Wer im Sommer und im Frühherbst viel an der Sonne war, konnte seinen Speicher an Vitamin D auffüllen.
«Deshalb glauben viele Menschen, sie seien auch im Winter noch gut versorgt», sagt Heike Bischoff-Ferrari, Professorin für Altersmedizin und Altersforschung an der Universität Zürich. Doch das stimme nicht. «Der körpereigene Vitamin-D-Speicher ist bei vielen jetzt schon fast leer». Denn die Halbwertszeit von Vitamin D beträgt nur drei bis sechs Wochen, sodass der Blutspiegel bereits im Dezember messbar absinkt.

Grund für den verbreiteten Mangel in den Wintermonaten ist die schwache Sonneneinstrahlung. Diese reicht nicht aus, um in der Haut genügende Mengen des Vitamins zu bilden. «Um auch im Winter ausreichend Sonne zu tanken, müsste man nach Marokko umsiedeln», sagt Bischoff-Ferrari. Deshalb leiden viele Menschen zwischen Dezember und März an Vitamin-D-Mangel – auch in der Schweiz: 2012 ergab eine Studie des Bundesamts für Gesundheit, dass mehr als 60 Prozent der hiesigen Bevölkerung in den Wintermonaten nicht ausreichend versorgt sind.

Unklare Empfehlungen

Deshalb empfiehlt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit (BLV), in den Wintermonaten zusätzlich Vitamin D zu sich zu nehmen (siehe Infobox). Doch in welcher Form das geschehen sollte, ist alles andere als klar. Eine Möglichkeit seien Vitamin-D-Supplemente aus der Apotheke in Form von Tropfen. Deren prophylaktische Einnahme empfiehlt das BLV jedoch nicht allen, sondern nur Menschen mit einem erhöhten Risiko für einen Mangel. Dazu zählen Säuglinge und Kleinkinder unter drei Jahren, Schwangere, stillende Mütter und Menschen über 60. Wesentlich schwammiger sind hingegen die Empfehlungen für die übrige Bevölkerung, also alle Personen zwischen drei und 60 Jahren. Diese könnten gemäss einem Informationsblatt des BLV Vitamin D auf verschiedenen Wegen zu sich nehmen – auf welchem, bleibt aber jedem selbst überlassen. So liesse sich der Bedarf durch Tropfen, Multivitamin-Präparate oder mit Vitamin D angereicherte Nahrungsmittel decken, heisst es in den Empfehlungen. Möglich sei das aber auch über die natürliche Ernährung.

Täglich zwölf Eier

Doch genau das hält Forscherin Bischoff-Ferrari für unrealistisch. Denn die meisten Lebensmittel enthalten sehr wenig oder gar kein Vitamin D. Nur in wenigen ist es in nennenswerten Mengen vorhanden, unter anderem in fettreichem Fisch wie Hering oder Lachs, in Eiern oder in Pilzen, die an der Sonne getrocknet wurden. Allerdings ist auch hier der Gehalt relativ gering. «Man müsste täglich etwa zwölf Eier oder ein halbes Kilo Zuchtlachs essen, um seinen Bedarf zu decken», sagt Bischoff-Ferrari. «Das tun wohl die wenigsten.» Stattdessen empfiehlt die Ärztin, dass jeder in den Wintermonaten vorbeugend Vitamin-D-Tropfen einnehmen solle: «Das ist aus meiner Sicht die einfachste und sicherste Methode, um einem Mangel vorzubeugen».

Denn ein solcher kann schwerwiegende Folgen haben, unter anderem weiche oder brüchige Knochen und Muskelschwäche. Bei Kindern äussert sich dies durch Wachstumsstörungen, ältere Menschen haben ein erhöhtes Sturz- und Knochenbruchrisiko. Was weniger bekannt ist: Auch Menschen mittleren Alters schadet ein starker Vitamin-D-Mangel. Es kommt zum Knochenabbau und im Extremfall zu einer Knochenerweichung, oftmals ohne dass Betroffene etwas davon merken. Denn die Symptome sind diffus: Knochenschmerzen, Muskelschwäche – zum Beispiel beim Treppensteigen – und Müdigkeit. Ärztin Bischoff-Ferrari spricht deshalb von einer «stillen Epidemie».

Weniger dramatisch sieht es das BLV. Zwischen Frühjahr und Herbst – also während des grössten Teils des Jahres – seien 80 Prozent der Bevölkerung ausreichend versorgt, sagt Liliane Bruggmann, Leiterin des Fachbereichs Ernährung. Daher rät das Bundesamt von einer Vitamin-D-Supplementierung für die Gesamtbevölkerung ab. Zu gross sei das Risiko, dass sich jemand überdosieren könnte. Folgen können unter anderem Kopfschmerzen, Übelkeit, Herzrhythmusstörungen oder sogar Nierenversagen sein. Medizinerin Bischoff-Ferrari hält diese Befürchtung zwar für nachvollziehbar, aber unbegründet: «Selbst Supplemente in der empfohlenen Dosis kombiniert mit einer Vitamin-D-reichen Ernährung können kaum zu einer Überdosierung führen.» Denn eine solche tritt erst auf, wenn man über einen längeren Zeitraum mehr als 4000 internationale Einheiten am Tag zu sich nimmt – also mehr als das Sechsfache der für Erwachsene empfohlenen Menge.

Hausärzte sensibilisieren

Das steht so auch im Faktenblatt Vitamin D, das zusammen mit weiteren Informationsbroschüren auf der Homepage des BLV zu finden ist. Dennoch bleibt dieses bei seinen bisherigen Empfehlungen. Man arbeite bereits mit Kinderärzten und Gynäkologen zusammen, um Risikogruppen über das Thema Vitamin D aufzuklären. Allerdings findet bisher keine Sensibilisierung der Hausärzte statt. Auch die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeinmedizin gab auf Nachfrage an, bisher keine eigenen Richtlinien zu haben.

Wie wirkungsvoll die Aufklärungsarbeit des BLV tatsächlich ist und ob die Empfehlungen in der jetzigen Form ausreichen, bleibt unklar. Dies liesse sich daran messen, wie stark der Anteil von Menschen mit Vitamin-D-Mangel gegenüber 2012 gesunken ist. Dafür müsste die damals vom Bundesamt durchgeführte Studie wiederholt werden. Doch das ist gemäss dem BLV in den nächsten Jahren nicht geplant.

Starke Knochen und Muskeln

Vitamin D ist wichtig für gesunde Knochen, da es dort den Einbau von Kalzium und Phosphor fördert. Zusätzlich stärkt es die Muskulatur. Um Knochenabbau und Muskelschwäche vorzubeugen, gilt ein Blutspiegel von 20 Mikrogramm Vitamin D pro Liter als ausreichend. 30 Mikrogramm pro Liter Blut verringern bei älteren Menschen das Risiko von Stürzen. Um ausreichend versorgt zu sein, sollten Drei- bis Sechzigjährige 600 internationale Einheiten (IE) pro Tag zu sich nehmen, über Sechzigjährige 800 IE. Wichtig ist, die richtige Dosierung mit dem Arzt oder Apotheker abzusprechen.

 

Die Erstversion dieses Beitrags erschien 28. Dezember 2015.
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