute viel mehr Experimente pro Zeiteinheit machen und so viel mehr Daten generieren». Die Wissenschaft beschleunigt sich so – getrieben vom Takt der Maschinen.

Birk Weiberg, Hannes Rickli

Fracking-Bohrturm, Crane County, University of Texas Lands.

Tagung zu Daten in der Wissenschaft


Am 6. Und 7. März findet im Kunstraum eine wissenschaftliche Tagung zum Thema «Datennaturen» statt. Biologen, Wissenschaftsforschenden, Künstlerinnen, Kunst- und Medienwissenschaftlerinnen diskutieren, wie Daten in der Wissenschaft heute generiert werden – und welchen Sachzwängen sie dabei unterliegen. https://www.walcheturm.ch/
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