Das musst du wissen

  • Einsamkeit ist eine subjektive Empfindung, eine klinische Definition dafür gibt es nicht.
  • Jeder ist ab und zu einsam. Das ist sogar eine wichtige Rückmeldung, wie es um unser soziales Leben steht.
  • Einsamkeit kann auch krank machen. Mit ein bisschen Geduld kann man aus dem Teufelskreis aber wieder herausfinden.
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Grosse Künstler oder Schriftsteller suchten sie geradezu und schufen in der Isolation eindrucksvolle Werke. Für die meisten Menschen ist sie aber ein verhasstes Gefühl: die Einsamkeit. Beklemmend, wenn da draussen niemand ist, der sich für einen interessiert oder auch zu viele, die sich für die falschen Dinge interessieren. Durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen hat vor allem die Zahl einsamer junger Menschen zugenommen. Dies zeigen verschiedene Umfragen beispielsweise aus Australien und England, den USA oder der Schweiz. In Ländern wie den USA spricht man bereits von einer Einsamkeits-Epidemie.

Oberflächliche Beziehungen machen genauso einsam wie gar keine

Was genau aber ist Einsamkeit? «Einsamkeit ist eine subjektive Empfindung», erklärt die Psychologin Noëmi Seewer, die an der Universität Bern zu diesem Thema forscht. Eine klinische Definition dafür gebe es nicht. Grundsätzlich lässt sich aber sagen: Wenn das Mass an gewünschten Kontakten von den tatsächlich erlebten abweicht, fühlen wir uns einsam. Dabei spielen sowohl Anzahl wie auch Tiefe der Beziehungen eine Rolle. Mehr ist hier aber nicht unbedingt besser: «Eine grosse Anzahl sozialer Kontakte muss nicht heissen, dass sich eine Person tatsächlich verbunden fühlt», sagt Seewer.

«Auch positive Ereignisse können einsam machen»Noëmi Seewer, Psychologin

Und: Einsamkeit trifft fast jeden von Zeit zu Zeit. «Das ist sogar wichtig, da uns Einsamkeitsgefühle Rückmeldung geben, wie es um unsere sozialen Beziehungen steht», sagt die Psychologin. Quasi wie ein soziales Thermometer. Besonders viele Menschen fühlen sich dabei um die dreissig, mit etwa fünfzig und ab achtzig Jahren einsam, wie Studien zeigen. Also dann, wenn im Leben grössere Veränderungen passieren, die sich auf das soziale Netzwerk auswirken.

«Auch positive Ereignisse können einsam machen», sagt Seewer. Eine grosse Rolle dabei spielen Erwartungen. So kann sich jemand, der ganz gut durch die Pandemie kam, nun einsam fühlen, weil sich die sozialen Beziehungen nicht in gewünschtem Mass wieder einstellen.

Ab und zu einsam zu sein, ist also ganz normal. Unproblematisch ist Einsamkeit aber keineswegs und kann, wenn sie länger andauert, krank machen. Einsame Menschen schlafen öfter schlecht und achten weniger auf ihre Gesundheit. Sie rauchen öfter und essen ungesünder, Herzkrankheiten und Diabetes treten bei ihnen häufiger auf. Im Durchschnitt sterben sie auch früher, wie eine Übersichtsstudie zeigt.

Science-Check ✓

Studie: Association of loneliness with all-cause mortality: A meta-analysisKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie untersucht den Zusammenhang zwischen Einsamkeit und dem Risiko frühzeitig zu sterben. Die Metaanalyse basiert auf relativ vielen Einzelstudien, was sie zuverlässig macht. Die einzelnen Studien unterscheiden sich aber hinsichtlich ihrer Methoden, um beispielsweise den Grad an Einsamkeit zu messen, ihrer Stichprobengrösse oder Co-Faktoren stark. Da es sich zudem um Beobachtungsstudien handelt, kann kein kausaler Zusammenhang hergestellt werden. Vielmehr handelt es sich um eine Korrelation.Mehr Infos zu dieser Studie...

«Es gibt auch Zeichen dafür, dass Einsamkeit kognitive Einbussen beschleunigt», fügt Seewer hinzu. Depressionen und Angststörungen sind bei Menschen, die sich einsam fühlen, ebenfalls häufiger. «Generell ist bei all diesen Studien aber unklar, was Ursache ist und was Wirkung», ordnet die Expertin ein.

Der Teufelskreis der Einsamkeit

Entscheidend ist: Wer sich länger einsam fühlt, leidet in der Regel darunter. Treffend findet Seewer deshalb den Vergleich mit anderen Grundbedürfnissen wie Hunger oder Durst. «Das kann uns motivieren, unsere soziale Situation zu verändern», sagt sie. Gelinge dies nicht, könne es mit einem sich selbst aufrechterhaltenden Teufelskreis einher gehen. Einsame Personen beurteilen sich selbst und andere dann negativer und bewerten unklare soziale Situationen auch eher negativ. Sie dächten etwa «für mich interessiert sich ohnehin keiner» und reagierten mit Passivität und Vermeidung.

Gegen Einsamkeitsgefühle können Betroffenen aber etwas tun. «In der Regel fängt das mit einer Bestandsaufnahme an», beschreibt Seewer. Das heisst: wie ist die Qualität und Quantität meiner sozialen Beziehungen und wo würde ich sie gerne verbessern? Also ein Soll-Ist-Abgleich. Was eine Person aber braucht, um die Quantität ihrer Beziehungen zu erhöhen oder die Qualität zu verbessern, ist unterschiedlich und beispielsweise vom Alter und der Lebenssituation abhängig.

Oft helfen schon kleine Dinge – und Geduld

Ein universelles Wundermittel gegen Einsamkeit gibt es damit nicht. Einsamen Personen pauschal zu sagen «geh doch einfach mal unter Leute» sei ähnlich nutzlos wie einer magersüchtigen Person zu sagen «iss doch einfach mal was», verdeutlicht Seewer.

Vielmehr helfen oft schon kleine Dinge. Etwa, die Nachbarn wieder zu grüssen, und sich dabei klarzumachen, wie viele soziale Kontakte sich tagtäglich ereignen, oder jemanden anzulächeln und bewusst auf die Reaktion zu achten. Und nicht zu viel zu erwarten, denn Aufbau und Vertiefen sozialer Beziehungen braucht Zeit und Energie, eine Garantie gibt es nicht. «Zeit ist ein wesentlicher Faktor», sagt Seewer. Wer gerade neue Leute kennengelernt habe, könne nicht erwarten, dass sich sofort enge Beziehungen entwickeln.

«Nie wieder einsam» ist nicht das Ziel

Auch kognitive Verhaltenstherapien wie beispielsweise das Online-Selbsthilfe-Programme SOLUS sollen Einsamkeit verringern. Die Psychologin Seewer und ihr Team an der Universität Bern haben das in Schweden erstellte Programm ins Deutsche übersetzt und erweitert. Nun wollen sie wissen, ob es Einsamkeitsgefühle nachhaltig lindern kann und für wen es besonders wirksam ist. Für viele psychische Erkrankungen haben sich solche Online-Interventionen als wirksam erwiesen.

«Das Ziel ist nicht, dass sich Menschen nie wieder einsam fühlen», sagt Seewer, die derzeit noch Testpersonen für die laufende Studie sucht. Eher ginge es darum, den Teilnehmenden in derzeit neun Modulen einen «Werkzeugkoffer» zur Verfügung zu stellen, mit dem sie sich mit ihrer Einsamkeit auseinandersetzen können und einem Umgang damit erarbeiten können.

Natürlich hat das Online-Programm aber Grenzen. «In akuten Krisen ist es nicht geeignet», sagt Seewer. Zum Beispiel dann, wenn die hilfesuchende Person sehr hoffnungslos ist, schwere depressive Symptome oder gar Suizidgedanken vorliegen. In diesem Fall rät die Expertin Betroffenen die Unterstützung einer Fachperson in Anspruch zu nehmen.

Hier findest du Hilfe

Du steckst in einer Krise und weisst nicht mehr weiter? Lass dir helfen! In der Schweiz gibt es zahlreiche Stellen, die rund um die Uhr für Menschen in Krisen da sind:

Die Dargebotene Hand: Telefon 143

Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefon 147

Weitere Adressen und Informationen

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