Das musst du wissen

  • Wenn wir eine Person in Schmerzen sehen, spiegelt unser Hirn diese Schmerzen und wir fühlen mit.
  • Menschen, die nach Befehlen handeln, fühlen weniger mit, als jene die freiwillig handeln, wie neue Hirnforschung zeigt.
  • Auch sind Hirnregionen, die mit Schuld und Verantwortung zusammenhängen, weniger aktiv, wenn Zwang in Spiel ist.
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In Weissrussland prügeln Spezialeinheiten Demonstranten grün und blau. In den USA machen Polizisten von sich reden, weil sie schwarze Menschen erschiessen. Und von Syrien bis Jemen kommen immer wieder Gräueltaten ans Licht, die von Soldaten begangen werden. Wie kommt es, dass Menschen so grausam agieren? Zentral hierfür sind Befehle, wie die Forschung zeigt: Wer Anweisungen befolgt, handelt oft brutaler. In einer neuen Studie haben Wissenschaftler nun untersucht, was Befehle mit uns machen: Dies haben die niederländischen Forschenden mittels Hirnscans analysiert. Die Studie ist im Fachmagazin Neuroimage erschienen.

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Sehen wir jemanden, der grosse Schmerzen erleidet, fühlen wir buchstäblich mit: Unser Hirn aktiviert dieselben Bereiche wie bei unserem Gegenüber, so als würden wir den Schmerz selber spüren. Das empfinden wir als Empathie.

Die Forschenden wollten nun herausfinden, ob Befehle diese Empathie mindern. «Wir wollten verstehen, wieso Befehle einen so grossen Einfluss auf moralisches Verhalten haben», sagt die Neuro-Wissenschaftlerin Emilie Caspar, Erstautorin der Studie, in einer Mitteilung. «Warum die Bereitschaft steigt, Grenzen der Moral zu überschreiten, wenn man unter Zwang handelt.»

Science-Check ✓

Studie: Obeying orders reduces vicarious brain activation towards victims’ painKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Stichprobe ist relativ klein, vorherige Studien kamen aber bereits zu ähnlichen Ergebnissen. Ein Problem besteht allerdings darin, dass die Textumgebung sehr weit entfernt ist von realen Situationen, in denen Gräueltaten begangen werden. Die Studie kann deshalb Hinweise liefern, aber nicht Echtsituationen erklären.Mehr Infos zu dieser Studie...

Dazu führten die Forschenden ein Experiment durch: In Zweierteams wurden Testpersonen die Rollen des «Agenten» und die Rolle des «Opfer» zugeteilt – nach 30 Testdurchläufen wechselten die Rollen. Das Experiment fand in zwei unterschiedlichen Situationen statt: In der einen hatten die Agenten die freie Wahl, ob sie dem Opfer einen milden Elektroschock per Knopfdruck zufügten oder nicht. In der anderen wurden ihnen befohlen, die Elektroschocks auszulösen. Die Agenten sahen per Live-Übertragung, wie die Hand des Opfers wegen des Schocks zuckte. Als Motivation erhielt der Agent für jeden zugefügten Schock fünf Cent.

Zudem mussten die Agenten die Schmerzintensität in einigen Runden bewerten – im Vorfeld waren sie informiert worden, dass die Schockintensität immer die gleiche ist. Am Ende des Experiments gaben die Agenten an, wie «schuldig» sie sich fühlten.

Das Resultat: Wenn die Agenten die freie Wahl hatten, verwendeten sie den Schock-Knopf signifikant weniger als wenn sie Befehle entgegen nahmen: Die angeleiteten Agenten gaben 30 Schocks pro 60 Runden, die frei entscheidenden Agenten drückten den Schock-Knopf hingegen nur 23 Mal in 60 Runden.

Dass Menschen durch Befehle weiter gehen, war bereits durch frühere Forschung bekannt. In dieser Studie lieferten die Gehirnscans nun zusätzliche Informationen: Wenn die Testpersonen nach einem Befehl handelten, stellten die Forschenden weniger Aktivität in schmerzbezogenen Bereichen ihres Hirns fest. Dies weist darauf hin, dass die Agenten die Schmerzen des Opfers weniger spiegelten. Dies zeigte sich auch darin, dass die Agenten die Schmerzintensität tiefer werteten, wenn sie Befehle ausführten – und dies obwohl sie wussten, dass die Schockintensität immer gleich hoch war.

Zusätzlich berichteten die Testpersonen, dass sie sich weniger verantwortlich und schuldig fühlten, wenn sie den Elektroschock aufgrund des Befehls zufügten. Auch dies konnten die Forschenden mit tieferer Hirnaktivität in gewissen Regionen in Zusammenhang bringen.

«Der nächste Schritt wird darin bestehen, zu verstehen, warum sich so wenige Menschen unmoralischen Befehlen widersetzen», sagt Emilie Caspar vom Institut für Neurowissenschaften der Königlichen Niederländischen Akademie der Wissenschaften, in einer Mitteilung. Diese Forschung könne in Zukunft dabei helfen, sich gegen Aufrufe zur Gewalttätigkeit zu wehren.

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