Das musst du wissen

  • Körperliche Aktivität kann schwere Covid-19-Verläufe nicht verhindern.
  • Aber: Sie reduziert das Auftreten von Infektionskrankheiten.
  • Denn wer regelmässig bei niedriger bis mittlerer Intensität Sport treibt, unterstützt sein Immunsystem.

Warum erzählen wir dir davon? Eine Studie, die kürzlich im British Journal of Sport Medicine veröffentlicht wurde, hat ein grosses Echo in der Presse ausgelöst. «Sport sollte die erste Schutzmassnahme sein», «Körperliche Aktivität stärkt die Immunität», «Sport, eine gute Verteidigung gegen Covid-19», konnte man hier und da lesen. Bei näherer Betrachtung enthält die Studie jedoch viele Verzerrungen, die berücksichtigt werden müssen, bevor man Sport als Allheilmittel anpreist.

Die Studie. Wenn man dieser Studie glaubt, ist das Risiko, an Covid-19 zu erkranken, wenn man überwiegend sitzt oder inaktiv ist, grösser als bei jedem anderen Faktor – ausser dem Alter oder einer Organtransplantation. Sport als Hauptfaktor für die Prävention anzunehmen, wäre geradezu revolutionär, denn so könnte man relativ einfach das Risiko einer Ansteckung mindern.

Das Problem ist, dass diese Studie methodisch sehr mangelhaft ist und ihre Ergebnisse daher nicht die tatsächliche Situation darstellen. Wir haben sie Florian Zores vorgelegt, einem Kardiologen in Strassburg, der sie einer kritischen Lektüre unterzog:

«Dies ist eine retrospektive Beobachtungsstudie. Sie ist voller Verzerrungen. Sie hätten besser daran getan, alle Patienten zu nehmen, sie nach dem Grad der körperlichen Aktivität aufzuteilen und zu sehen, wer an Covid erkrankt war und wer nicht!

Die Studie basiert auf einer Selbsteinschätzung der körperlichen Aktivität. Das ist nicht sehr genau, da Menschen dazu neigen, ihr Mass an körperlicher Aktivität zu überschätzen. Es gibt auch wichtige Störfaktoren: Zum Beispiel haben die Teilnehmer je nach ethnischer Zugehörigkeit ein unterschiedliches sozioökonomisches und kulturelles Niveau und damit einen unterschiedlichen Zugang zu körperlicher Aktivität. Die Forscher können hier alle Anpassungen vornehmen, die sie wollen, sie werden zwangsläufig unsichtbare Verzerrungen übersehen.»

Anders ausgedrückt: Die Studie stellt einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Grad der körperlichen Aktivität und dem Risiko, an Covid-19 zu erkranken, her. Sie suggeriert, dass Menschen, die sich mehr bewegen, weniger krank sind. Dabei handelt es sich aber um eine reine Korrelation, denn Menschen, die am wenigsten Sport treiben, haben zwangsläufig auch die meisten Komorbiditäten sowie verhaltensbedingte oder sozioökonomische Risikofaktoren, die in der Studie nicht berücksichtigt werden.

Eine Frau arbeitet sitzend am Laptop.unsplash/Thought Catalog

Ist eine sitzende Lebensweise der Feind der Immunität?

Die einzige Schlussfolgerung, die man daraus ziehen kann: Es besteht insgesamt ein geringeres Risiko, an Covid zu erkranken und ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, wenn man jung und bei guter Gesundheit ist und einen Lebensstil hat, der es einem erlaubt, regelmässig körperlich aktiv zu sein. Kurz gesagt, nichts wirklich Neues. Trotzdem wird Sport oft als Mittel zur Vorbeugung von Infektionen und eine sitzende Lebensweise als Feind der Immunität dargestellt. Was ist da dran?

Sport und Immunität. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Sport und der Prävention von Infektionen: Körperliche Aktivität reduziert das Auftreten von Infektionskrankheiten. François Spertini, Allergologe und Immunologe am Universitätsspital Lausanne (CHUV), erklärt, wie der Mechanismus beobachtet und untersucht wurde:

«Man beobachtete das Verhalten von Athleten der 80er- und 90er-Jahre. Diese neigten zu übermässigen Trainings, die oft schlecht organisiert waren und hatten keine adäquate Ernährung für diese grossen Anstrengungen. Es wurde festgestellt, dass das Immunsystem auf diese Stresszustände mit einer übermässigen Produktion von Cortisol und entzündungsfördernden Zytokinen reagiert. Der körperliche Stress erzeugt also auf gleiche Weise die Produktion von Entzündungsmediatoren [körpereigene Stoffe, die eine Entzündungsreaktion beginnen oder aufrechterhalten, Anm. d. Red.] wie bei einer Autoimmun- oder Infektionspathologie.

Die Produktion von entzündungsfördernden Molekülen verursacht eine Schwäche und eine Anhäufung von meist trivialen Infektionen während ein paar Tagen. Wenn man andererseits die meist sitzenden Menschen betrachtet, die keine Aktivität haben, weisen sie ungefähr die gleiche natürliche Abwehrschwäche gegen Viren und Bakterien wie diejenigen auf, die sich übermässig anstrengen.»

Die Forscher betrachteten also diejenigen, die regelmässig eine durchschnittliche Leistung erbringen, typischerweise den Sonntagsjogger, der den Rest der Woche mässig aktiv ist und es nicht übertreibt. Bei ihm gibt es keine übermässige Produktion von Entzündungsmediatoren, die den Körper mit einem Ausstoss von immununterdrückendem Cortisol schwächt.

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Der «Tanz» der Zytokine wurde je nach Intensität und Dauer der Anstrengungen gemessen und die Schlussfolgerung ist: Regelmässige und moderate körperliche Aktivität gleicht zwischen entzündlichen und entzündungshemmenden Einflüssen aus und hilft, den Körper vor Infektionen zu schützen. François Spertini nuanciert:

«Wenn wir sagen, dass Sport die Immunität ‘stärkt’, ist der Begriff sehr schlecht gewählt. Es hilft allenfalls, das Immunsystem in Topform zu halten. Konkret kann man nicht sagen, dass Sport allein, mehr als jeder andere Faktor, Covid-19 oder seine schweren Formen verhindern kann. Dies gilt umso mehr, als es Risikofaktoren und Komorbiditäten gibt, auf die wir nicht direkt einwirken können.»

Die richtige Dosis Sport. Um die eigene Immunität aufrecht zu erhalten, wäre also «weder zu viel noch zu wenig» richtig. Gérald Gremion, Assistenzarzt in der Abteilung für Physikalische Medizin und Rehabilitation am CHUV empfiehlt:

«Um die Immunität zu unterstützen, ist es am besten, regelmässig bei niedriger bis mittlerer Intensität körperlich aktiv zu sein, zum Beispiel durch zügiges Gehen oder Joggen. Übermässig intensive Anstrengungen wirken sich nachteilig auf die Immunität aus, auch wenn sie manchmal beim Training von Profis oder Halbprofis notwendig sind.»

Körperliche Aktivität hat jedoch eine sehr schnelle Wirkung auf das Immunsystem, wie François Spertini erklärt:

«Von einer körperlicher Aktivität profitiert die Immunität noch einige Stunden danach. Es ist also viel lohnender, als zu laufen, um Gewicht zu verlieren oder den Blutzucker zu regulieren. Das dauert Monate! Das Immunsystem ist sehr reaktiv!»

Alles in allem ist es nie eine schlechte Idee, während einer Pandemie Sport zu treiben, zumal es auch hilft, Stress, Depression und sogar Demenz bei gefährdeten Menschen zu bekämpfen.

Aber Achtung: Du solltest keinen Sport treiben, wenn du Covid-19 hast, auch bei einer leichten Form der Erkrankung. Denn es besteht ein erhöhtes Risiko für eine Myokarditis, also eine Entzündung des Herzmuskels. Ebenso ist empfohlen, nach der Infektion schrittweise wieder anzufangen, um den Körper wieder an die Bewegung zu gewöhnen und eine dauerhafte Ermüdung zu vermeiden.

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

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Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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