Das musst du wissen

  • Tausende von Menschen schreiten täglich an Alfred Eschers Denkmal vorbei, das vor dem Zürcher Hauptbahnhof steht.
  • Escher gründete unter anderem die ETH und die Credit Suisse und war am Bau des Schweizer Schienennetzes beteiligt.
  • Damit nahm er Einfluss auf die Wirtschaft, Politik und Infrastruktur und machte die Schweiz fit für die Moderne.

Erhöht, beim Brunnen vor dem Hauptbahnhof Zürich, thront eine Statue. Sie hat ein wachsames Auge auf die Tore zu den Gleisen, die in alle Welt führen. Der Mann, dem die Figur ein Denkmal ist, hatte unter anderem die ETH, die Credit Suisse und den Gotthardtunnel initiiert. Es ist Alfred Escher. Dieses Jahr würde er seinen 200. Geburtstag feiern. Er, einer der politisch und wirtschaftlich einflussreichsten Männer im Bundesstaat von 1848, hatte eine Vision.

1819 wird Alfred Escher in eine reiche Familie geboren. Früh ist er ein Workaholic. Unzählige wirtschaftliche und politische Ämter bekleidet er in seiner Karriere gleichzeitig. Heute illegitim, ist er sowohl in der Regierung als auch in der Gesetzgebung tätig. Eine solche Ämterkumulation sei zu einer Zeit, in der es noch keine direkte Demokratie gab, nicht unüblich gewesen, sagt Joseph Jung, Historiker und Escher-Biograph.

Er denkt in grossen Massstäben

Alfred Escher hat das Schweizer Eisenbahnwesen tatsächlich viel zu verdanken. 1847 ist der Hauptbahnhof noch kein Haupt- sondern nur ein Bahnhof. Damals ist dieser der einzige der Stadt. Die Bahnhofstrasse gibt es noch nicht und die Ausdehnung der Stadt hält sich eng an die Limmat. Im August 1847 fährt der erste Zug aus Zürich nach Baden. Escher aber denkt in grösseren Massstäben: Er träumt von einer Eisenbahnverbindung vom Norden in den Süden der Schweiz. Die Privatisierung der Eisenbahn, für die er kämpft, wird sein Mittel zum Zweck werden.

Immer mehr Zugverbindungen kommen dazu, schnell ist der Bahnhof Zürich zu klein. Alfred Escher schreibt einen Wettbewerb für die Konstruktion eines neuen Bahnhofs aus. Ein Kopfbahnhof soll es werden, so die Bedingungen – ein Bahnhof also, in dem alle Hauptgleise enden. Escher ist sich der Bedeutung des Bahnwesens für die Schweiz bewusst. Nichts sei im 19. Jahrhundert für die Entwicklung zu einem modernen Staat hin wichtiger gewesen, als die Eisenbahn, sagt Jung.

Der noch junge Bundesstaat muss seine Infrastrukturen ausbauen. Der Ausbau der Bahnlinien erfordert riesige Summen, die die finanziellen Mittel der Staatskasse bei weitem übersteigen. Kurzerhand gründet Escher die erste grosse Aktienbank für Industrie und Handel, die Schweizerische Kreditanstalt, die heutige Credit Suisse. Auch hier präsidiert er den Verwaltungsrat. Später kommt die Rentenanstalt dazu, die heutige Swiss Re, die Eschers wirtschaftspolitischen Einfluss vervollständigt. Hier zeigt sich seine Macht: Er verhandelt gleich mit sich selbst, als Vertreter des Staates, in seinem Amt als Nationalrat und als Präsident der Eisenbahngesellschaft.

Vermögensanteile aus dem Sklavenhandel

Escher kombiniert nicht nur politische und wirtschaftliche Macht, er hat auch die finanziellen Mittel um seine Projekte voranzubringen. Durch die riesigen Investitionen Eschers ist innert weniger als zehn Jahren das ganze Mittelland erschlossen. Hätte die Schweiz das Schienennetz mit öffentlichen Geldern finanzieren müssen, sein Ausbau wäre nie so schnell vorangegangen, meint Jung. Zudem sorgte die Gründung der ETH dafür, dass es nicht an ausgebildeten Ingenieuren und Technikern fehlte.

Heute ist bekannt, dass ein Teil des Vermögens der Familie Escher aus dem Ertrag von Sklavenarbeit auf einer Kaffeeplantage in Kuba stammt. Sklaven hätten die Modernisierung der Schweiz finanziert, kritisieren Linke. Joseph Jung relativiert: Die Plantage habe Friedrich Escher gehört, dem Onkel Alfreds. Alfred selbst habe beteuert, nie auf Kuba gewesen zu sein, er habe aber auch nie eine kritische Position dazu eingenommen. Dies obwohl die Machenschaften seines Onkels seinem liberalen Denken hätten widersprechen müssen.

Weder Diktator noch Demokrat

Alfred Escher hatte seine Bewunderer, die ihn den «ungekrönten König der Schweiz» nannten, aber auch seine Kritiker. Jeremias Gotthelf etwa bezeichnete ihn als republikanischen Diktator. Escher selbst hingegen sah sich als radikalen Demokraten. Gegen die direkte Demokratie sprach er sich dennoch aus. Der Bevölkerung traute Escher nicht zu, über komplexe Fragen zu diskutieren oder gar abstimmen zu können.

Bald formiert sich eine starke Opposition aus den benachteiligten Bevölkerungsschichten. Die sogenannte Demokratische Bewegung fordert mehr Mitsprache für das Volk, es wurde gegen den Wirtschaftsliberalismus des «System Eschers» angekämpft. Mitte der 1870er-Jahre kommt die Wirtschaftskrise dazu. In dieser schwierigen Zeit will Escher den Gotthardtunnel durchbringen und scheitert an der Finanzierung. 1878 muss er vom Projekt zurücktreten. Kurz nach dem Durchstich des Tunnels 1882, zu dem er nicht eingeladen wurde, stirbt Escher schwer krank an den Folgen seiner Überarbeitung.

So umstritten Alfred Escher auch ist, ohne ihn sähe Zürich ganz anders aus, nicht nur stadtplanerisch, sondern auch wirtschaftlich. Mit seinen Initiativen zugunsten der Eisenbahn hat er die Schweiz modernisiert.

Dieser Beitrag wurde ursprünglich in der Zürcher Studierendenzeitung ZS publiziert. higgs und die ZS pflegen den Austausch von Artikeln in beide Richtungen. Weitere ähnliche Artikel sind hier zu finden.

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