Die Herrenkniestrümpfe in Moosgrün werden als besonders edel angepriesen, weil sie mit acht Prozent Kaschmir gewoben sind. Das ist ein neuer Trend, die vermeintliche Veredelung mit Beimischung von etwas Kaschmir − ob Trainerhose, T-Shirt, Pullover oder Wintermantel. Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit einem stark gewachsenen Kaschmirangebot in Billigketten. Da fragt man sich, woher der Kaschmir für dieses gigantische Überangebot überhaupt kommen soll. Heute decken China und die Mongolei gegen 90 Prozent der weltweiten Kaschmirproduktion ab. Inzwischen bestehen auch grosse Zuchtfarmen in Australien, Neuseeland und Schottland.

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Weil bei der Deklaration «Kaschmir» laut der Verordnung der Europäischen Union für Textilkennzeichnungen tatsächlich nur 85 Prozent Kaschmir enthalten sein müssen und bei «100 Prozent Kaschmir» drei Prozent Fremdfasern akzeptiert werden, sind somit Kaschmirtextilien im Umlauf, die andere Tierhaarmischungen enthalten. Ein beliebter Kaschmirersatz ist das viel günstigere Yakhaar. Es ist fast gleich fein wie Kaschmirwolle und bietet auch in Bezug auf Feuchtigkeitsaufnahme und Wärmevermögen durchaus vergleichbare Eigenschaften. Fazit: Was als Kaschmir deklariert wird, ist oft nicht reines Kaschmir. Die Edelhaare der Kaschmir-Ziege werden nach der Region Kaschmir bezeichnet, wo die schlappohrigen, gehörnten Kaschmirziegen in Weiss, Grau, Braun oder Schwarz schon 1000 v. Chr. für hochwertige Textilien genutzt wurden. Die Unterhaare der Kaschmirziege, eine Unterart der Wollziegen, haben aufgrund der Feinfaserigkeit eine sehr hohe Wärmerückhaltungseigenschaft bei geringem Eigengewicht. Kaschmir ist deshalb eine der teuersten Naturfasern, weil das Haar einen Durchmesser von 15 Mikron hat, also fünf Mal weniger als ein menschliches Haar.

Grosse Preisunterschiede

Das Kilo Kaschmirhaar kostet zwischen 55 bis 150 Franken, je nach Beschaffenheit, und ermöglicht um 24 Kilometer Faden. Für einen Pullover braucht es ab acht Kilometer Faden. Begehrt und entsprechend teuer sind möglichst dünne, lange, gekrauste und weisse Haare. Die Preisspanne liegt vor allem in der Anzahl der verarbeiteten Fäden begründet. Günstige Kaschmirpullover sind immer zweifädig, teure Topware bis zwölffädig.
Die weltweit stark angestiegene Nachfrage nach Kaschmirhaaren, die Weltproduktion liegt bei etwa 0,5 Prozent der weltweiten Wollproduktion, hat zu grösseren Herden von Kaschmirziegen geführt. Nach einer Studie des französischen Luxuskonzerns Kering (Gucci, Saint Laurent, Brioni usw.) und der Non-Profit-Organisation Business for Social Responsibility wurden allein zwischen 1993 und 2009 die Ziegenherden von 23 Millionen auf 44 Millionen Tiere erweitert.

Die Vergrösserung der Herden fördert die Versteppung der Landschaften, weil die Ziegen die Wurzeln der Grasbüschel ausreissen. Etwa 80 Prozent der Kaschmirziegen leben in der Mongolei und der Inneren Mongolei, die zu China gehört. Die innere Mongolei hat eine Bevölkerung von rund 25 Millionen Einwohnern und eine Gesamtfläche von 1,18 Millionen Quadratkilometern. Bei Temperaturen bis zu minus 40 Grad bilden die Kaschmirziegen das wertvolle Unterhaar. In dieser Region wurden 2018 rund 6600 Tonnen Kaschmir produziert. Das sind 70 Prozent des chinesischen Kaschmirs und 40 Prozent der weltweiten Kaschmirproduktion. In der Inneren Mongolei hat Ziegenhaltung in den letzten Jahrzehnten zu einer weitreichenden Degradierung des Graslandes geführt, das 67 Prozent der Landfläche ausmacht. Die Folgen treffen die Kaschmirbauern, weil daraus eine Zunahme der Wüstenbildung resultiert. Die chinesische Regierung hat das Problem erkannt und mit einem Verbot für weitere Ziegenhaltungen und einem umfangreichen Aufforstungsprogramm reagiert.

Vernachlässigtes Tierwohl

Während im Himalaya die abgestossenen Haare der wild lebenden Kaschmirziegen nach dem Fellwechsel eingesammelt werden, werden die Mongoleiziegen gekämmt oder geschoren. Dabei wird oft das Tierwohl völlig vernachlässigt. Die deutsche Tierschutzorganisation PETA berichtet von brutalem Haarausreissen, was zu Hautrissen führt, und nachträglich quälerischen Schlachtungen. Die Organisation ruft deshalb dazu auf, kein Kaschmir mehr zu kaufen, und fordert Modeketten auf, Kaschmir aus dem Angebot zu nehmen. Auf ihrer Website schreibt die Tierschutzorganisation: «H&M reagierte bereits auf die Videoaufnahmen und beendete den Verkauf von konventionell hergestelltem Kaschmir (…) Auch die Tom Tailor Group versicherte PETA gegenüber, ab Herbst/Winter 2020 kein Kaschmir mehr anzubieten. Die Entscheidung schliesst alle internationalen Marken mit ein; dazu gehören Tom Tailor, Bonita sowie Tom Tailor Denim. Auch Ulla Popken und Cecil teilten uns mit, dass sie kein Kaschmir mehr produzieren und in den Handel bringen werden.»

Bereits 2005 wurde wegen dieser Produktionsbedingungen von der Aid by Trade Foundation der weltweit erste Standard für nachhaltig produziertes Kaschmir eingeführt. The Good Cashmere Standard umfasst die artgerechte Haltung der Tiere, den Schutz der Umwelt sowie faire Arbeitsbedingungen der Bauern und angestellten Arbeiter auf den Höfen. Er wurde in enger Abstimmung mit Tierschutzspezialisten und unabhängigen Experten der Kaschmirproduktion erarbeitet. Heute wendet auch die Erdos Cashmere Group, einer der grössten Kaschmirproduzenten der Inneren Mongolei, The Good Cashmere Standard an. Die Peter Hahn GmbH war die erste Modekette, die auf zertifiziertes Kaschmir setzte. Inzwischen haben sich auch andere Modemarken für diesen Standard entschieden, darunter Hugo Boss. Bei einem Antrag auf Zertifizierung müssen die Kaschmirbauern eine Selbstbewertung über ihre Tätigkeiten und die Bedingungen auf ihrem Betrieb einreichen. Der Fragebogen zur Selbsteinschätzung wurde von der Aid by Trade Foundation entwickelt und deckt alle Aspekte der nachhaltigen Kaschmirproduktion ab. Danach werden stichprobenartige Überprüfungen der Betriebe vor Ort durchgeführt. Die Verifizierung umfasst zahlreiche Aspekte der Ziegenhaltung sowie des Kämmens und des Scherens der Kaschmirhaare. Verläuft der Zertifizierungsprozess erfolgreich, erhält der Kaschmirproduzent ein Zertifikat, das zwei Jahre gültig ist und es ihm erlaubt, nach dem The Good Cashmere Standard zertifiziertes Kaschmir zu verkaufen.

Dieser Weg ist die Alternative zum konventionell gewonnenen Kaschmir, was mit viel Tierleid und grosser Umweltbelastung verbunden ist.

Dieser Beitrag erschien erstmals im doppelpunkt.
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