Das musst du wissen

  • Vermehrt versuchen staatlich oder privat gesteuerte Trolle und Bots, Wähler und Wählerinnen zu beeinflussen.
  • Wir gross deren Einfluss tatsächlich ist, ist aber nur wenig erforscht.
  • Nun haben Forschende Twitter-Daten untersucht und fanden keinen substanziellen Einfluss von Trollen auf die Zielgruppen.

Haben die Russen durch Social-Media-Kanäle zur Wahl Donald Trumps beigetragen? Waren die sozialen Netzwerke bei der Abstimmung zum Brexit entscheidend? Diese Fragen sind umstritten, denn zuverlässige Forschung gibt es dazu bisher kaum. Zwar ist zum Beispiel bekannt, dass Russland über die Organisation «Internet Research Agency» (IRA) seit 2013 politische Feinde attackiert – und das mit Masse statt Klasse. Allein im Jahr 2016, dem Jahr der amerikanischen Präsidentschaftswahlen, setzte die Organisation 57 000 Tweets ab. Das sind mehr als 150 pro Tag. Seither ist die Zahl pro Jahr noch gestiegen.

Über die Strategien, welche für politische Beeinflussung benutzt werden, gibt es bereits einige Studien. Demnach verfolgen ausländische Agent-Provocateurs zwei Ziele: Erstens versuchen sie, die Wählerinnen und Wähler zu polarisieren. Zweitens wollen sie das politische Verhalten verändern, Leute also zum wählen er- oder entmutigen.

IRA-Accounts hatten keinen Einfluss

Wissenschaftler wollten nun herausfinden, ob diese Strategien auch wirklich aufgehen: Ein Team um den englischen Soziologen Christopher Bail hat den Einfluss einer IRA-Kampagne auf die politische Einstellung von Amerikanern Ende 2017 in der bisher grössten Daten-Studie analysiert. Das Resultat: die Interaktion mit IRA-Accounts hatte keinen substanziellen Einfluss auf die politischen Meinungen – sowohl bei Republikanern als auch bei Demokraten. Die Studie ist im Journal PNAS publiziert worden.

Science-Check ✓

Studie: Assessing the Russian Internet Research Agency's impact on the political attitudes and behaviors of American Twitter users in late 2017KommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDiese Studie ist ein schwieriger Fall, denn weder ist die Stichprobe repräsentativ für die amerikanische Bevölkerung noch besonders gross. Auch ist der Untersuchungszeitraum extrem kurz. Dass es in so kurzer Zeit zu einer Meinungsänderung kommt, ist sowieso unwahrscheinlich. Die Studie kann also darauf hindeuten, dass die sozialen Medien weniger Einfluss haben, als in vielen Kreisen angenommen. Bewiesen ist aber noch nichts.Mehr Infos zu dieser Studie...

Eine solche Analyse ist allerdings schwierig: «Das zuverlässigste Studien-Design wäre, ein Feldexperiment zu machen, in dem wir Troll-Nachrichten verbreiten würden und den Impact dann messen», schreiben die Forschenden. Doch da dies aus ethischen Gründen nicht möglich sei, hätten sie sich auf die Analyse von bestehenden Daten konzentriert.

Die Forschenden untersuchten eine Gruppe von 1239 Twitter-Nutzern, die sich als Republikaner oder Demokraten bezeichneten und Twitter mindestens drei Mal die Woche nutzten. Sie nahmen an zwei Umfragen teil – vor und nach einer mutmasslichen Einflussnahme durch Trolle. Die Probanden wurden zu politischen Themen befragt, aber auch dazu, ob es sie stören würde, wenn ein Familienmitglied einen Anhänger der opponierenden Partei heiraten würde. Für die Umfragen wurden sie bezahlt, insgesamt erhielten sie rund 30 Dollar.

Die Forscher glichen ab, welche Nutzer in dem Monat zwischen den beiden Umfragen mit Accounts interagiert hatten, die von der IRA betrieben wurden. Dabei zeigte sich, dass 19 Prozent der untersuchten Nutzer mit IRA-Accounts interagierten – weit mehr als die von Twitter angegebenen zwei Prozent für alle globalen Twitter-Nutzer Anfang 2018.

Echo-Kammern führen zu Trollen

Interagieren war dabei breit gefasst: Dazu zählte, wenn Nutzer aktiv den Tweet eines Troll liketen oder retweeteten, aber auch wenn sie Tweets von Trollen ausgesetzt waren – sei es weil sie selber einem Troll folgten oder anderen Usern folgten, die Troll-Nachrichten weiterverbreiteten. 11,3 Prozent der untersuchten Nutzer interagierten aktiv mit Trolls. Die Studie ergab, dass Personen, die sich auf Twitter in einer starken Echo-Kammer bewegten, also vielen politischen Accounts folgten, welche ihre eigenen politische Meinung spiegelten, eher mit IRA-Accounts interagierten. Prozentual waren Interaktionen aber selten: nur 0,1 Prozent aller untersuchten Interaktionen galten Trollen.

Die Autoren selbst erwähnen mehrere mögliche Einschränkungen der Studie. Sie betrachten nur den sehr eng gewählten Zeitraum zwischen Mitte Oktober und Mitte November 2017. Weiter wurden nur Menschen analysiert, die sich mit Republikanern oder Demokraten identifizierten – keine, die unentschlossen waren und somit vielleicht leichter manipulierbar wären als Personen mit fester politischer Meinung. Allerdings fanden die Forscher nach der Interaktion mit IRA-Accounts keinen Unterschied bei den Meinungen von Menschen, die sich nur schwach mit einer Partei identifizierten gegenüber denen, die sich stark identifizierten.

Auch muss die Beeinflussung nicht direkt über Twitter geschehen, wie Axel Bruns, Professor für Medienforschung am australischen Digital Media Research Center gegenüber dem Science Media Center erklärt: «Gerade in einem eher elitären Medium wie Twitter mag es durchaus wichtiger sein, genuine amerikanische Journalisten, Politiker und Aktivisten zu beeinflussen, die dann erst ihrerseits auf die politischen Meinungen ihres Publikums einwirken. Diese mehrstufige Meinungsführerschaft ist der Forschung seit den 1940er Jahren als ‹two-step flow› bekannt.»

Fazit: Nicht nur politische Beeinflussung über Social Media ist noch immer eine Blackbox. Auch die Erforschung derselben steht noch vor unzähligen Schwierigkeiten.

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