Das musst du wissen

  • Nach einer einmaligen, gezielten Infusion von Ketamin verspürten britische Trinker viel weniger Lust auf Alkohol.
  • Der Effekt hielt über den gesamten Beobachtungszeitraum von neun Monaten an.
  • Experten sind aber kritisch, ob der Effekt wirklich einzig und allein dem Betäubungsmittel Ketamin zuzuschreiben ist.

Eine einzige Dosis Ketamin kann bereits dazu beitragen, dass Vieltrinker längerfristig weniger Alkohol konsumieren. Das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des University College London herausgefunden. Ihre Resultate haben sie in Nature Communications publiziert.

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Studie: Ketamine can reduce harmful drinking by pharmacologically rewriting drinking memoriesKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsKetamin wurde schon in den 1980ern als potenzielle suchthemmende Substanz entdeckt. Der unterschiedlich hohe Alkoholkonsum der Gruppen macht die Ergebnisse nur bedingt aussagekräftig. Ausserdem wird der starke Rückgang im Konsum zwischen Monat 6 und 9 nicht erklärt. Auch ist die Gruppe der Probanden nicht besonders gross und die Daten beruhen auf Selbstaussagen.Mehr Infos zu dieser Studie...

Haben wir einen Rausch – sei es von Alkohol oder von anderen Drogen – so wird das Belohnungssystem des Gehirns stimuliert. Wir verbinden den Rausch mit positiven Gefühlen und sehnen uns im Falle einer Sucht immer häufiger nach dem Rausch und den zugehörigen Gefühlen. Jedes Mal, wenn wir uns an den Rausch erinnern, rufen wir die Erinnerung neu ab. Dadurch verändern wir diese unbewusst. Das nennt man Rekonsolidierung.

Und genau dort griffen die Forschenden mit einer Ketamin-Spritze ein: Das Betäubungsmittel blockiert Rezeptoren, die für die Rekonsolidierung wichtig sind. Dadurch verbinden Trinker den Alkohol mit weniger guten Gefühlen.

Die Forschenden haben neunzig Menschen untersucht, die zwar viel trinken, aber keine diagnostizierte Alkoholabhängigkeit haben. Die Männer konsumierten wöchentlich im Schnitt zehn Liter Bier, die Frauen etwa siebeneinhalb. Eine Teilgruppe bekam ein volles Bierglas und Bilder von Bier vorgesetzt, um die Erinnerung an Bier abzurufen. Die Wissenschaftler versprachen, die Probanden dürften das Glas Bier anschliessend trinken. Doch anstatt der versprochenen Belohnung gab es für die Studienteilnehmenden eine Infusion Ketamin.

Und das zeigte Wirkung: Während der Beobachtungszeit von neun Monaten nach dem Experiment berichteten die Studienteilnehmenden, dass ihr Verlangen nach Bier gesunken sei.

Doch die Resultate der Kontrollgruppen relativieren diese Ergebnisse: Gleichzeitig erhielt eine Kontrollgruppe nur Ketamin, ohne dass vorher die Bier-Erinnerung mithilfe von Bildern hervorgerufen wurde. Einer zweiten Kontrollgruppe wurde anstatt Ketamin eine Salzlösung, also ein Placebo injiziert. Beide Kontrollgruppen tranken zwar in den Folgemonaten ebenfalls weniger Bier, doch die Reduktion fiel bei ihnen weniger stark aus als bei den Probanden.

Das Problem: Die Testgruppe, die Ketamin erhielt und Bier-Bilder vorgesetzt bekam, trank von Anfang an mehr.

Die Testgruppe (schwarze Linie) konsumierte von Anfang an mehr Alkohol als die Placebo-Gruppe (graue Linie) und die Kontrollgruppe ohne Erinnerungshervorrufung (gepunktete Linie). Sie hatte also mehr «Luft nach unten». University College London

Die Testgruppe (schwarze Linie) konsumierte von Anfang an mehr Alkohol als die Placebo-Gruppe (graue Linie) und die Kontrollgruppe ohne Erinnerungshervorrufung (gepunktete Linie). Sie hatte also mehr «Luft nach unten».

Doch wie sieht es mit dem Suchtpotenzial von Ketamin selber aus? Immerhin wird es auch als Partydroge missbraucht. «Obschon Ketamin per se ein Suchtpotenzial besitzt, ist dieses bei einer einmaligen Gabe im Rahmen einer therapeutischen Sitzung als sehr gering zu bewerten», sagt Ben Becker vom Gehirnforschungsinstitut in Chengdu, China, der selbst nicht an der Studie beteiligt war.

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