Das musst du wissen

  • Pharmafirmen versuchen, mit Zahlungen an Gesundheitspersonal Einfluss auf die Verschreibung von Medikamenten zu nehmen.
  • Auf europäischer Ebene gibt es dazu Daten, doch sie sind nicht leicht zugänglich.
  • Die Webseite Euros For Docs schafft nun erstmals einen Überblick über die veröffentlichten Zuwendungen in Europa.

Warum wir dir davon erzählen. Die Webseite Euros For Docs zeigt den Einfluss, den die Pharma auf das Gesundheitswesen haben kann. Sei es über die Organisation von medizinischen Kongressen, die Rekrutierung von einflussreichen Experten oder die Zahlung von Forschungsgeldern an Institutionen. Damit erfasst sie ein Phänomen, das sonst weitgehend unter dem öffentlichen Radar bleibt.

Das Projekt. Als Vorbild diente Dollars for Doc. Die US-Datenbank fokussiert auf den Einfluss der Pharmaindustrie und wurde von der ProPublica Foundation im Zuge des «Sunshine Acts» von 2010 ins Leben gerufen. Sie listet Zahlungen oder Vergünstigungen auf, die Personen oder Institutionen des Gesundheitswesens in den gesamten Vereinigten Staaten erhalten.

Euros for Docs nährt die gleichen Ambitionen für Europa. Zwei französische Ingenieure, die auf Datenanalyse spezialisiert sind – Pierre-Alain Jachiet und Luc Martinon – leiten diese Initiative. Ersterer hatte bereits 2018 eine rein französische Version von Euros for Docs entwickelt, um das Manko der offiziellen französischen Website zu beheben.

Tatsächlich ist Euros for Docs das Werk von zwei transparenzliebenden «Geeks», die ehrenamtlich arbeiten. Die Kosten für Hard- und Software, in der Grössenordnung von ein paar hundert Euro, wurden mit Hilfe einiger Spenden bezahlt. Von Heidi.news kontaktiert, erklärt Luc Martinon:

«Es ist eine Fleissarbeit, die Pierre-Alain Jachiet mit der Hilfe von Studenten in einem Studienabschlussprojekt lancierte. Ich kam im April 2020 hinzu und war einen guten Teil des Sommers damit beschäftigt, und zwar zwei Monate in Vollzeit. Wenn es ein europäisches Register gäbe, würde es zwei Tage dauern.»

Verstreute Daten. Aber es gibt kein europäisches Register. Selbst auf nationaler Ebene haben nur wenige Länder eine zentralisierte Datenbank eingerichtet: Frankreich, Irland und das Vereinigte Königreich. Der Grossteil der Transparenzdeklarationen ist jedoch das Ergebnis der Selbstregulierung der europäischen Industrie, die 2013 durch den europäischen Dachverband der pharmazeutischen Industrie (EFPIA) organisiert wurde.

Die pharmazeutischen Unternehmen in den 33 EFPIA-Mitgliedsländern sind so aufgefordert, jedes Jahr Zahlungen an Stakeholder des Gesundheitswesens zu veröffentlichen. In der Regel werden diese «Disclosures» von jedem Unternehmen einzeln veröffentlicht und im PDF-Format zur Verfügung gestellt. Das erschwert ihre systematische Verwertung enorm.

Luc Martinon sagt dazu:

«Es scheint uns grundsätzlich keine gute Idee, dass die Industrie sich selbst reguliert. In den meisten Ländern ist die nationale Lobby (in der Schweiz Interpharma, Anm. d. Red.) für die Durchsetzung der Regeln verantwortlich. Wenn eine Industrie nicht deklarieren will, dass sie einen Arzt zu einem Kongress eingeladen hat, ist eine Sanktion aussichtslos.»

Grösstenteils bestand die Arbeit von Euros for Docs darin, diese verstreuten «Disclosures» zu vereinheitlichen sowie zu analysieren und in einer Datenbank zu vereinen. Die bereinigten Daten sind mit einem Dashboard versehen und seit 01. Juni 2021 auf dem Internet frei verfügbar.

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Auf einen Blick. Die Projektinitiatoren haben die finanziellen Verbindungen von elf europäischen Ländern, darunter auch der Schweiz, über die Zeit von 2017 bis 2019 zusammengetragen. Der gesamte Werttransfer in diesem Zeitraum wird auf rund 8,5 Milliarden Euro geschätzt.

Das EFPI-Datenmodell, das in den meisten Ländern verwendet wird, ermöglicht es, die Ausgaben nach Empfängern zu unterscheiden:

  • Organisationen des Gesundheitswesens (beispielsweise Krankenhäuser, Forschungsinstitute, Universitäten, Stiftungen, wissenschaftliche Gremien)
  • Angehörige der Gesundheitsberufe (Ärztinnen und Ärzte, Forschende, Fachleute, Staatsangestellte mit Bezug zu Arzneimitteln)
  • Forschung und Entwicklung (F&E): Dies wird separat budgetiert, unabhängig davon, ob der Begünstigte eine Person oder eine Institution ist.

Luc Martinon kommentiert:

«Eines der wichtigsten Probleme ist, dass die Industrie den Verhaltenskodex erstellt hat und viele Ausgaben werden in der Kategorie F&E zusammengefasst. Aber das ist ein guter Teil der Zuwendungen und es ist sehr einfach, etwas als F&E auszugeben, sobald man mit einem Arzt in Kontakt ist.»

Die folgende Grafik fasst die Situation zusammen. Die verwendeten Software-Tools verursachten in einigen Ländern Datenverluste. So unter anderem in der Schweiz, wo zwanzig Prozent der PDFs nicht analysiert werden konnten.

Das Vereinigte Königreich meldete 590 Millionen Euro an Geldüberweisungen pro Jahr, verglichen mit 508 Millionen Euro in Deutschland und 320 Millionen Euro in Italien und Spanien.

In der Schweiz sind es 160 Millionen Euro pro Jahr – das entspricht rund 175 Millionen Franken. Einen grossen Teil machen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung aus. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern könnte man es als moderat bezeichnen, aber diese Bruttozahlen sind irreführend. Bezieht man sie auf die Bevölkerung, ergibt es ein ganz anderes Bild:

Sogar die Namen der Empfänger. Die durch die EPFIA kodifizierten Deklarationen der Geldüberweisungen sehen vor, dass der Name des Begünstigten genannt wird. Damit ist es möglich, Ärztinnen und Ärzte, die Zuschüsse der Pharmaindustrie erhalten haben, namentlich zu identifizieren.

Dies ist jedoch – ausser in Spanien – an die Zustimmung des Betroffenen gebunden, ansonsten bleibt die Anonymität bestehen. So konnten die Gründer von Euros for Doc in einem Artikel, der am 4. Mai 2021 in der Zeitschrift Health Policy veröffentlicht wurde, das Niveau der Transparenz zwischen den einzelnen Ländern vergleichen.

Deutschland sticht mit einer sehr niedrigen Rate hervor. Die freiwillige Offenlegung durch Angehörige der Gesundheitsberufe liegt bei weniger als zwanzig Prozent. Hingegen schneiden Schweden und die Schweiz mit mehr als siebzig Prozent gut ab. In Spanien und Belgien ist die Offenlegung der Begünstigten obligatorisch.

Luc Martinon meint dazu:

«In der Schweiz zum Beispiel werden nur zwanzig Prozent der Begünstigten nicht gemeldet. Das ist viel besser als in anderen Ländern. Es ist aber anzunehmen, dass es sich um die problematischsten Geldüberweisungen handelt.»

Die Website erlaubt keinen Zugriff auf die Namen der Begünstigten. Für die Schweiz bietet jedoch das Projekt Pharma-Gelder, das von mehreren Redaktionen des Ringier Axel Springer Konzerns entwickelt wurde, über eine einfache Textsuche sofortigen Zugriff auf diese Informationen.

Indes hat Euro for Docs zwei weitere Publikationen geplant, um die Rechtssysteme in verschiedenen Ländern zu vergleichen und die Ausgaben, die sich in der «Tuttifrutti»-Kategorie Forschung und Entwicklung verbergen, besser zu verstehen.

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

Heidi.news

Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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